In der tunesischen Hauptstadt Tunis haben am Samstag zwischen 6.000 und 7.000 Menschen gegen Pläne der Regierung demonstriert, die Rechte von Frauen und von Minderheiten wie Homosexuellen zu stärken. Zu der Kundgebung vor dem Parlament waren Teilnehmer aus dem ganzen Land angereist, darunter viele Geistliche.
Die Demonstranten hielten Schilder hoch wie "Nein zur Änderung der göttlichen Worte" und "Tunesier halten sich an die Lehren des Islam". Andere Redner betonten, dass die Regierungspläne gegen die Verfassung verstießen und dass eine Familie aus Mann und Frau mit Kindern die Keimzelle der Gesellschaft darstelle.
Grund für die Kundgebung ist, dass Präsident Beji Caid Essebsi wohl am Montag einen Gesetzentwurf vorstellen wird, der umfassende Reformen für Tunesien vorsieht, das als einzige Demokratie aus den arabischen Aufständen der letzten Jahre hervorgegangen ist. Eine von Präsident Essebsi eingesetzte "Kommission zu individuellen Freiheiten und zur Gleichheit" hatte im Juni einen Bericht vorgestellt, der auf 253 Seiten zu Reformen in vielen Bereichen ermahnt.
Präsident Beji Caid Essebsi (unter dem Wappen) mit der Kommission bei der Vorstellung des Berichts
So sollen Frauen gleiche Erbrechte wie Männer erhalten. Auch in anderen Bereichen sollten Frauenrechte gestärkt und unter anderem die Todesstrafe abgeschafft werden.
Kommt die Straffreiheit für Homosexualität?
Die im letzten Jahr eingesetzte Kommission aus Politikern, Wissenschaftlern und Menschenrechtsaktivisten rät zugleich zur kompletten Abschaffung des Paragrafen 230, der homosexuelle Handlungen bislang mit bis zu drei Jahren Haft belegt (ein Alternativvorschlag sieht statt der Haft- eine Geldstrafe in Höhe von 500 Dinar, rund 160 Euro, vor). Die bisherige Regelung verletzte das Recht auf Privatleben und bringe dem Land internationale Kritik ein, rügte die Kommission in dem Bericht.
Die – von Gegnern stark angefeindete – Kommissionsvorsitzende und Parlamentsabgeordnete Bushra Belhadj hatte in den letzten Monaten in Interviews im In- und Ausland für die Liberalisierung geworben: "Die Gesellschaft muss die Bedürfnisse Homosexueller anerkennen"
Im Jahr 2015 hatte Tunesien mit Shams erstmals eine LGBTI-Organisation offiziell anerkannt. Nach Angaben des Vereins nahm die Polizei im letzten Jahr noch mindestens 71 Menschen nach dem umstrittenen Paragrafen aus dem Jahr 1913 fest – und erst vor wenigen Tagen sei noch ein junger Mann zu vier Monaten Haft verurteilt worden. Ihm war laut Shams vorgeworfen worden, romantische Botschaften mit einem anderen Mann ausgetauscht zu haben.
Die Organisation forderte den Präsidenten auf, im Rahmen der Reformen das Verbot homosexueller Handlungen ebenso abzuschaffen wie die Praxis von Analuntersuchungen – die Abschaffung der von Menschenrechtsorganisationen als Folter eingestuften Methode zur angeblichen Feststellung einer Homosexualität hatte die Regierung im letzten Jahr bereits angekündigt (queer.de berichtete). In einem Offenen Brief forderten am Wochenende etliche Menschenrechts- und Frauenorganisationen sowie mehrere Gewerkschaften eine Umsetzung der von der Kommission vorgeschlagenen Reformen. Für Montag haben zudem mehrere Verbände zu Kundgebungen in Tunis aufgerufen, um eine Unterstützung dieser Ziele zu bekunden. In Zusammenarbeit mit Shams gibt es dazu auch eine Online-Petition von All Out. (nb)
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Liebe Leute von Shams, lasst euch von denen bloß nicht unterkriegen.