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Heimkino

Blut-Orgie im "Homo-Paradies"

Die isländische Landschaft bildet die ideale Kulisse für den queeren Horror-Thriller "Rift", der jetzt bei Salzgeber auf DVD erschienen ist. Elfen-Experte Wolfgang Müller stellt ihn vor.


Einar und sein Ex-Freund Gunnar sind nicht allein in der einsamen Blockhütte… (Bild: Edition Salzgeber)
  • Von Wolfgang Müller
    14. August 2018, 11:09h, 1 Kommentar

"Früher strömten die deutschen Touristen aus Europa nach Island, um hier Natur pur zu sehen, Gletscher, Vulkane und Geysire", verriet mir 1994 Elísa Álfredsdóttir, die Gründerin der neugegründeten isländischen Trans*vereinigung. Dann ergänzte sie: "Aber auch ich bin doch auch ein Stück Natur, wie die seltene Schnee-Eule oder eine bizarre Orchidee."

Drei Jahre darauf trat ausgerechnet ein Isländer als erster offen schwuler Sänger im europäischen Schlagerwettbewerb ESC auf. Páll Óskar Hjálmtysson: "Das war gar nicht einfach. Ich kämpfte hart darum, dass in allen beteiligten ausländischen TV-Stationen erwähnt wurde, dass ich schwul bin – denn ich bin beileibe nicht der erste Schwule im heruntergekommenen Klemmschwestercontest – aber eben der erste, der es nicht versteckte! Denk nur an Cliff Richard und seine Geheimbotschaft 'Power to all our friends'…"

Leider verschwand mein Interview damals spurlos in der Schreibtischschublade eines Tageszeitungs-Redakteurs, der gerade daran ging, eine Karriere als ESC-Experte aufzubauen. ESC-Teilnehmer Páll Óskar hatte in dem ausführlichen Interview die Trash-Show, die er zugleich abgöttisch liebte, gnadenlos auseinandergenommen und damit Außenstehenden einen investigativen Blick hinter die Kulissen ermöglicht.

Mein alter Punkfreund, der Autor Wolfgang Kriegs, tröstete mich und veröffentlichte das Interview nebst Einführung, nun auch wesentlich besser honoriert, einige Monate darauf in seinem ESC-Buch "L'Allemagne Deux Points" im Rowohlt-Verlag. Der Redakteur bestritt übrigens viele Jahre später vehement, mein Páll-Óskar-Interview jemals erhalten zu haben. Was soll's, der Elfenstrudel verschluckt selbst Erinnerungen.

Wie kommt es eigentlich, dass aus einem Land mit 330.000 Einwohnern, welches bisweilen boshaft als "am Arsch der Welt liegend" bezeichnet wird, die winzige Filmindustrie Spielfilme über schwule Fußballmannschaften produziert ("11 Men Out", 2005 ), schwule Ringkämpfer ("Bræðrabylta", 2007) und nun mit "Rift" (Amazon-Affiliate-Link ) gar einen Homo-Horror-Thriller? Ist Island ein "Homo-Paradies"? Stimmt es, dass Islands Gay Pride, prozentual an der Einwohnerzahl gemessen, der größte Pride der Welt ist mit bis zu 70.000 Teilnehmern? Und dazu die größte Veranstaltung des Landes, eine Familienparty?

Lavaspalten vor dem "Eingang zur Hölle"


Die Edition Salzgeber hat "Rift" mit deutschen Untertiteln auf DVD veröffentlicht

Der isländische Thriller "Rift" schlingert düster durch das Beziehungsgeflecht zweier junger Männer, Einar und Gunnar, deren Liebe kurz war, schmerzhaft und voller Missverständnisse. Entschleunigung, düstere Räume, Metaphern der Erinnerung und der Verdrängung lauern in den Wänden eingefallener Häuser und in schmalen Lavaspalten, den Rifts.

Eingebettet wird dieses Seelenleid in langsamen Schwenks über die isländische Landschaft, die bekanntlich im Film oder Foto überrealistisch, ja nahezu kitschig wirkt. Islands Landschaft sieht nun mal aus wie eine Hollywoodkulisse für einen Märchen-, Horror- oder Phantasiefilm. Im Winter geht die Sonne mittags auf und verschwindet nach nur vier Stunden – die Menschen werfen zehn Meter lange Schatten.

Düstere Klänge ertönen, und eine Nachtsichtkamera begleitet den Gang Gunnars ins Ungewisse. Im Hintergrund taucht die Hekla auf, ein aktiver Vulkan, der jahrhundertelang der Geistlichkeit auf dem Kontinent als offizieller "Eingang zur Hölle" galt. Im Zeitlumpentempo tropfen Wasserhähne; Bettbezüge, unter denen sich unruhig Alptraumgeplagte wälzen, wogen auf wie Meereswellen, alles in Slow Motion. Ein Schachspiel steht auf dem Tisch, die Könige und Bauern reglos. Lavaspalten werden zu Orten des Verirrens und Verschwindens.

"Unser erster Kuss war unter dem Nordlicht"

Der Satz "Unser erster Kuss war unter dem Nordlicht" wirkt dann etwas zu dick aufgetragen, aber der Gedanke, dass die Unbekannten, die nachts an die Türen einsamer Häuser klopfen, Geister, Einbrecher oder Touristen sein können, stimmt wieder versöhnlich. Die iPhones, Cola-Dosen und Notrufnummern erinnern die Zuschauer daran, dass "Rift" zwar zwischen Vision, Erinnerung und Realität changiert, sich jedoch in der Gegenwart abspielt.

Der einsame Einar, ein Schlafwandler, dessen einziger Kindheitsfreund Leemoy ein spiritueller Geist oder eine Art Elfe war, und der ernste Gunnar, der nebenher eine andere sexuelle Beziehung hat, versuchen auf der Leinwand die großen Missverständnisse ihres Beziehungsdramas zu klären. Und während sich der eine als Opfer sexuellen Missbrauchs in der Kindheit outet, erinnert sich der andere an sein "erstes Mal". Das war scheußlich: ganz unromantisch via Dating-Portal. Der schöne Prinz auf dem Profil entpuppte sich als "grabschender alter Mann" und das Treffen mündete in einet Orgie mit älteren Männern, die Pornos schauten und den jungen Mann brutal sexuell missbrauchten.


"Rift" ist eine schauerliche Mischung aus Melodram und Horrorfilm

Ja, ich liebe R.W. Fassbinders "Faustrecht der Freiheit", weil er schon 1975 arglosen Zuschauern zeigte, dass Beziehungen in der Schwulenszene genauso mies beziehungsweise nicht besser ablaufen wie im straighten Milieu. Dass der Regisseur seinerzeit von strengen Homonationalisten dafür als Nestbeschmutzer beschimpft wurde, war nur konsequent. Aber wie in "Rift" gleich die geballte Ladung von Kindesmissbrauch bis hin zu Gruppenvergewaltigung hinein zu packen, das kann schnell allzu dick aufgetragen wirken.

Der hässliche Mann mit dem blutigen Messer

Klar, auch die hierzulande sehr beliebten Islandkrimis scheinen auf einer Polarinsel voller Blut, Ränke, Missbrauch und Mordlust stattzufinden – dabei hat Island eine der niedrigsten Kriminalitätsraten der Welt. Vielleicht setzen die Islandkrimis und jetzt dieser Homo-Thriller lediglich die Erzählungen der mittelalterlichen isländischen Sagas fort. Das waren ja Splatter-Stories, bei denen das Blut nur so floss, ein einziges Gemetzel – in einem friedlichen Land ohne jede Armee, Wehrpflicht und ohne Soldaten. Und am Ende von "Rift", es wird nun spoilernd, taucht tatsächlich irgendwann aus dem Nichts ein hässlicher alter Mann mit dem blutigen Teppichmesser auf, das Symbol des Verdrängten und des Bösen?

Er metzelt den schönen Einar tot und geht dann auch noch auf den untreuen Gunnar los, als der dessen übel zugerichtete Leiche in einer Lavaspalte entdeckt. Gunnar taumelt blutüberströmt ins Nichts.

Übrigens: Das maskierte, Kettensägen schwingende Leatherface aus "Das Blutgericht in Texas" (The Texas Chain Saw Massacre) heißt in Wirklichkeit Gunnar Hansen – und war ein gebürtiger Isländer! In der isländischen Filmsatire "Reykjavík Whale Watching Massacre" tauchte der Schauspieler 2009 noch einmal kurz auf, bevor er 2015 starb. Werden wir durch "Rift" womöglich auf dessen Nachfolger vorbereitet?

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Infos zur DVD

Rift. Drama. Island 2017. Regie: Erlingur Thoroddsen. Darsteller: Björn Stefánsson, Sigurður Þór Óskarsson. Laufzeit: 101 Minuten. Sprache: isländische Originalfassung. Untertitel: Deutsch (optional). FSK 16. Edition Salzgeber

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Rift
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