Bei der Umwandlung einer Lebenspartnerschaft in eine Ehe können gleichgeschlechtliche Paare womöglich jahrelang zu viel gezahlte Steuern zurückerhalten (Bild: Alf Melin / flickr)
Das Finanzgericht Hamburg hat in einem am Freitag bekannt gewordenen Urteil entschieden, dass die Umwandlung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft in eine Ehe ein rückwirkendes Ereignis im Sinne der deutschen Abgabenordnung (AO) sei (Az.: 1 K 92/18 vom 31. Juli 2018, PDF). Die Kläger können deshalb rückwirkend ab der Begründung ihrer Lebenspartnerschaft auch für die Jahre eine Zusammenveranlagung bei der Einkommensteuer beantragen, in denen ihre Veranlagung als "Ledige" bereits bestandskräftig war.
Der Hintergrund der Entscheidung: Als die Lebenspartnerschaft 2001 von Rot-Grün eingeführt wurde, gab es – wegen der Blockade der Union im Bundesrat – keine Gleichstellung im Einkommensteuerrecht. Verpartnerte Paare hatten demnach keinen Anspruch auf das Ehegattensplitting, das besonders Paaren mit sehr unterschiedlichen Einkommen große Steuererleichterungen verspricht.
Erst zwölf Jahre nach Einführung der "Ehe Light" für Schwule und Lesben ordnete das Bundesverfassungsgericht die Gleichstellung mit heterosexuell verheirateten Ehepaaren an, weil die Schlechterstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren nach Ansicht Karlsruhes eine nicht begründbare Diskriminierung darstellt – und so etwas ist im Grundgesetz ausdrücklich verboten (queer.de berichtete). Damals erhielten allerdings nur verpartnerte Paare tatsächlich den günstigeren Tarif, die Einspruch gegen ihre Steuerbescheide zwischen 2001 und 2012 eingelegt hatten – alle anderen gingen leer aus.
Eheöffnungsgesetz beseitigt Ungleichbehandlung "rückwirkend"
Mit der Entscheidung der Finanzrichter aus Hamburg könnten allerdings jetzt Paare, die ihre Lebenspartnerschaft in eine Ehe umgewandelt haben, rückwirkend bis zu ihrer "ersten Hochzeit" diese potenzielle Steuervergünstigung erhalten. LSVD-Justizexperte Manfred Bruns erklärt den Grund: "Nach Art. 3 Abs. 2 des Eheöffungsgesetzes (BGBl. I S. 2787) sollen Lebenspartner, die ihre Lebenspartnerschaft in eine Ehe umwandeln, so behandelt werden, als ob sie am Tag der Begründung ihrer Lebenspartnerschaft geheiratet hätten. In der amtlichen Begründung (Drs. 18/6665) wird dazu ausgeführt, damit werde die noch bestehende Ungleichbehandlung 'rückwirkend beseitigt. Dies bedeutet, dass bestimmte sozial- und steuerrechtliche Entscheidungen neu getroffen werden müssen'."
Laut Bruns bestünden beim Familienzuschlag für Beamte bei der Umsetzung dieser rückwirkenden Gleichstellung offenbar keine Probleme, sofern diese Leistung innerhalb von drei Monaten nach der Umwandlung der Lebenspartnerschaft in eine Ehe beantragt wird. Anders sieht es bei der rückwirkenden Gleichstellung im Einkommen- und Grunderwerbsteuerrecht aus. "Das von der SPD geführte Bundesfinanzministerium räumt zwar ein, dass die Umwandlung einer Lebenspartnerschaft in eine Ehe ein Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sei. Aber dieses Ereignis habe in diesem besonderen Fall keine Rückwirkung, weil die Lebenspartner schon ab 2013 aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht wie Ehegatten hätten veranlagt werden können, soweit das noch nicht bestandskräftig abgelehnt worden war." Daher habe das Ministerium die Finanzämter angewiesen, alle Anträge mit dieser Begründung abzulehnen.
"Unfug 'eines rückwirkenden Ereignisses ohne Rückwirkung'"
"Diesen Unfug 'eines rückwirkenden Ereignisses ohne Rückwirkung' hat das Finanzgericht Hamburg nicht mitgemacht", so Bruns. "Es hat entschieden, dass die Kläger gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO verlangen können, rückwirkend wie Ehegatten zusammenveranlagt zu werden."
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, weil das Finanzgericht die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen hat. Eine Rückwirkung für die Jahre vor 2001 ist ausgeschlossen; das hatte der Bundesfinanzhof in München bereits vor drei Jahren entschieden (queer.de berichtete).
Finanzminister Scholz ist am Zug
Bruns appellierte an Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), "nun endlich seinen Widerstand gegen die endgültige Gleichstellung der Lebenspartner mit Ehegatten aufzugeben und nicht alle Betroffenen erneut zu zwingen, ihre Gleichstellung einzuklagen". Den Betroffenen, die bereits Klagen erhoben haben, empfiehlt der LSVD, ihr Finanzgericht auf dieses Urteil hinzuweisen. Die Betroffenen, die noch keinen Antrag auf rückwirkende Zusammenveranlagung gestellt haben, können den Antrag innerhalb von vier Jahren seit Ende des Jahres nachholen, in dem sie ihre Lebenspartnerschaft in eine Ehe umgewandelt haben.
Der Lesben- und Schwulenverband erläutert auf seiner Homepage die Rechtsfolgen der rückwirkenden Umwandlung einer Lebenspartnerschaft in eine Ehe und stellt Muster für Anträge bereit.
Ein Wort in eigener Sache
Hinter gutem Journalismus stecken viel Zeit und harte Arbeit – doch allein aus den Werbeeinnahmen lässt sich ein Onlineportal wie queer.de nicht finanzieren. Mit einer Spende, u.a. per
Paypal oder Überweisung, kannst Du unsere wichtige Arbeit für die LGBTI-Community sichern und stärken.
Abonnent*innen bieten wir ein werbefreies Angebot.
Jetzt queer.de unterstützen!
Ich kann nur allen Betroffenen raten, das in Anspruch zu nehmen.