Obwohl auf seiner Flucht alles schiefgeht, ist sich Hussein Sabat sicher: "Alles, was passiert, ist besser, als im Gefängnis zu sein." Das Gefängnis ist sein schwules Doppelleben. Als Syrer ist er vor dem Bürgerkrieg in die Türkei geflohen, zusammen mit seinen Eltern, seiner Frau und seiner Tochter. In Istanbul endet ihre Flucht vorerst, der legale Weg nach Europa ist versperrt. Für Sabat, 24 Jahre jung, ist es eine ausweglose Situation. Wie kann er jemals seiner muslimisch-konservativen Familie erzählen, dass er schwul ist? Was wird aus seiner Tochter? Wann kann er endlich seine schwule Identität leben?
Da trifft er auf Mahmoud Hassino, einen syrischen Aktivisten, der einen Schönheitswettbewerb organisiert, um Mr Gay Syria zu finden. Für viele in Istanbul gestrandete Syrer wird die Show zur letzten Gelegenheit, ein Ticket für den Flug nach Europa zu bekommen. Wer das Krönchen beim Wettbewerb ergattert, darf weiter zum Finale des Mr Gay World reisen – nach Malta, in die Europäische Union. Der syrische Vertreter soll der Welt zeigen, dass es eine LGBTI-Community in dem Land gibt (queer.de berichtete).
Letzte Hoffnung: ein Visum für Europa
Poster zum Film: "Mr Gay Syria" startet am 6. September im Kino, Previews gibt es in Bochum (1.9.), Berlin (3.9.) und Köln (4.9.)
Zumindest ist das die Idee. Ob der Sieger am Ende tatsächlich ein Visum für Europa bekommen wird, weiß niemand. Doch es ist die letzte Hoffnung, und so treten fünf junge Syrer auf eine kleine Bühne in einem Hinterhof-Saal in Istanbul. Sie tanzen, geschmückt mit klimpernden Pailletten, den Bauchtanz. Unter ihnen auch Hussein Sabat. Er führt einen Monolog auf, in dem er seiner abwesenden Mutter erzählt, was er ihr immer sagen wollte: dass er schwul ist. Das Publikum klatscht, es fließen Tränen.
Viele Zuschauer gibt es nicht: Rund 40 Menschen sitzen in dem dunklen Raum. Denn der Wettbewerb ist nur für eingeweihte Freunde. "Ich will nicht, dass Unschuldige sterben", sagt Organisator Hassino, "ISIS ist überall!" Die Gefahr, verraten, geschlagen oder getötet zu werden, ist für alle Geflüchteten im Film stets präsent. Auch für Hussein Sabat. Er gewinnt, wird Mr Gay Syria und hofft, bald in ein sicheres Land reisen zu können. Doch alles kommt anders.
LGBTI-Flüchtlinge müssen allein kämpfen
Für den Film hat die türkische Regisseurin Ayşe Toprak die schwulen Syrer in Istanbul, an der türkisch-syrischen Grenze, aber auch in Berlin begleitet. Dort arbeitet der Aktivist Hassino bei der Schwulenberatung und berät queere Geflüchtete. Filmemacherin Toprak führt die Zuschauer ganz nah an das Leben des 24-jährigen Hussein Sabat in Istanbul. Die Kamera ist dabei, wenn er sich für die Talent-Show schminkt und seine Performance probt. Und wenn Sabat seinen Eltern erzählt, dass er schwul ist, obwohl sein Vater gedroht hat, ihn zu vergiften.
Trotz all der bitteren Momente, die die queeren Geflüchteten erleben müssen, ist "Mr Gay Syria" ein ermutigender Film. Er zeigt, dass der Kampf um ein selbstbestimmtes Leben nicht an Staatsgrenzen aufhört. "Keiner will unsere Rechte anerkennen", sagt Mahmoud Hassino wütend, als alles schief geht. "Keiner kümmert sich um syrische LGBT-Flüchtlinge." Doch Hussein Sabat und seine syrischen Freunde ermutigen sich gegenseitig, um durchzuhalten. Sie wollen raus aus dem Gefängnis.
Es ist traurig, dass an diesem schlechten Beispiel die Perversion von Schönheitscontests deutlich gemacht wird. Wer stoppt diesen Wahn?
Dass ein Aktivist der Schwulenberatung Berlin diesen menschenverachtenden Wettbewerb organisiert hat, darüber wird wohl noch zu sprechen sein. Entspricht so etwas den ethischen Standards einer Hilfsorganisation? Wer schützt Schutzsuchende vor übergriffigem Verhalten auch aus der Community? Es gibt zahlreiche Berichte, wie LGBTI-Geflüchtete von Sugar-Daddys and -brothers nicht uneigennützig, sondern mit Sexinteressen vermeintlichIich geholfen wurde.
Ich hoffe, dem Opfer Hussein geht es gut.