Wolfgang Lauinger, eines der bekanntesten Opfer des Anti-Schwulen-Paragrafen 175, wäre am Mittwoch 100 Jahre alt geworden. Der am 5. September 1918 in Zürich geborene Schwule sorgte vergangenes Jahr für eine nationale Debatte, weil er zwar Anfang der Fünfzigerjahre wegen des Paragrafen 175 in der Bundesrepublik im Gefängnis saß, aber trotz des im Mai 2017 beschlossenen Gesetzes zur Rehabilitierung von Opfern der Schwulenverfolgung im "demokratischen" Deutschland nie für die Verfolgung entschädigt wurde. Nur wenige Wochen vor seinem Tod lehnte das Bundesamt für Justiz seinen Entschädigungsantrag ab (queer.de berichtete).
Formal hatte das Bundesamt das "Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen" (StrRehaHomG) richtig angewandt: Im Rahmen der Frankfurter Homosexuellenprozesse hatte Lauinger zwar nach einer Denunziation mehrere Monate in Untersuchungshaft gesessen. Weil der Belastungszeuge schließlich die Aussage verweigerte, wurde die Anklage fallengelassen, weswegen Lauinger wieder in Freiheit kam. Weil er nie verurteilt wurde, fiel er nicht unter das Rehabilitierungsgesetz.
Für den Rentner war diese Entscheidung in seinen letzten Lebenstagen ein Albtraum: "Man hat das Gesetz zu einer Farce gemacht. Wo liegt denn für einen normalen Menschen der Unterschied, wenn du fünf Monate im Gefängnis sitzt, ob du freigelassen wirst oder freigesprochen wirst?", fragte er damals gegenüber BuzzFeed. Der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas äußerte sich betroffen, dass das Gesetz Lauinger nicht helfen konnte.
Bereits als junger Mann von Nazis verfolgt
Lauinger, der seine Geschichte 2015 in der Autobiografie "Lauingers. Eine Familiengeschichte aus Deutschland" (Amazon-Affiliate-Link ) erzählte, hatte über Jahrzehnte Diskriminierung erleben müssen: Als "Halbjude" sowie "Swingkid", also Anhänger der oppositionellen Jugendkultur im Nationalsozialismus, war er bereits von der Gestapo verfolgt worden und musste mehrere Monate in Einzelhaft im Gefängnis verbringen. Die letzten Jahre des Regimes tauchte er unter.
Seit den Siebzigerjahren engagierte sich Lauinger politisch. Er trat auf zahlreichen Veranstaltungen auf, in denen er insbesondere Jugendlichen von seinem Leben erzählte – in einer Zeit, in der der Paragraf 175 zwar abgeschwächt worden war, aber immer noch im Strafgesetzbuch stand. Jahrzehntelang kämpfte er für die Rehabilitierung von Opfern des Unrechts-Paragrafen und eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Rolle von nationalsozialistischem Gedankengut insbesondere in der Justiz der frühen Bundesrepublik. In einem lebensgeschichtlichen Interview der Magnus-Hirchfeld-Stiftung beklagte er vor drei Jahren: "Nach 1945 habe ich erleben müssen, dass sich weder die Gefängniszellen noch die Richter in der jungen Bundesrepublik geändert hatten. Eindeutige Distanz zum so genannten Dritten Reich war also nicht zu erwarten."
Abseits der verweigerten Rehabilitierung fand Lauinger durchaus Ehre für sein Engagement. So erhielt er das Bundesverdienstkreuz und wurde zum Ehrenbürger seiner Heimatgemeinde Balduinstein (Rheinland-Pfalz), in der er auch beerdigt wurde. (dk)
Mehr zum Thema:
» Nachruf: Wolfgang Lauinger, 1918-2017 (22.12.17)
Informationen zu Amazon-Affiliate-Links:
Dieser Artikel enthält Links zu amazon. Mit diesen sogenannten Affiliate-Links kannst du queer.de unterstützen: Kommt über einen Klick auf den Link ein Einkauf zustande, erhalten wir eine Provision. Der Kaufpreis erhöht sich dadurch nicht.
Er und viele andere Opfer des Paragraph 175 sind bei der von Union und SPD beschlossenen Rehabilitierung leer ausgegangen...