Nicht mehr länger ein Verbrechen: Indien legalisiert Homosexualität (Bild: Liam Campbell / Elska)
Homosexuelle Handlungen sind auf dem 1,3 Milliarden Einwohner zählenden indischen Subkontinent ab sofort legal. Der Oberste Gerichtshof des Landes hat am Donnerstag einstimmig mit den Stimmen aller fünf Richter den indischen Paragrafen 377 aus dem Strafgesetzbuch für ungültig erklärt. Bislang standen auf "geschlechtliche Aktivitäten gegen die Natur" bis zu zehn Jahre Haft.
Das diskriminierende Gesetz zählte zu den ältesten Homo-Verboten der Welt – es war vor 158 Jahren von den britischen Kolonialherren eingeführt worden. Die Richter hatten mehrere Wochen lang über eine Beschwerde von mehr als einem Dutzend Schwuler und Lesben gegen das Verbot verhandelt.
"Diesen Geschlechtsverkehr zu kriminalisieren ist irrational, willkürlich und offenkundig verfassungswidrig", erklärte Chefrichter Dipak Misra bei der Verlesung des Urteils. In der Entscheidung heißt es wörtlich: "Jegliche Diskriminierung auf der Basis von sexueller Orientierung ist ein Verstoß gegen Grundrechte." Die "gesellschaftliche Moral" dürfe nicht dazu genutzt werden, Grundrechte "von auch nur einer Person" einzuschränken; die "verfassungsmäßige Moral" stehe über der "gesellschaftlichen Moral". Teile von Paragraf 377, die Sex mit Kindern und Tieren unter Strafe stellen, bleiben auch nach dem Urteil in Kraft.
Die BBC berichtete, dass vor dem Gerichtssaal hunderte LGBTI-Aktivisten das Urteil feierten. Nach einem Bericht der Zeitung "The Hindu" schallten die Worte "hipp, hipp, hurra" durch den Vorgarten des Gerichts. In sozialen Netzwerken werden Videos und Bilder von Feiern aus allen Teilen des Landes geteilt.
LGBTI-Aktivisten begrüßten das Urteil überschwänglich: Kalyani Subramanyami nannte die Entscheidung einen "Riesenmoment für uns alle" und erklärte, dass das indische Rechtssystem endlich die Grundrechte der Menschen achte. "Wir haben viel Hoffnung und das Urteil ist sehr, sehr ermutigend", so die Aktivistin in einem Statement auf Twitter.
Auch internationale Bürgerrechtsorganisationen betonten, wie wichtig das Urteil sei. So erklärte Meenakshi Ganguly von der in New York City ansässigen Organisation Human Rights Watch, dass die Entscheidung im zweitbevölkerungsreichsten Land der Welt Auswirkungen auf andere Länder haben könnte, in denen ebenfalls aus der britischen Kolonialzeit stammende Homo-Verbote noch immer gültig sind. Das Urteil setze ein Zeichen, um die "diskriminierende, rückwärtsgewandte Behandlung" von homo- und transsexuellen Bürgern zu beenden.
Aus dem Parlament gab es ebenfalls Zustimmung. Auf der offiziellen Twitter-Seite der größten Oppositionspartei Indischer Nationalkongress wurde das "fortschrittliche und entschiedene Urteil" der Richter begrüßt. Die Partei war allerdings vor wenigen Jahren weniger begeistert über LGBTI-Rechte: Noch 2011 bezeichnete der frühere Gesundheitsminister und heutige Oppositionsführer Ghulam Nabi Azad Homosexualität als "westliche Krankheit" (queer.de berichtete).
Erste Legalisierung bereits zwischen 2009 und 2013
Mit der Entscheidung geht ein jahrelanges Hin und Her um die Entkriminalisierung von Homosexualität zu Ende. Bereits 2009 hatte ein Gericht das Homo-Verbot abgeschafft (queer.de berichtete). Vier Jahre später führten die Höchstrichter des Obersten Gerichtshofs nach Beschwerden religiöser Gruppen den umstrittenen Paragrafen wieder ein (queer.de berichtete). Amnesty International nannte das Urteil vor rund fünf Jahren einen "schweren Schlag gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, gegen die Privatsphäre und die Menschenwürde".
Homosexualität ist in der indischen Gesellschaft noch immer ein großes Tabuthema, auch wenn es seit der vorübergehenden Legalisierung vermehrt in den Medien behandelt wurde. Viele Schwule und Lesben berichten von gesellschaftliche Ächtung und Diskriminierung. Immer wieder hetzten hochrangige Politiker gegen sexuelle Minderheiten.
Dennoch gab es in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte beim Kampf gegen Homophobie. Erst im Juni diesen Jahres strich die größte nationale Berufsvereinigung psychosozialer Fachkräfte Homosexualität von der Liste der Geisteskrankheiten und erklärte, Homosexualität sei ein "natürlicher Unterschied" und keine "Verirrung" (queer.de berichtete).
Paragraf 377 war ursprünglich selten angewandt worden: Zwischen 1861 und 2009 kam es insgesamt "nur" zu 200 Verurteilungen. Nach der Wiedereinführung 2013 gab es jedoch einen krassen Anstieg der Fälle: Allein 2015 wurden 1.347 Menschen nach dem Paragrafen festgenommen, darunter 14 Frauen und 14 Prozent Minderjährige. Die Polizei nutzte ihn offenbar zu Einschüchterung und Erpressung (queer.de berichtete). (dk)
Artikel wurde mehrfach aktualisiert
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