Ein Chefarzt darf nicht einfach von einem katholischen Krankenhaus gefeuert werden, wenn er nach seiner Scheidung eine andere Frau heiratet und damit nach Ansicht seines Arbeitgebers sündigt. Das hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg in einem am Dienstagvormittag bekannt gegebenen Urteil (C-68/17, PDF) entschieden. Eine solche Entlassung kann gegen EU-Recht verstoßen, so die Höchstrichter.
Das Urteil stärkt so auch indirekt den Diskriminierungsschutz von homosexuellen Angestellten in katholischen oder evangelischen Einrichtungen, die bislang in Deutschland aufgrund von Sonderbestimmungen im kirchlichen Arbeitsrecht vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ausgenommen sind – und damit Mitarbeiter auch wegen deren sexueller Orientierung diskriminieren dürfen.
Im vorliegenden Fall geht es um den katholischen Chefarzt einer Abteilung für Innere Medizin eines katholischen Spitals in Düsseldorf. Der Mediziner hatte im August 2008 standesamtlich eine ehemalige Assistenzärztin geheiratet. Im März 2009 erhielt er deswegen die Kündigung: Weil er in zweiter Ehe lebe, habe er seine Loyalität gegenüber seinem Arbeitgeber, dem Erzbistum Köln, verletzt. Das Bistum verlangte im Arbeitsvertrag vom Mitarbeitern, "dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten".
Der Arzt klagte gegen die Entlassung – und kämpfte sich neun Jahre lang durch die Instanzen. Das Bundesverfassungsgericht entschied 2014, dass die Kirche nach deutschem Recht und deutscher Verfassung den Chefarzt für seine Wiederheirat kündigen durfte (queer.de berichtete). Die Karlsruher Höchstrichter schickten den Fall zurück ans Bundesarbeitsgericht, das anders entschieden hatte. Dieses Gericht schaltete daraufhin die Luxemburger Richter ein und wollte wissen, ob deutsches Recht mit EU-Recht zu vereinbaren sei.
Chefarzt erlitt Diskriminierung wegen seiner Religion
Der Europäische Gerichtshof stellte zwar fest, dass ein kirchlicher Arbeitgeber an seine "leitend tätigen Beschäftigten je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit unterschiedliche Anforderungen an das loyale und aufrichtige Verhalten" im Sinne ihres Ethos stellen dürfe. Bei einem Chefarzt scheine es aber "keine wesentliche Anforderung der beruflichen Tätigkeit zu sein", nach dem Eheverständnis der Kirche zu leben. Im vorliegenden Fall sei wohl gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen worden, das in der Grundrechtecharta der Europäischen Union verankert ist.
Der Chefarzt, so die EU-Richter, werde wegen seiner Religion diskriminiert, weil für ihn als Katholik in dem katholischen Krankenhaus strengere Regeln gelten würden als für andere. Der Hintergrund: Die Klinik beschäftigt auch evangelische oder konfessionslose Mediziner, die in zweiter Ehe leben, bestraft sie aber wegen dieser "Sünde" nicht.
EuGH: Deutsches Gericht soll diskriminierendes deutsches Recht "unangewendet lassen"
Der Fall geht nun an das Bundesarbeitsgericht zurück. Dieses muss "im Einklang mit der Gleichbehandlungsrichtlinie" der EU den Fall neu entscheiden. Die Europarichter weisen dabei das Gericht an, diskriminierende Passagen im deutschen Recht zu ignorieren: Das Arbeitsgericht habe diese Stellen des Gesetzes "unangewendet zu lassen".
Bereits im April hatten die Europarichter in einem ähnlichen Fall gegen die evangelische Kirche entschieden: Eine konfessionslose Frau hatte dagegen geklagt, dass die Kirche ihr eine Position beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung wegen ihrer Nicht-Zugehörigkeit zur Kirche verweigert hatte, obgleich sie qualifizierter war als die evangelischen Bewerber (queer.de berichtete).
Unklar bleibt allerdings nach den beiden Urteilen, wie weit das kirchliche Sonderabreitsrecht gehen darf. So wird allgemein akzeptiert, dass ein Pfarrer der jeweiligen Konfession angehören müsse. Je verkündungsferner der jeweilige Job ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass eine Diskriminierung aufgrund der Religion – oder des Ehestatus oder der sexuellen Orientierung – gegen EU-Recht verstößt. Eigentlich müsste die Politik für klare Regeln in solchen Fällen sorgen, allerdings scheitert eine gesetzliche Regelung, in denen kirchlichen Mitarbeitern gleiche Rechte wie anderen Angestellten eingeräumt wird, bislang an der Lobbyarbeit der Kirchen.
Insbesondere die katholische Kirche hatte ihr Arbeitsrecht in den letzten Jahren immer wieder genutzt, um homosexuelle Mitarbeiter zu drangsalieren. So entließ die Kirche sogar die Putzfrau (!) eines Kindergartens, weil sie mit ihrer Partnerin zum Standesamt gehen wollte. Zwar entschied die katholische Bischofskonferenz 2015, dass sie in verkündungsfernen Bereichen Homosexuelle künftig weniger diskriminieren wolle (queer.de berichtete). Am Recht auf arbeitsrechtlicher Diskriminierung von "Sündern" hielt die Kirche aber fest.
Insgesamt beschäftigen evangelische und katholische Kirche 1,3 Millionen Mitarbeiter, die große Mehrheit davon in verkündungsfernen und fast ausschließlich vom Steuerzahler finanzierten Einrichtungen wie Krankenhäusern oder Kindergärten. Die Kirchen sind damit der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland nach dem öffentlichen Dienst.
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Was ist denn trauriger? Dass dieser Arzt sein Lebensglück noch einmal gefunden hat, als er die zweite Frau kennen und lieben lernte, und sie heiratete, oder dass ihm aufgrund dessen, dass er sich zu der Liebe bekennt, verboten wurde, anderen Menschen in seinem Berufsfeld dort zu helfen?
Diese "Kirche" ist dermaßen verkommen, verlogen und institutionell verdorben, das kann man in Worten schon gar nicht mehr umfassen.