Nach dem deutschen Vornamensrecht müssen Namen eigentlich eindeutig weiblich oder eindeutig männlich sein (Bild: Bridget Coila / flickr)
"Chris", "Leo" oder "Toni": Seit zwei Jahren registriert die Namensberatung des namenkundlichen Zentrums der Universität Leipzig "extrem viele Anfragen" nach geschlechtsneutralen Vornamen. Oft riefen Menschen an, die ihr Geschlecht anpassen wollten und nun eine geschlechtsneutrale Alternative zu "Christian", "Leonie" oder "Antonia" suchten, sagte die Leipziger Namensberaterin Gabriele Rodriguez dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Und es riefen Eltern an, die einen Namen suchten für ihr Kind mit Merkmalen beiderlei Geschlechts. Mit der Einführung des zusätzlichen Eintrags "divers" ins Geburtsregister, wie es die Bundesregierung bis Ende des Jahres im Personenstandsgesetz festschreiben will, erwartet Rodriguez eine steigende Nachfrage – und eine Novelle der Eintragungs-Richtlinien.
Schon jetzt lassen die Standesbeamten oft einen geschlechtsneutralen Namen ohne einen das Geschlecht markierenden Zweitnamen zu. Den Weg dafür ebnete "Kiran". Diesen Namen wollten indische Eltern ihrer Tochter in Deutschland geben. Doch das Standesamt ging nicht mit: "Kiran" sei auch in Indien nicht eindeutig einem Mädchen oder einem Jungen zuzuordnen. Deshalb sollten die Eltern einen klärenden Zweitnamen wählen. Das lehnten sie aus religiösen Gründen ab, beriefen sie sich auf ihr Recht auf freie Namenswahl und gingen bis vor das Bundesverfassungsgericht. Das gab ihnen 2008 Recht.
Viele Standesbeamte bestehen seither nicht mehr wie früher auf einem Zweitnamen, der das Geschlecht eindeutig benennt. "Wir empfehlen es aber immer", sagt Studienleiterin Beate Tripp vom Bundesverband der Deutschen Standesbeamtinnen und Standesbeamten. Das Kind müsse ja später den zweiten Namen nicht öffentlich machen, habe aber die Chance, ihn mit dem Erstnamen zu tauschen. Laut Tripp greift zum 1. November dieses Jahres eine Neuregelung, wonach die Vornamenssortierung bei mehreren Vornamen erleichtert werden soll. Dagegen bleibe der Nachtrag eines Zweitnamens weiterhin schwierig, sagt sie.
Hälfte der Namen unisex-fähig
Die Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden erstellt jährlich ein Ranking der beliebtesten Vornamen in Deutschland – getrennt nach Jungen und Mädchen. Laut Mitarbeiterin Frauke Rüderbusch steigt die Zahl der für beide Geschlechter möglichen Vornamen stetig, mittlerweile hält sie "gut die Hälfte" der jeweils 200 Namen umfassenden Listen für unisex-fähig. Für die Wissenschaftlerin ist ein Name dann geschlechtsneutral, wenn er in unterschiedlichen Kulturkreisen für männlich und weiblich gewählt wird – auch wenn er in Deutschland eher einem Geschlecht zuneigt.
"Mika" etwa liegt im Vornamens-Ranking aktuell auf Platz 43 der beliebtesten Jungen-Namen. In Japan und den USA ist "Mika" aber ein Mädchen-Name. Anders herum geht es "Lisa" – hierzulande Platz 48 der Mädchenname, in Teilen Afrikas traditionell ein Jungenname. Eltern können in Deutschland deshalb den Namen ihrem Sohn oder ihrer Tochter geben. Andrea ist in Italien ein bekannter Jungen-, in Deutschland ein bekannter Mädchenname.
Die Phase, in der ein Name an Mädchen und Jungen in einem Kulturkreis gleichzeitig vergeben wird, ist aus Perspektive der Sprachwissenschaftlerin Miriam Schmuck aber nur kurz. Bei insgesamt 2.000 von ihr untersuchten Namen fand sie nur 18 zeitliche Überschneidungen, darunter "Sascha", "Jordan", "Alexis" und "Janne". Ansonsten würden in jedem Kulturkreis die Namen irgendwann mit einem Geschlecht stärker assoziiert.
Schmuck forscht an der Universität Mainz zu geschlechtsneutralen Vornamen – und findet noch einen ganz anderen Grund für deren Erfolg: "Viele Eltern legen Wert auf individuelle Namen für ihre Kinder. Deshalb greifen sie auf andere Kulturkreise zurück oder suchen etwas Exotisches."
Zudem stellten die Mainzer Forscher eine phonetische Annäherung von Mädchen- und Jungennamen fest. Während zwischen "Gertrude" und "Harald" lautsprachlich Welten lagen, kommen sich "Mia" und "Mika" schon näher. Zudem sieht Schmuck einen anhaltenden Trend zu weichen Klängen mit den Konsonanten L, M und J und zu zweisilbigen Namen. Die seien per se schon eher für beide Geschlechter verwendbar.
Geschlechtsneutrale Namen für Eltern intersexueller Kinder eine Erleichterung
Aber nicht für alle intersexuellen oder auch transsexuellen Menschen spielen die Unisex-Namen eine große Rolle. "Viele, die sich später für ein anderes Geschlecht entscheiden, wählen dann einen sehr weiblichen oder eben sehr männlichen Namen, mit dem sie ihr neues Geschlecht unterstreichen", sagt Gerda Janssen-Schmidchen von der Beratungsstelle für Intersexualität in Niedersachsen. Die in der Praxis erleichterte Vergabe geschlechtsneutraler Namen an intersexuelle Kinder sei für die Eltern aber oft eine Erleichterung, weil sie dem Kind damit den Weg öffneten, sich selbst später für ein Geschlecht zu entscheiden – ohne den Namen ändern zu müssen.
Die Option sei jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, sagt Janssen-Schmidchen. Denn nach wie vor müssten die Eltern binnen einer Woche entscheiden, ob sie für ihr Kind einen Geschlechtseintrag, eine Freilassung oder – wie vom Gesetzgeber geplant – künftig die Geschlechterzuerkennung "divers" vornehmen. "Diese Zeitspanne ist viel zu kurz", sagt die Beraterin, "medizinische Untersuchungen bei Zweifeln am Geschlecht sind in dieser Zeit nicht zu schaffen."
- Ähm, ich glaube nicht, dass wir es hier wirklich mit einem neuen Trend zu tun haben. Das wirkt doch schon alles sehr aufgebauscht, muss ich sagen. Die Anzahl intergeschlechtlicher Säuglinge bewegt sich nun mal im unteren Promillebereich, und ganz sicher wählen 99% aller Eltern den Namen aus ganz anderen Gründen, als unbedingt dem "Ziel Geschlechtsneutralität" gerecht zu werden. Ich habe wirklich noch nie was von Eltern gehört, die bei der Geburt ihres Kindes daran dachten, dass es möglicherweise später mal im Leben ein anderes Geschlecht haben wird. Sind schon arg weltfremde Schlüsse, die im Artikel gezogen werden.