Der Amerikaner Claibourn Robert Hamilton und sein rumänischer Ehemann Adrian Coman hatten Rumänien verklagt, um dort gemeinsam leben und arbeiten zu können
Das rumänische Verfassungsgericht hat am Donnerstag in einer schriftlichen Urteilsbegründung festgestellt, dass der Begriff der "Familie" in der Verfassung homosexuelle Paare umfasst und diese auf Dauer Rechte und Pflichten erhalten sollten. Damit konterkariert das Gericht ein für nächstes Wochenende geplantes homofeindliches Referendum, das von den Höchstrichtern selbst genehmigt worden war und genau das verhindern sollte.
Die Sache ist allerdings – entgegen machen internationalen Medienberichten, die von einer angeordneten Gleichstellung von homo- mit heterosexuellen Paaren sprechen – kompliziert und in den rechtlichen und politischen Konsequenzen noch nicht überschaubar. Zugleich macht das Urteil, wie es eine rumänische LGBTI-Organisation ausdrückte, das Referendum "nun völlig absurd".
Am 6. und 7. Oktober sollen die 18,5 Millionen Wähler über eine Verfassungsänderung abstimmen, die den bislang geschlechtslos definierten Artikel 48 der Verfassung in die folgende Passage abändern soll: "Die Familie basiert auf der frei vereinbarten Ehe zwischen einem Mann und einer Frau." Das darin enthaltene Ehe-Verbot für homosexuelle Paare würde damit ein bereits bestehendes einfachgesetzliches Eheverbot in der Verfassung zementieren und auch Familie auf ewig als Verbindung aus Mann und Frau definieren.
Die aktuelle Fassung von Verfassungsartikel 48
Das Eheverbot besteht sogar doppelt: Artikel 259 des Bürgerlichen Gesetzbuches definiert die Ehe als Verbindung aus Mann und Frau, Artikel 277 verbietet seit seit einigen Jahren die gleichgeschlechtliche Ehe und die Anerkennung von im Ausland geschlossenen gleichgeschlechtlichen Ehen und Lebenspartnerschaften von Bürgern und Ausländern.
Dennoch hatten Homo-Gegner rund um die von der orthodoxen Kirche getragenen "Koalition für die Familie" 2016 insgesamt drei Millionen Unterschriften zur Abhaltung eines Referendumgs gesammelt, um dem Ehe-Verbot für Schwule und Lesben Verfassungsrang zu geben (queer.de berichtete). Nach langem politischen Hin und Her stimmten schließlich das Unterhaus und am 11. September auch der Senat für eine entsprechende Verfassungsänderung, die am nächsten Wochenende den Wählern vorgelegt wird (queer.de berichtete)
Ein kompliziertes Urteil mit Vorlauf
Das nun schriftlich vorgelegte Urteil bezieht sich auf eine Entscheidung des Verfassungsgerichts aus dem Juli, wonach ein binationales schwules Ehepaar, das im Ausland geheiratet hat und einen Nicht-EU-Bürger umfasst, in Rumänien leben und arbeiten darf (queer.de berichtete). Das Gericht hatte zuvor die Frage, ob die EU-Freizügigkeit auch für Partner in einer homosexuellen Beziehung gilt, dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorgelegt. Die EU-Richter entschieden im Juni, dass der Begriff "Gatte/Gattin" (spouse) in der entsprechenden Bestimmung auch für homosexuelle Paare gelte und auch für Länder, die diese Beziehungen nicht rechtlich anerkennen (queer.de berichtete).
Außerdem verwiesen die Luxemburger Richter auf Artikel 7 der Europäischen Grundrechtecharta, der das Privat- und Familienleben von EU-Bürgern schützt. Wie auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden habe, falle dabei "die von einem homosexuellen Paar geführte Beziehung genauso unter die Begriffe 'Privatleben' und 'Familienleben'" wie eine Beziehung Heterosexueller.
In dem am Donnerstag schriftlich vorlegten Urteil bekräftigten die rumänischen Höchstrichter nun, dass der entsprechende europäische Grundrechteartikel und entsprechende Passagen der Menschenrechtskonvention (Artikel 8) in der homosexuelle Paare umfassenden Deutung in Rumänien gelten. Zugleich betonten sie, dass der davon abgeleitete rumänische Verfassungsartikel 26 ebenfalls homosexuelle Paare in die Definition von Privat- und Familienleben einbezieht. Der Artikel besagt, dass der Staat das Privat- und Familienleben der Bürger schützen und anerkennen solle.
Schützt nun auch homosexuelle Familien: Artikel 26 der rumänischen Verfassung
Die Richter führen diese – zunächst rein abstrakte – Einführung eines modernen Familienbegriffes auf rumänische Verfassungsebene aber noch etwas weiter aus und betonen: "Gleichgeschlechtliche Paare, die das Recht auf Privat- und Familienleben genießen und eine stabile Partnerschaft bilden, haben das Recht, ihre Persönlichkeit innerhalb dieser Beziehungen auszudrücken und, mit der Zeit und in durch Gesetze festgelegten Weisen, eine rechtliche und gerichtliche Anerkennung ihrer korrespondierenden Rechte und Pflichten zu genießen."
Ehe für alle bleibt Utopie – der Rest könnte in Bewegung kommen
Rechtsexperten gehen davon aus, dass eines der Referendums-Ziele, neben der Ehe auch die Familie heterosexuell zu definieren und so die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare zu verhindern oder zu erschweren, hinfällig ist: Das aktuelle Urteil unter Verweis auf europäisches Recht habe hier einen klaren definierenden Vorrang. Das Urteil schafft – wie das ursprüngliche aus Luxemburg – allerdings kein Recht auf die Ehe für alle.
Konkret deutet das Urteil den im vorliegenden Fall zur Prüfung vorgelegten Artikel 277 des Civil Codes, der die Anerkennung von Homo-Ehen verbietet, in der Frage der EU-Freizügigkeit verfassungsgemäß um. Ansonsten düfte das Urteil aus Sicht von Rechtsexperten in der Praxis zunächst nur bedeuten, dass homosexuelle Paare mindestens die gleichen Rechte und Pflichte erhalten wie unverheiratete heterosexuelle Paare – und das sind praktisch keine.
Die Entscheidung könnte allerdings eine politische Debatte zur Einführung von Lebenspartnerschaften für homosexuelle (und eventuell heterosexuelle) Paare neu beleben und beim Ausbleiben eine Basis für weitere positive Urteile bilden. Und die Entscheidung könnte das Empfinden der Bürger zum anstehenden Referendum verändern. Das Urteil sei "extrem wichtig", weil es betone, dass "eine gleichgeschlechtliche Familie genauso viel wert ist wie eine heterosexuelle", meint Teodora Ion-Rotaru von der Organisation Accept.
Die Debatte rund ums Referendum bringt der Community auch Unterstützer
Führende LGBTI- und Menschenrechtsorganisationen hatten dazu aufgerufen, das Referendum durch zu-Hause-bleiben zu boykottieren. Nicht nur, um ein Zeichen gegen die Abhaltung einer Abstimmung über Menschenrechte zu setzen, sondern auch, weil das Nicht-Erreichen der Mindestteilnahme von 30 Prozent der registrierten Wähler die einzige Möglichkeit scheint, das Ehe-Verbot scheitern zu lassen. Danach entscheidet die einfache Mehrheit – und das Land gilt noch immer als eines der homophobsten Europas.
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Leider steht die Gesellschaft dort dermaßen unter dem Einfluss der orthodoxen Kirche, die die Kampagne maßgeblich unterstützt hat, dass sich Dummheit und Intoleranz wieder mal durchsetzen konnten.
Zumindest bietet dieses Urteil einen edlen Anstoß zum Umdenken für alle Beteiligten, die frei denken können und wollen.
Ich fürchte nur, dass es das Referendum leider kaum beeinflussen wird.