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Bundestagsdebatte

Wie selbstbestimmt wird der dritte Geschlechtseintrag?

Bei der ersten Lesung zur Reform des Intersexuellenrechts deutet die Regierung Kompromissbereitschaft an. Nur die AfD schießt mit Begriffen wie "genderideologischer Stuss" quer.


40 Minuten lang diskutierte der Bundestag über die Reform des Intersexuellenrechts

Der Bundestag hat am frühen Donnerstagabend erstmals über die Reform des Intersexuellenrechts debattiert. Politiker aus Union und SPD deuteten an, dass man in den Ausschüssen noch mit weiteren Änderungen beim Gesetzentwurf (PDF) auf Forderungen von Inter-Aktivisten zugehen könne. Auch das völlig veraltete Transsexuellengesetz werde man sich in dieser Legislaturperiode noch vornehmen.

Anlass für die Initiative war eine vor rund einem Jahr verkündete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, nach der der Gesetzgeber einen dritten Geschlechtseintrag ermöglichen müsse (queer.de berichtete). Nach langen Diskussionen innerhalb der Großen Koalition einigte sich das Bundeskabinett schließlich auf eine kleine Lösung mit dem Geschlechtseintrag "divers", die von LGBTI-Aktivisten allerdings als bei weitem nicht ausreichend bezeichnet wurde – insbesondere die Pflicht, ein Attest vor einer Änderung des Geschlechtseintrags vorzulegen, wurde scharf kritisiert (queer.de berichtete).

Im Vorfeld der Debatte veröffentlichten sechs Verbände, darunter die Bundesvereinigung Trans*, der Bundesverband Intersexuelle Menschen e.V. und der LSVD, einen Offenen Brief (PDF) an die Vertreter aller demokratischen Fraktionen im Bundestag, in dem sie ihre "großer Sorge" über den Entwurf zum Ausdruck brachten. Die Verbände kritisierten, dass es im neuen, zu eingeschränkten Gesetz "diskriminierende Voraussetzungen" für den Geschlechtseintrag "divers" gebe und forderten, dass kein Zwangsgutachten mehr für die Änderung eines Geschlechtseintrags nötig sein solle. Außerdem müssten das Transsexuellengesetz aufgehoben, Beratungsangebote ausgeweitet und intergeschlechtliche Kinder besser geschützt werden.

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Henrichmann: Gegen "Schnellschüsse und einfache Lösungen"

Als erster Redner trat der westfälische CDU-Abgeordnete Marc Henrichmann ans Pult und verteidigte zunächst die Notwendigkeit, am Geschlechtseintrag generell festzuhalten – etwa, um Frauenförderung weiterhin betreiben zu können. Dieser Eintrag müsse auf "ernsthaften und validen" Kriterien beruhen. Der Gesetzentwurf sei recht klein ausgefallen, weil wegen der von Karlsruhe festgelegten Deadline bis Ende dieses Jahres keine Zeit für schnellere Lösungen da sei. Henrichmann stellte klar, dass es noch weiteren Reformbedarf, etwa beim Transsexuellengesetz, gebe.


Die von LGBTI-Aktivisten scharf kritisierte Attestpflicht verteidigte der Christdemokrat – und erklärte schlicht, das Atteste in den meisten Fällen schon vorlägen. "Schnellschüsse und einfache Lösungen" müssten vermieden werden.

In einem Zwischenruf beklagte Ulle Schwauws daraufhin kurz, dass kein Vertreter der Regierung zum Thema spreche. Die Grünenpolitikerin warf der Regierung daher vor, "keinen Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht" zu haben. Der für das Gesetz verantwortliche Innenminister, der CSU-Politiker Horst Seehofer, war zur Debatte nicht erschienen.

Anschließend witterte die AfD-Politikerin Beatrix von Storch in einer geradezu diabolischen Rede eine große Verschwörung von "Gender-Ideologen", die angeblich das Leiden intersexueller Menschen instrumentalisierten. "Morgens Mann, abends Frau und bei Vollmond noch ganz anders", das sei laut der 47-Jährigen der Wunschtraum von Politikern auf der linken Seite des Bundestages. Das Geschlecht, so die Rechtspopulistin weiter, sei aber "keine Lifestyleentscheidung verwirrter Akademiker".

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Storch: "Kreuzzug gegen die Zweigeschlechtlichkeit"

In Wirklichkeit wollten linke Politiker laut Storch die Zweigeschlechtlichkeit abschaffen. Das sei aber nicht möglich, weil es laut der deutschen Verfassung "nur Männer und Frauen" gebe. "Das Grundgesetz kennt nur zwei Geschlechter und nicht viele, und das ist auch gut so", so Storch. Die Einführung der Geschlechtsoption "divers" sei "genderideologischer Stuss" und ein "Kreuzzug gegen die Zweigeschlechtlichkeit". Der Bundesregierung warf die Abgeordnete aus Berlin vor, Gott spielen zu wollen. "Natürliche Grenzen akzeptieren Sie nicht", so Storch. "Ihrem Wahn von Machbarkeit opfern sie alles."

Die SPD-Politikerin Elisabeth Kaiser ging nicht auf ihre wütende Vorrednerin ein, sondern erklärte schlicht, es sei gut, dass bald ein dritter Geschlechtseintrag möglich werde. Die Thüringer Abgeordnete forderte aber weitere Schritte, um zu "wirklicher Selbstbestimmung" zu kommen. Die 31-Jährige regte an, Vorschläge aus der LGBTI-Community aufzugreifen – und vielleicht doch gänzlich auf einen Geschlechtseintrag zu verzichten.


Die Geschlechtsidentität sei "nicht allein an biologischen Merkmalen festzumachen", so Kaiser, sondern basiere auf der "individuellen Selbstwahrnehmung einer Person". Daher halte sie statt eines Gutachtens andere Voraussetzungen für die Änderung des Eintrages – etwa eine eidesstattliche Versicherung – für besser. Sie verwies darauf, dass inter- und transgeschlechtliche Menschen viele Probleme mit Ämtern und Schwierigkeiten in der Gesellschaft hätten. Daher sei ein freier Geschlechtseintrag ein "Ausdruck von Akzeptanz und Gleichberechtigung".

Brandenburg: "Hasstiraden verstehe ich nicht wirklich"

Der FDP-Abgeordnete Jens Brandenburg wunderte sich zu Beginn seiner Rede offenbar mit Blick auf die AfD und einige Unionspolitiker, warum so viele Menschen Probleme mit dem Geschlecht anderer Leute hätten. "Hasstiraden verstehe ich nicht wirklich", so der Sprecher für die Rechte von LGBTI in der liberalen Fraktion. Immerhin würden gesetzliche Änderungen nur Auswirkungen auf Intersexuelle, Transsexuelle und Standesbeamte haben, aber sonst auf niemanden.


Mit Blick auf die Attestpflicht appellierte er an die Politiker, weniger gebannt auf die Genitalien zu blicken: Geschlechtliche Identität "findet mehr zwischen den Ohren als zwischen den Beinen statt", so Brandenburg. Die "externe Begutachtung" bezeichnete er als "Gängelung trans- und intersexueller Menschen". Der 32-Jährige kritisierte die Große Koalition, dass sie fast ein Jahr nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil nur eine "Schmalspurlösung" zustande gebracht habe, obwohl genug Zeit da war. Die SPD kritisierte der Liberale, weil sie die Gutachterpflicht mittrage – und damit die Betroffenen "im Stich" lasse. An die Sozialdemokraten gerichtet sagte der baden-württembergische Parlamentarier: "Machen Sie der Union Dampf und lassen sie sich nicht erneut über den Tisch ziehen."

Auch die Linkspolitikerin Doris Achelwilm bedauerte, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung "sehr eng" gefasst sei. Dies entspreche weder der Realität noch der "Logik des Bundesverfassungsgerichts", das mehr Selbstbestimmung verlangte. Statt der "schikanösen Verfahren" der Zwangsgutachten forderte sie, dass Selbstaussagen der Betroffenen ausreichend sein sollten. Das spare "Geld und Unannehmlichkeiten".

Außerdem stellte die 41-jährige Abgeordnete aus Bremen weitere Forderungen an die Bundesregierung – etwa ein OP-Verbot für intersexuelle Kinder und die Streichung des Transsexuellengesetzes aus dem Jahr 1981. Dies pathologisiere Menschen und sei ohnehin nach etlichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nur noch eine "Ruine". Sie hoffe daher auf einen "substanziell geänderten Gesetzentwurf". Achelwilm verwies dabei auf den aktuellen Antrag der Linken zum Thema (PDF); die Überschrift des Papiers lautet "Selbstbestimmung, Gleichbehandlung, körperliche Unversehrtheit".

"Haben Sie schon mal nachgewiesen, ob Sie Mann oder Frau sind?" Mit diesen Worten begann der NRW-Abgeordnete Sven Lehmann (Grüne) seine Rede. Die Bundesregierung sehe in ihrem Entwurf einen genau solchen Nachweis vor, schaffe damit aber für die Betroffenen "neue Probleme". Intersexuelle Menschen würden pathologisiert und bevormundet. "Intersexuelle sind nicht krank. Krank ist ein System, das Menschen in zwei Schubladen stecken will", so Lehmann. Der 38-Jährige hatte einen Tag zuvor in seiner Heimatstadt Köln an einer Protestaktion teilgenommen, in der er symbolisch neue Geburtsurkunden ausstellte – die "Aktion Standesamt 2018" findet in dieser Woche in mehreren Städten statt und endet am Samstag in einer großen Abschlussveranstaltung in Berlin (queer.de berichtete)


Eine kuriose Szene spielte sich während Lehmanns Rede ab: Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau kritisierte als Sitzungsleiterin, dass der Grünenpolitiker ein T-Shirt trug, auf dem das Symbol der Trans-Bewegung abgebildet war – in den Farben der Kampagne "Dritte Option", die in Karlsruhe geklagt hatte. Pau erklärte, dass politische Symbole nicht erlaubt seien und dass Lehmann bitte seine Jacke schließen sollte. Doch selbst mit geschlossener Jacke war das Symbol immer noch gut sichtbar, wurde aber nicht mehr beanstandet.

Die hessische Abgeordnete Bettina Wiesmann (CDU) ging anschließend in der Frage des Zwangsattests auf den sozialdemokratischen Koalitionspartner zu: Zwar sei bei Intersexualität meist eine Geschlechtszuweisung durch eine einfache Blutuntersuchung möglich, allerdings erkannte sie an, dass viele Betroffene sehr schlechte Erfahrungen mit Ärzten gemacht hätten. Dies sei also "ein Punkt, über den noch gesprochen werden sollte".


Auch bei Operationen an intersexuellen Kinder müsse "etwas geschehen", ebenso wie beim Transsexuellengesetz. "Die Bundesregierung ist dran", versprach Wiesmann. Bei einer Sache zeigte sie sich jedoch kompromisslos: "Einen Geschlechtseintrag ins Geburtenregister brauchen wir."

Rüthrich: Nur kranke Menschen brauchen Atteste

Bei der Frage der Zwangsatteste hakte die SPD-Politikerin Susann Rüthrich ein. Sie forderte den Koalitionspartner auf, sich zu bewegen. Schließlich bräuchten nur kranke Menschen Atteste – Intersexuelle seien aber nicht krank. Sie schlug daher vor, dass eine eidesstattliche Versicherung oder Beratung ausreichen würde. Insgesamt kritisierte sie, dass sich der vorliegende Gesetzentwurf zu sehr auf "körperliche Merkmale" konzentriere. "Geschlechtsidentität ist aber mehr", so Rüthrich. Immerhin sei das Gesetz aber "ein Schritt in die richtige Richtung".

Als letzter Redner sprach der CSU-Politiker Volker Ullrich, der den Reformbedarf in dieser Frage entschlossen verteidigte. "Es geht nicht um Genderideologie, sondern um die Verwirklichung von Grundrechten und Schutz vor Diskriminierung in unserem Land", so der Augsburger. "Es geht um die Anerkennung von Vielfalt." Auch er kündigte mit Blick auf das Zwangsattest an, "dass wir darüber nochmal sprechen müssen". Eine "Beratungslösung" könne hierbei zu einer "befriedigenden Situation" beitragen, so Ullrich.

Diese Äußerungen des Christsozialen sorgten für Unruhe in der AfD. Beatrix von Storch meldete sich zu Wort und fragte empört, ob dann Männer ihren Geschlechtseintrag ändern dürften, damit sie an Sportereignissen als Frauen teilnehmen können. Diese Frage wischte Ullrich beiseite: Sie werde der "Ernsthaftigkeit des Themas" nicht gerecht. Im Gesetz gehe es um ganz andere Dinge: "Es geht um Wertschätzung, Akzeptanz und Würde und nicht um eine herablassende Frage", so der CSU-Politiker.


Am Ende der Aussprache wurde der Gesetzentwurf in die Ausschüsse verwiesen. Federführend ist der Ausschuss für Inneres und Heimat.

#1 felix-cgnAnonym
  • 12.10.2018, 01:31h
  • Es berührt mich, mit welcher Sachlichkeit der Bundestag diesem wichtigen Thema gerecht wird - über Parteigrenzen hinweg.
    Bravo!

    Die braune Genderideologin von Storch ist da mit Ihrer Hetze á la Trump zu verwinden.
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#2 Gerlinde24Ehemaliges Profil
  • 12.10.2018, 04:53h
  • Das Storchenkind sollte mal ihren Verstand untersuchen lassen! Nur, weil die vorherigen Regierungen sich schlicht weigerten, Intersexuelle anzuerkennen, und eine Eindeutigkeit in Richtung Frau oder Mann bei der Geburt forderten, - was viel Leid und manchen Selbstmord verursachte-, heißt das noch lange nicht, dass es richtig war. Heute weiß man mehr, ist man wissenschaftlich weiter (außer Frau von Storch und ihre Alternative für Deppen), und dem versucht man Rechnung zu tragen, auch auf Druck des deutschen Supreme Courts. Meiner Meinung nach nicht weit genug, aber besser als nichts, ist es allemal.
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#3 Ith__Ehemaliges Profil
  • 12.10.2018, 08:00h
  • Ein paar nette Worte, ein paar ziemliche Klötze mal wieder auch aus der CDU, und am Ende aber natürlich alles so gelassen, wie es ist.
    Was niemanden wundern braucht, denn es gibt nunmal parteiübergreifenden Fraktionszwang, bei dem die SPD noch so nett reden kann, solange sie dem folgt. Die Gesetze machen Merkel und Seehofer.

    Respekt an den Menschen, der sich das offenbar echt ausführlich angetan und dokumentiert hat. Solange die freundlichen Worte allerdings bloß von Menschen kommen, die ohnehin nicht entscheidungsbefugt sind, während diejenigen, die tatsächlich entscheiden, es nichtmal nötig haben, anwesend zu sein, kann man leider nichtmal verbale Zugeständnisse seitens CDU oder CSU ernstnehmen. Einmal die konservativen Wähler mit Hetze besänftigt, einmal die liberaleren mit Gewissen durch vorgebliches Verständnis... aber passieren wird am Ende dann bloß doch wieder - nichts.
    Sobald es das Gesetz erstmal gibt, bleibt auch dem Verfassungsgericht keine Handhabe mehr, die Regierung da zu irgendetwas zu zwingen. Und dann dürfen Betroffene sich mal wieder jahrelang durchklagen, damit das Verfassungsgericht in ein paar Jahren hoffentlich Teile davon für ungültig erklärt, worauf beim Ablauf der Frist Streichung erfolgt. Falls im Verfassungsgericht dann überhaupt noch genügend Menschen sitzen, die das mit der Menschenwürde ernst nehmen, denn andernfalls braucht man auch einfach mal mit gar nichts rechnen.

    Einfach nur zum Heulen.
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