Während öffentlicher Aktionen und auch einzeln und privat haben in dieser Woche über 100 Menschen auf Standesämtern in ganz Deutschland eine Richtigstellung ihres Geschlechtseintrags im Geburtenregister beantragt. Zu der "Aktion Standesamt 2018" hatten mehrere Verbände aufgerufen.
"Wir sind überwältigt! Allein 104 Anträge auf eine 'dritte Option', auf männlich/weiblich ohne Gutachten oder die Streichung des Eintrags wurden durch unser Jura-Team begleitet", teilte das Organisationsteam bereits am Freitag mit. Die Bezeichnungen "nicht-binär" (26) und "divers" (20) seien am meisten benannt worden. "Soziale Medien zeigen uns, dass deutlich mehr Anträge eingereicht wurden", freute sich Eliad Baumann über das Ergebnis der Aktionswoche zum ersten Jahrestag des Bundesverfassungsgerichtsentscheid zur "Dritten Option".
Einzelne Standesämter weigerten sich laut der Kampagne unter Verweis auf das Transsexuellengesetz, Anträge überhaupt entgegen zu nehmen: Während Standesämter in Bremen und Bad Homburg die Anträge entgegen nahmen, seien Menschen beispielsweise in Kiel weggeschickt worden. "Es ist rechtlich unhaltbar, wenn Behörden – wie leider geschehen – sich weigern, Anträge entgegen zu nehmen. Es ist für einen Rechtsstaat elementar, dass behördliche Entscheidungen gerichtlich überprüft werden können. Das darf die Behörde nicht dadurch vermeiden, Personen mit unbequemen Anliegen einfach wegzuschicken.", erklärt die Rechtsanwältin Friederike Boll aus dem Jura-Team der Kampagne.
Protestwoche zur Sitzungswoche und zum Karlsruhe-Jahrestag
Mit der Protestwoche, die auf die "Aktion Standesamt" des LSVD aus dem Jahr 1992 anspielt, wird von der Politik ein neues Personenstandsgesetz mit selbstbestimmten dritten Geschlechtseintrag gefordert, für alle in Deutschland lebenden Personen "mit mehr Optionen als weiblich/männlich" und unabhängig von Gutachten, Gerichtsverfahren und Nachweisen sowie unabhängig von der körperlichen Konstitution oder vom Alter. Details dazu bietet die Webseite der Aktion Standesamt 2018, über den Hashtag #AktionStandesamt2018 lassen sich die einzelnen Aktionen der letzten Tage verfolgen.
Letztlich wird ein modernes Gesetz für alle gefordert statt der von der Politik derzeit vorbereiteten Minimallösung, die sich einzig auf Intersexuelle bezieht und ein medizinisches Attest voraussetzt. "Dass die Kampagne nicht nur in den Amtsstuben, sondern auch in der Politik Wirkung zeigt, konnte man am Donnerstag im Bundestag beobachten", so die Aktion. "Kritik am Gutachtenzwang im aktuellen Gesetzesentwurf, der den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts widerspricht, wurde von der Opposition und der regierenden SPD geäußert." Vor der ersten Lesung des Gesetzentwurfes hatten mehrere Verbände in einem Schreiben an die Abgeordneten die Kritik konkretisiert (PDF). In der Sitzung verwiesen Regierungsvertreter auf die knappe Zeit seit dem Urteil hin und auf weitere geplante Reformen (queer.de berichtete).
"Das neue Gesetz muss auf Selbstbestimmung basieren und für alle Menschen ohne Sonderregelungen gelten", so Baumann. "Verbleibt es bei der jetzigen Regelung ist zu befürchten, dass Betroffene weiterhin hin und her geschickt werden."
Hunderttausende gegen Rechts
Zum Abschluss der Aktionswoche hatte die "Aktion Standesamt" am Samstag vor das Bundeskanzleramt in Berlin geladen. Von dort schlossen sich die Teilnehmer der #Unteilbar-Demonstration an. Unter dem Motto "Fur eine offene und freie Gesellschaft – Solidaritat statt Ausgrenzung" sollten laut Anmeldung bis zu 40.000 Menschen ein Zeichen gegen Rechts setzen – gekommen sind nach letzten Zahlen bis zu 240.000. Mehr Eindrücke bietet der entsprechende Hashtag und etwa ein Bericht des rbb.
Mehrere Verbände, Clubs und Medien aus der Szene hatten zu einem Queer-Block aufgerufen, organisiert von den Kolleginnen und Kollegen von Siegessäule und L-Mag. Hier herrschte CSD-Atmosphäre mit tausenden Teilnehmern, begleitet von ernsten, mahnenden und selbstbewussten Botschaften.
Ebenso wie an ihren anderen Wahlversprechen, z.B. der Korrektur des Abstammungsrechts, damit lesbische Eltern nicht mehr gegenüber heterosexuellen und schwulen Eltern benachteiligt sind.