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Gescheiterter Antrag im Bundestag
FDP und AfD wollen Verfolgerstaaten Prädikat "sicher" verleihen
Der Streit um die Einstufung der Maghreb-Staaten geht weiter: Obwohl dort Homosexuelle verfolgt werden, beantragten die Liberalen, die nordafrikanischen Länder zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären.

Der FDP-Politiker Stefan Ruppert würde Algerien, Marokko und Tunesien gerne als sichere Herkunftsstaaten anerkennen, obwohl die Länder Homosexuelle verfolgen lassen
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18. Oktober 2018, 12:19h 3 Min.
Die FDP-Bundestagsfraktion ist am Donnerstag mit einem Antrag (PDF) gescheitert, die Staaten Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten anzuerkennen. Gegen den Entwurf votierten in namentlicher Abstimmung 496 Abgeordnete, während 154 Parlamentarier der Vorlage zustimmten und sich einer enthielt. Die Zustimmung kam von FDP und AfD, während Grüne und Linke den Entwurf aus Überzeugung ablehnten und die Regierungsfraktionen aus CDU/CSU und SPD dagegen stimmten, weil es dafür derzeit keine Mehrheit im Bundesrat gibt. Im Koalitionsvertrag haben die drei Parteien aber vereinbart, die Maghreb-Staaten als sicher anzuerkennen.
Um die Anerkennung von Algerien, Marokko und Tunesien schwelt bereits seit Jahren ein Streit. Die meisten LGBTI-Aktivisten lehnen diesen Schritt ab, da alle drei Länder mehrjährige Gefängnisstrafen für Homosexualität vorsehen. Dabei handelt es sich nicht um vergessene alte Gesetze, die nie angewandt werden; immer wieder werden dort Schwule und Lesben wegen ihrer sexuellen Orientierung angeklagt und verurteilt. Auch Regierungsvertreter dieser Verfolgerstaaten gehen immer wieder mit Verbalattacken auf sexuelle Minderheiten los und sorgen so für ein vergiftetes gesellschaftliches Klima – der marokkanische Menschenrechtsminister bezeichnete vergangenes Jahr etwa Homosexuelle pauschal als "Müll" (queer.de berichtete).
Trotzdem behauptete die Bundesregierung in den vergangenen Jahren, in den Maghreb-Staaten finde keine "systematische" Verfolgung Homosexueller statt (queer.de berichtete). Für den Lesben- und Schwulenverband ist das eine "skandalöse Verharmlosung" der Menschenrechtslage in diesen Ländern (queer.de berichtete).
FDP-Redner: Kein Wort zu verfolgten Homosexuellen
Im FDP-Antrag wird zwar erwähnt, dass Homosexuelle in Algerien verfolgt und ins Gefängnis gesteckt werden, allerdings wird das Thema nicht weiter behandelt. Bei der Vorstellung des Antrages sprachen die FDP-Redner Stefan Ruppert und Linda Teuteberg die Verfolgung von Homosexuellen in den Maghreb-Staaten mit keiner Silbe an, sondern arbeiteten sich lieber an den Grünen als ihrem politischen Hauptgegner ab. Ruppert hob außerdem hervor, dass es ja auch nach der Umsetzung bei einer Einzelfallprüfung bleiben solle, auch wenn die Verfahren beschleunigt werden sollten.
Damit nutzte Ruppert das Hauptargument der Befürworter des Prädikats "sicher" für die Verfolgerstaaten – dass Homosexuelle oder andere Verfolgte also trotzdem ein Anrecht hätten, Asyl in Deutschland zu beantragen. Gegner weisen aber auf die Gefahr hin, dass dann Asylanträge von aus diesen Ländern geflüchteten Personen pauschal als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt würden, selbst wenn die Menschen Verfolgungen ausgesetzt seien. Die Antragssteller haben zudem weniger Rechte als Asylbewerber aus anderen Ländern.
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Grüne: FDP bietet Bühne für "rassistische Hetze"
"Länder, in denen Homosexuellen bis zu drei Jahre Haft droht, sind nicht sicher", so Sven Lehmann, Sprecher für Queerpolitik der grünen Bundestagsfraktion, nach der Debatte. "Wir bedauern, dass unser Appell an die FDP, ihren Gesetzentwurf zurückzuziehen, erfolglos geblieben ist" und die Freien Demokraten der AfD so eine Bühne für rassistische Hetze geboten habe.
Homosexuelle lebten in diesen drei Ländern "in einem gesellschaftlichen Klima, das gleichgeschlechtliche Liebe kriminalisiert", so Lehmann. Hinzu komme die Angst, aus dem direkten persönlichen Umfeld angezeigt und dann festgenommen und verurteilt zu werden – was allein in Tunesien nachgewiesermaßen mindestens 70 Mal geschehen sei. In Algerien lägen überhaupt keine Zahlen zum Ausmaß der Verfolgung vor. Viele Asylbewerber, denen die deutsche Bürokratie fremd sei, hätten kaum eine Chance, die "verschärften Voraussetzungen" nach der Verleihung des Prädikats "sicher" zu erfüllen.
Ein Nebenaspekt der Debatte: Der hessische CDU-Politiker Hans-Jürgen Irmer hielt seine erste Rede im Bundestag. Irmer ist der wohl homophobste Bundestagsabgeordnete einer demokratischen Partei – als schulpolitischer CDU-Sprecher in Hessen hatte er Homosexualität 2014 als "nicht normal" bezeichnet (queer.de berichtete).

In seiner Rede erwähnte er freilich homosexuelle Verfolgte nicht und warb dafür, die Maghreb-Staaten als "sicher" zu erklären. "Die meisten, die von Marokko nach Europa flüchten, sind nicht verfolgt, sondern Abenteurer", so Irmer.
Links zum Thema:
» Die gesamte Debatte bei bundestag.de anschauen
Mehr zum Thema:
» Sichere Herkunftsstaaten: Queer-Sprecher von FDP und Grünen zanken sich (01.03.18)
















Möllemann lässt grüßen.