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100 Jahre Waffenstillstand
Schwule und der Erste Weltkrieg
Für nicht wenige homosexuelle Männer bot das Deutsche Heer Identifikationsmöglichkeiten, die eine Kriegsbegeisterung länger andauern ließen als bei der übrigen Bevölkerung.

Postkarte aus dem Ersten Weltkrieg mit homoerotischem Touch
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12. November 2018, 06:00h 6 Min.
Am 11. November vor 100 Jahren endete der Erste Weltkrieg. In den meisten schwulen Geschichtsbüchern taucht die Zeit von 1914 bis1918 nicht auf, was u.a. mit der Quellenlage zu tun hat. Wie erging es den schwulen Soldaten an der Front? Waren Schwule eher Patrioten oder Pazifisten? Der folgende Artikel ist ein Auszug aus meinem Buch "Anders als die Andern", das vollständig online verfügbar ist.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erinnerten am Samstag nahe der nordfranzösischen Stadt Compiègne an das Ende des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren (Bild: Kay Nietfeld / dpa)
Die Stimmung während des Ersten Weltkrieges war von Kampfbereitschaft und von den vermeintlich männlichen Attributen wie Durchsetzungsvermögen und Härte bestimmt. Dies bot wenig Spielraum für eine Homosexuellenorganisation wie dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK), das es sich zur Aufgabe gemacht hatte, für Männer, die den herkömmlichen Geschlechterrollen nicht entsprachen, Rechte einzufordern. Neben dem gesellschaftlichen Klima gab es aber auch personelle Probleme für eine Weiterführung einer homosexuellen Emanzipationspolitik: Die Hälfte aller WhK-Mitglieder – einige Hundert Männer – waren als Soldaten eingezogen worden. Die Emanzipationsbemühungen wurden während des Ersten Weltkrieges auf einem sehr niedrigen personellen und finanziellen Niveau weitergeführt.
Die inszenierte Männerfreundschaft
Zu der veränderten Berichterstattung des WhK gehörte, dass neben Feldpostbriefen auch ungewöhnlich viele poetische Primärtexte zur Männerfreundschaft aus Zeitungen nachgedruckt wurden. Indem der Krieg als Freundschaftserlebnis propagiert wird, gestatteten sie eine homoerotische Lesart. Über den Abdruck durch das WhK ist eine schwule Rezeption belegt.
Im Zusammenhang von Männerfreundschaften unter Soldaten zitierte das WhK zwei Zeitungen: "Inmitten dieser letzten Kriegstechnik und Schlachtenweise werden antike Sagen lebendig. Griechischer Geist weht durch Schützengräben in Rußland, durch belgische Forts […]. In unserer Kompanie gab es zwei Freunde. Sie waren es erst im Schützengraben geworden, zwei junge Kriegsfreiwillige, der eine ein schon berühmter Geiger, der andere ein Student. Wundervoll war es, diese Freundschaft mit zu erleben, die da aus Blut, Gefahr und Entbehrung aufblühte. […] Einen Augenblick. Dann küßten sie sich, und im nächsten hatte der Student den andern ins Herz geschossen. […] Acht Kugeln haben wir später in seinem jungen Leib gezählt. Die Freunde kamen zusammen in ein Grab. Da warten sie auf Homer…"
Die bürgerliche Presse ist damit in Bezug zur Antiken-Rezeption zugleich sehr nah an der schwulen Presse (männerbündlerischer Zusammenhalt) und ebenso weit von ihr entfernt (Ausblendung jeglicher Sexualität).
Der zweite vom WhK zitierte Beitrag ist das Gedicht "Mein Kamerad": "Am Tage als der Kriegsruf erscholl – Wie war's im Herzen mir so wundervoll! – Da legt er seine Hand in meine Hand, Da war's, wo ich den Kameraden fand. Wir teilten Stube, teilten Nachtquartier, Mein Brot war sein's und seines reicht' er mir. [..] Heim! Heim! – Dann soll der Kamerade mein – Mein bester Freund und liebster Bruder sein!"
Die Realität sah zweifellos anders aus. Der Soldat wird in erster Linie nicht die Erfüllung einer tiefen Freundschaft, sondern deren schmerzlichen Verlust empfunden haben. Der Schriftsteller Herbert Eulenberg setzte sich trotz der veränderten Zeiten literarisch für Schwule ein und beschrieb in seinem erst 1927 erschienenen Roman "Um den Rhein" die Liebe zwischen einem französischen und einem deutschen Fahnenjunker im Ersten Weltkrieg, und wie sie durch ihre Liebesbeziehung den künstlich gezeugten Hass der verschiedenen Nationen persönlich überwanden. Es ist der "Hass", der hier von Eulenberg als "widernatürlich" bezeichnet wird und nicht ihre Liebe füreinander.
Schwule Patrioten und Pazifisten

Die Schwulenzeitschrift "Der Eigene" inszenierte den Ersten Weltkrieg als erotisches Erlebnis
Das WhK erhielt folgende Zuschrift eines schwulen Mannes: "Seit der schreckliche Krieg über Deutschland hereingebrochen ist, lese ich die Vierteljahresberichte [des WhK] mit doppeltem Interesse. Die darin enthaltenen Erlebnisse so mancher Mitglieder unseres Komitees, welche sich an der Front befinden, sind stets sehr spannend. Gerade für feinfühlende Naturen mag es einen besonderen schweren inneren Kampf bedeuten, sich in das rauhe Kriegsleben geduldig zu finden. Andererseits bietet sich für die 'Unsrigen' günstige Gelegenheit, um den sogenannten normalfühlenden Menschen zu beweisen, daß auch wir imstande sind, etwas großes zu leisten, und von nicht minder großer Vaterlandsliebe beseelt sind. Hoffentlich winkt uns, früher oder später, auch einmal die Friedensfahne, indem eine Gesetzesänderung zustande kommt, die uns jene Rechte einräumt, welche wir beanspruchen können."
Der Brief verweist auf die Spannungsfelder, in der sich vermutlich viele Homosexuelle befunden haben. Zum einen zwischen dem Selbstbewusstsein, dass auch der Homosexuelle im Stande ist, als tapferer Krieger an der Front zu kämpfen, andererseits zeigt er aber auch sein Minderwertigkeitsgefühl auf. Der Autor möchte etwas Großes leisten, ist aber dennoch der Meinung, dass Homosexuelle als feinfühlende Naturen weniger für den Krieg geeignet sind.
Im letzten Satz baut dieser schwule Patriot eine Brücke zwischen dem Sieg der Deutschen an der Front und einem Sieg der Gerechtigkeit für Schwule. Auch Magnus Hirschfeld schrieb im doppeldeutigen Sinne, von "unsere[r] gerechte[n] Sache", auf deren "endlichen Sieg" man nun hofft. In einer reinen Männergesellschaft sich und den Kameraden durch Mut und Tapferkeit seine Männlichkeit zu beweisen und gleichzeitig einer restriktiven Umgebung zu entkommen, war sicherlich für viele Homosexuelle eine verlockende Aussicht. Für gesellschaftlich verachtete und familiär nicht gebundene Homosexuelle bot die Armee Identifikationsmöglichkeiten, die eine Kriegsbegeisterung länger andauern ließen als bei der übrigen Bevölkerung. Hier konnten sie sich als vollwertige Mitglieder der Wilhelminischen Gesellschaft sehen. Vielleicht sahen einige Schwule sogar die Möglichkeit, ihr als unehrenhaft geltendes Leben durch einen ehrenvollen Tod zu beenden.
Schwule Kriegsgegner und Opfer
Neben patriotischen schwulen Soldaten gab es aber auch Schwule, die aufgrund von Diskriminierung und Strafverfolgung vor 1914 von ihrer Heimat enttäuscht waren und deshalb nicht einsahen, warum sie nun im Krieg ihrem Vaterland die Fahne halten sollten. Ein Arbeiter aus Köln schrieb: "Ich habe 1914 die Waffe verweigert". Für solche "§ 175-Zustände kämpfe ich nicht."
Von den meisten Schwulen ist unbekannt, wie sie die Kriegszeit verbrachten. Robert Oelbermann (1896-1941) gehörte zu den schwulen Männern, die als noch junge Erwachsene in den Ersten Weltkrieg ziehen mussten. Später kam er ausgezeichnet, aber schwer verletzt wieder nach Hause. Nach dem Ersten Weltkrieg gründete er mit seinem Bruder 1919/1920 den Nerother Wandervogel.

Robert Oelbermann (rechts) mit seinem Zwillingsbruder
Unter den Nazis wurde Oelbermann wegen Paragraf 175 verhaftet und zu 21 Monaten Zuchthaus verurteilt, wovon ihm u.a. wegen seiner Verdienste im Ersten Weltkrieg einige Monate erlassen wurden. Nach Verbüßung der Strafe kam er in Schutzhaft und starb am 28. März 1941 im KZ Dachau. Seine hier nur angerissene Lebensgeschichte gehört damit bereits in eine andere Epoche der schwulen Geschichte.












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