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Schwules Museum

Wie geht postkolonialer indischer Trans-Aktivismus heute?

Anlässlich der Finissage der Ausstellung "Hijra Fantastik" kommt Trans-Aktivistin Kalki Subramaniam nach Berlin. Kuratorin Claudia Reiche sprach mit ihr über die Situation des "Dritten Geschlechts" in Indien.


Die Künstlerin und Aktivistin Kalki Subramaniam kämpft in Indien für Trans-Rechte (Bild: Laura Sherwood)
  • Von Claudia Reiche
    17. November 2018, 07:35h - 10 Min.

Auf deiner Visitenkarte steht: "Kalki Subramaniam, artist, activist, actor, author".

Ja, ich bin Künstlerin und Aktivistin. Ich arbeite in bildender Kunst, Literatur und Film, spreche aber auch auf internationalen Konferenzen. All dies, um Menschen wie mir und unserer Sache Gehör zu verschaffen: Menschen, die genderqueer, transgender oder non-binary sind.

Welches Ziel verfolgst du als Aktivistin? Lässt sich eine Botschaft auch mit deiner Kunst verbinden?

Ich betreibe eine Organisation, die Sahodari Foundation, die sich für das gleiche Anliegen einsetzt, nämlich die sozialen, ökonomischen und politischen Rechte von Transgender-Personen durchzusetzen. Kunst betreibe ich zweckbezogen und mit großer Freude. Neben der queeren Kunst, die dabei entsteht, nehme ich auch Aufträge an und stelle für verschiedene Kontexte Arbeiten her. Ich vermittle meine künstlerischen Erfahrungen gern anderen und bin überzeugt, dass Kunst heilen kann, besonders bei Transgender-Personen. Vielleicht liegt das auch an meiner Herkunft. Ich komme aus dem südlichsten Teil Indiens, aus Tamil Nadu, mit einer jahrtausendealten Kultur und Tradition.

Zeichnet sich die südindische Geschichte und Kultur denn durch einen besonderen Umgang mit der Frage der geschlechtlichen Binarität aus?

Ja, in der Tat. Es gibt eine Tradition von etwas, das heute vielleicht mit "gender fluidity" zu bezeichnen versucht wird. Aus der drawidischen Geschichte, auch allgemein aus der indischen Geschichte, wurden und werden Überlieferungen in der Forschung entdeckt und diskutiert, dass Non-binary-Personen hohe Verwaltungsbeamt*innen und sogar Herrscher*innen in Teilen Indiens waren. Ich beziehe mich dabei beispielsweise auf Dokumente aus dem 17. Jahrhundert, auch Aufzeichnungen westlicher Reisender.

Wie wichtig ist eine Bezugnahme auf Forschungsergebnisse in Archäologie und Geschichtswissenschaften für deine Arbeit und die Transgender-Community? Beziehst du dich in deiner Kunst direkt auf diese tamilische Kultur und Geschichte? Taugt dies auch allgemein für die Trans-Community als ein Identifikationspunkt für die Zukunft?

Ich glaube schon. Geschichte und Mythen sind seit hunderttausenden Jahren weitergegeben worden und sind eine ganz starke Referenz in unserem Kampf für Gleichheit und Respekt in der gegenwärtigen Gesellschaft Indiens.


Kalki Subramaniam und Claudia Reiche (Foto: Chris Paxton)

Und wie ist es in deiner Kunst? Wie fließt diese besondere historische Geschlechterordnung Südindiens in deine künstlerische Arbeit ein?

Ich beschäftige mich viel mit der Darstellung mythologischer Figuren, die als genderfluid beschrieben werden können. Mir ist der geschichtliche Hintergrund sehr bewusst, auch der Bruch, der durch die britische Kolonisierung Indiens mit unserer Kultur vollzogen wurde und bis heute als Repression gegen Trans-Personen weiterwirkt.

Letztes Jahr hast du an der Harvard University während bei einer Konferenz gesagt: "I am not a transgender, that is not my real identity. Is being a woman your identity?" ("Ich bin keine transgender Person, das ist nicht meine echte Identität. Oder ist es Ihre Identität, eine Frau zu sein?") Zugleich betreibst du ja aktivistische Arbeit im Sinne von Identitätspolitik, als Transfrau, mit und für Transgender in Indien. Wie trennst du diese starke politische und kämpferische Identifizierung mit der Sache der Transgender, die du selbst betreibst und zu der du ja auch die Öffentlichkeit einlädst, von dir selbst?

Von den meisten binär identifizierten Menschen wird transgender komplett missverstanden. Die Leute sind neugierig auf das, was sie als transgender zu verstehen glauben. Eine Frau zu sein, eine Künstlerin oder eine Schriftstellerin ist nichts besonders Bemerkenswertes oder Merkwürdiges für sie. Die meisten Menschen interessieren sich für das Transgender-Attribut. Aber was ich als Künstlerin oder Schriftstellerin mache, ist wichtiger als die Tatsache, dass ich transgender bin. Das fühlt, glaube ich, fast jede Trans-Person überall auf der Welt.

Wir sollten dafür wahrgenommen und beurteilt werden, was wir tun, mehr als für das, was wir sind. Was den Aktivismus angeht, da benutze ich das Wort transgender natürlich oft – allerdings nicht, um damit Leute anzuziehen, sondern um unseren Forderungen und Stimmen Gehör zu verschaffen.


Kalki Subramaniam im traditionellen Sari (Bild: privat)

Würdest du mir zustimmen, dass dieses besondere Interesse an Transgender auf Wunschprojektionen beruht und erotischer Natur ist?

Da stimme ich völlig zu. Ich versuche auf diese Neugierde einzugehen, die zugleich Angst ist, einen Trans-Körper kennenzulernen. Die Mischung aus Faszination und Phobie, die die Vorstellung eines Transkörpers auslöst, ist der Grund, warum unser Geschlecht und unsere Körper ständig unter Beobachtung und Kontrolle sind. Das bedeutet für eine Aktivistin wie mich, dass ich die Aufmerksamkeit für das Angst- und Neugierobjekt Trans-Körper auf mein Anliegen umzulenken versuche, so dass meine Stimme und das, was ich zu sagen habe, gehört werden.

Arbeitest du da wie ein Spiegel für die Wünsche der Menge? Ich komme darauf, da du ja auch Schauspielerin bist…

Es ist mehr als ein Spiegelbild. Ich spiegele die Wahrheit. Ich bekämpfe das Unwissen. Ich versuche Stereotypen zu brechen. Ob es meine Poesie ist, Film oder bildende Kunst – all dies ist ein Spiegel der Wahrheit. Es sind Spiegelungen der Wahrheit, verbunden mit meinem Stolz. Da gibt es keine Scham, da ist nur Stolz.

Gibt es in der Aktivistin Kalki Subramaniam einen Teil der Schauspielerin? Andersherum gehe ich davon aus, dass der Aktivismus durch die Schauspielerkarriere und zunehmende Bekanntheit deiner Person Schub erhält, richtig?

Ich denke, Schauspielerei ist eine Kunst wie die anderen, und ob es meine Schauspielerei ist, meine Poesie oder meine Malerei, all dies dient einem Zweck: Es geht darum, einer vernachlässigten Community in verschiedenen Kunstformen eine Plattform zu geben, damit ihre Stimmen gehört werden. Es geht dabei nicht nur um Schmerz oder Zorn, es geht um Freude, Stolz und das Feiern dessen, was wir sind, in aller Kühnheit!

Was ist für dich also der Unterschied zwischen Kunst und Aktivismus?

Sogar wenn ich Bilder male, die zunächst mal nichts mit meinem Aktivismus zu tun haben, gibt es immer ein stilistisches Statement in meinen Gemälden. Das ist ein Vibrieren, Schichten und Schichten von Regenbogenfarben. Das ist meine Signatur. Alle Kunst zeigt auch immer ein Stück der Seele der Künstlerin. Ich liebe es, Kunst zu machen und mein Aktivismus hat ein Ziel, das ich hartnäckig verfolge.

Regenbogenfarben, das entspricht ja der Pride-Fahne, ist das bloßer Zufall? Sind die Farben eines Regenbogens ein universeller Ausdruck von Freude und Wahrheit für dich?

Es ist all das, eine Feier, Freude und Wahrheit.

Bedenkt man, wie multitalentiert und produktiv du bist, möchte ich doch noch wissen, ob es einen künstlerischen Startpunkt gab…

Es hat während meiner Teenagerzeit angefangen, als ich mein Coming-out als Trans-Person hatte. Ich schrieb Gedichte und zeichnete, um mein Empfinden als Frau auszudrücken, zu einer Zeit, in der niemand da war, der mich verstand und mit dem ich hätte sprechen können. Diese Ausdrucksformen, die ich immer besser zu beherrschen lernte, halfen mir in meinem Aufbegehren und öffneten Wege zu den Herzen und Köpfen der Leute.

In deinem Gedicht "Phallus, I cut", ("Den Penis, ich habe ihn abgeschnitten"), das du ja auch auf der eben erwähnten Harvard-Konferenz vorgetragen hast, war das Schlüsselelement Provokation, bereits in den ersten Zeilen: "No transcendental Yoga / I performed / to transform myself / into a woman. / I cut my phallus, / soiled in blood / and transcending death / I became a woman." ("Nein, Yoga habe ich nicht praktiziert, / transzendental, / um mich / in eine Frau zu verwandeln. / Meinen Penis habe ich / abgeschnitten, / mit Blut mich befleckt, / und indem ich den Tod / durchschritt, / bin ich zu einer Frau geworden"). Ist Provokation also ein Weg zu den Herzen?

Herausforderung und Provokation sind immer ein Weg, um die Menschen zu erwischen und sie dazu zu bringen, dir zuzuhören. Sie werden zum Antworten gebracht, zum Nachdenken und zum Widerspruch. Daraus entsteht ein Gegenargument, ein Gespräch. So bringe ich Leute zum Reden. Das hat unverschämte Kunst schon immer so gemacht. Ich könnte auch sagen: politische Kunst.

Direktlink | Kalkis Gedicht "Phallus, I cut"
Datenschutz-Einstellungen | Info / Hilfe

Hast du immer so positive Dynamiken mit deiner Kunst anstoßen können? Mir fällt immer mehr auf, dass in der Gesellschaft die Diskussionskultur, sowohl über Kunst und Politik, recht nachgelassen hat. Geduld, Konzentration, Offenheit scheinen manchmal schon fast einer untergehenden Kulturtechnik anzugehören. Wie ist da deine Erfahrung in Indien?

Das ist in Indien gleich wie im Westen. Die sozialen Medien ermöglichen jedem zu kommentieren, zu kritisieren, öffentlich zu beurteilen, sei es eine politische Situation oder ein Kunstwerk. Es ist so, als sei jedermann mit den Möglichkeiten eines Reporters ausgestattet. Einerseits ist ja ermutigend, dass die Menschen so ein Medium haben, um ihrer Meinung Aufmerksamkeit zu verschaffen, aber als Künstler*in oder Aktivist*in, muss man schon aufpassen, von heftigen Kritiken nicht allzu getroffen zu werden. Da muss man lernen, eine gesunde Portion Kritik von so etwas wie Trolling zu unterscheiden. Wir sollten gute Kritik wie Anerkennung gleichermaßen wertschätzen. Aber manchmal ist man von Mengen an Kritik überwältigt und entmutigt, aber da hilft nur der Wille, dies Spinnennetz zu zerreißen und noch mehr zu arbeiten.

Das ist eigentlich der Kern dessen, was es bedeutet, Künstler*in zu sein?

Ja. Ich betreibe auch politische Kunstprojekte, die sich genau dazu verhalten. Es geht darum Gemeinschaft herzustellen, die individuelle Entwicklung zulässt. Das ist meine Vision in politischer Kunst.

Sehr wichtig ist mir ein Projekt, das als kunsttherapeutisch beschrieben werden kann. Es heißt Transhearts und bietet offene Kunstworkshops für Trans-Personen an, die sie ermutigen, sich künstlerisch mit Pinsel, Farbe und Leinwand auszudrücken. Das Projekt trägt auch zu ihrem Lebensunterhalt bei, indem die künstlerischen Resultate zum Verkauf angeboten werden.

Leitest du diese Workshops auch selbst?

Ich mache das gemeinsam mit anderen LGBT-Künstler*­innen. Wir reisen zusammen an verschiedene Orte Indiens, sprechen die Community an und machen die Interessierten mit den Möglichkeiten dieser Workshops vertraut. Es sind kostenlose Workshops mit Unterkunft, kurze Kunst-Residencies. Wir laden die Interessierten ein, mit uns zwei oder drei Tage zu verbringen. Wir zeigen einige grundlegende künstlerische Techniken, und dann sind sie völlig frei, darzustellen, was sie möchten, und natürlich auch, wie sie das tun möchten.

Beziehst du dich bei Konzept und pädagogischem Stil der Transhearts-Workshops direkt auf deine persönlichen Erfahrungen?

Sehr sogar. Es ist ein Heilungsprozess, der zeremoniell gestaltet wird. Bevor sie Pinsel und Leinwand anfassen, gehen die Teilnehmer*­innen durch einige Übungen und Selbsterfahrungsprozesse, die existentielle Fragen adressieren, die sie sich gestellt haben mögen. Es geht dabei darum, ihnen Geborgenheit zu bieten und Selbstvertrauen zu wecken, vielleicht einige psychische Wunden zu heilen. Wenn die Teilnehmer*­innen soweit sind, werden die Kunstwerke schaffen.

Wie siehst du deine Arbeit in der "Hijra Fantastik"-Ausstellung im Schwulen Museum platziert? Stärkt dieser Ausstellungskontext deinen Ansatz? Wie würdest du aus deiner Sicht die Zusammenstellung mit meinen Arbeiten und den Fotos beschreiben, die Hijras aus Bangalore gemacht haben?

"Hijra Fantastik" ist insbesondere ein großartiges Fotoprojekt, das das Leben und den täglichen Überlebenskampf von Hijras miterleben lässt. Das Beste daran ist, dass die beteiligten Hijras selbst fotografiert haben und nicht fotografiert wurden. Das ist großartig, weil sie so ihre eigene Geschichte auf ihre eigene Weise erzählen können. Die Community mit dieser Möglichkeit freien Ausdrucks zu unterstützen, gibt ihr Stärke. Ich mache das Gleiche mit unserem Transhearts-Projekt in Indien, wie ich es eben beschrieben habe.

Wie siehst du deine eigene Videoarbeit im Ausstellungskontext?

Zwei meiner tamilischen Gedichte, die anlässlich der Ausstellung ins Deutsche übersetzt wurden, sind Teil der Publikation zur Ausstellung. Mein Video zum Gedicht "Fate, I wrote" ("Meine Bestimmung, von mir verfasst") ist ebenfalls Teil der Schau. Es ist die Entscheidung jedes Einzelnen, einer Tradition zu folgen oder nicht. Es ist schmerzhaft für mich, eine Witwenschaft im Namen einer religiösen Zeremonie rituell durchleben zu müssen. In meinem Gedicht "Fate, I wrote" geht es genau darum.

Terminhinweis

Der öffentliche Talk mit Kalki Subramaniam findet am Montag, den 19. November um 18 Uhr im Schwulen Museum (Lützowstraße 23, Berlin) statt.

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