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Gleichstellungsgegner richtet über Grundrechte
Die schrecklich nette Homophobie des Bundesrates
Die einstimmige Wahl Stephan Harbarths zum Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts zeigt, dass wirklich allen Parteien – auch Grünen, Linken und FDP – LGBTI-Rechte am Arsch vorbeigehen.

Stephan Harbarth am Donnerstag im Deutschen Bundestag nach seiner Wahl zum Richter am Bundesverfassungsgericht (Bild: Deutscher Bundestag / Achim Melde)
23. November 2018, 14:46h 3 Min. Von
Zwei tiefschwarze Tage für queere Menschen in Deutschland: Am Donnerstag wurde Stephan Harbarth, bislang stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, für zwölf lange Jahre zum Richter am Bundesverfassungsgericht gewählt, und am Freitag machte ihn die Länderkammer auch noch einstimmig zum Vizepräsidenten des Ersten Senats, der u.a. für die Grundrechte zuständig ist. Schon in zwei Jahren soll der Rechtsanwalt das Präsidentenamt von Andreas Voßkuhle beerben – und wäre damit in der protokollarischen Rangordnung der fünfhöchste Repräsentant Deutschlands.
Harbarth ist eine absolute Fehlbesetzung. Wie soll ein Mann am höchsten deutschen Gericht die Grundrechte von LGBTI-Menschen verteidigen, wenn er diese gar nicht anerkennt, sich sogar darüber lustig macht? Im Bundestag stimmte der CDU-Politiker nicht nur die gegen die Ehe für alle, weil er sie für verfassungswidrig hält, auch die Aufnahme des Merkmals "sexuelle Identität" in Artikel 3 des Grundgesetzes lehnte er ab, weil das Grundgesetz kein "Versandhauskatalog politischer Wünsche" sei.
Zweierlei Maß bei Minderheitenrechten
Der Bundestag hat dem AfD-Politiker Albrecht Glaser zurecht einen Posten im Parlamentspräsidium verwehrt, weil dieser Muslimen in Deutschland das im Grundgesetz verbriefte Recht auf Religionsfreiheit nicht zugesteht. Doch ein CDU-Politiker, der Lesben und Schwulen das Recht auf Ehe und den Schutz vor Diskriminierung abspricht, wird vom selben Gremium mit Zweidrittelmehrheit zum Bundesverfassungsrichter und von der Länderkammer sogar einstimmig zum Vizepräsidenten gewählt? Scheinheiliger geht's nicht!
Natürlich ist Harbarth im Vergleich zum ersten CDU-Wahlvorschlag Günter Krings das kleinere Übel, doch bei der Verteidigung von Menschenrechten darf es keine Kompromisse geben. Hier haben die anderen demokratischen Parteien versagt. Wahrnehmbarer Widerstand gegen die Personalie kam allein von den innerparteilichen Gruppen SPDqueer und QueerGrün, doch selbst die queerpolitischen Sprecher der Fraktionen zogen es – mit Ausnahme der Linken Doris Achelwilm – vor, zu Harbarth zu schweigen. Wohl weil die Niederlage absehbar war.
Gab es bei der geheimen Wahl im Deutschen Bundestag immerhin noch 166 Gegenstimmen, ist das einstimmige Votum des Bundesrats besonders erschreckend. Auch die selbsternannte rot-rot-grüne "Regenbogenhauptstadt" Berlin, das rot-rot-grüne Thüringen, das rot-rote Brandenburg, die rot-grünen Stadtstaaten Bremen und Hamburg sowie die Ampelkoalition in Rheinland-Pfalz haben mit einem Gleichstellungsgegner als künftigen obersten Hüter des Grundgesetzes augenscheinlich kein Problem.
Natürlich hat kein einziger der Ministerpräsidenten und Bürgermeister etwas gegen Lesben und Schwule. Aber wenn es darauf ankommt, zählt doch allein der deutsche Parteienproporz – und LGBTI-Rechte gehen allen Parteien am Arsch vorbei. Genau so sieht sie aus, die von Johannes Kram beschriebene "schrecklich nette Homophobie in der Mitte der Gesellschaft"!

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Der Hauptkritikpunkt an ihm ist ja eher, dass er gar nicht so viel Erfahrung in der Berufslaufbahn als Richter gesammelt hat, sondern viel als Anwalt und MdB unterwegs war. Das hat ein wenig mit meinem oberen Punkt zu tun: Ich vertraue auf die Parteilosigkeiten eines Kandidaten eher, wenn der als Richter Karriere gemacht hat.