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- 08. August 2005 5 Min.
Auch in Sachsen wird die sexuelle Orientierung von der Polizei erfasst, erfuhr queer.de. Eine Bundesdatei ist offenbar ebenfalls betroffen.
Von Norbert Blech
Köln Der Skandal um "Rosa Listen" bei der Polizei weitet sich aus. Wie Recherchen von Queer.de ergaben, erfasst auch die Polizei in Sachsen die sexuelle Orientierung von Personen in ihrer Software. Gleichzeitig scheint auch im bundesweiten System Inpol die Möglichkeit zu existieren, die vermeintliche Homosexualität von Tatopfern zu erfassen.
Das ergab eine Umfrage von Queer.de bei den Innenministerien der Länder (PDF-Dokumentation der Antworten s. Link unten). Während noch nicht aus allen Ländern eine Antwort vorliegt, bestätigte Lothar Hofner, stellvertretender Sprecher des Innenministeriums in Sachsen, die Existenz von "Rosa Listen" in seinem Bundesland. Auf die Frage, ob sich die sexuelle Orientierung von vermeintlichen Tätern, Opfern, Zeugen oder Unbeteiligten erfassen lässt, antwortete Hofner: "In den polizeilichen Informationssystemen IVO und PASS werden in Katalogfeldern und Freitextfeldern zu angegriffenen Personen, Tatumständen, Tatörtlichkeiten entsprechende Daten erfasst."
Der Katalogwert Homosexueller sei gleichzeitig "ein INPOL-Wert (Bundesdatei) für die Erfassung von Fallgrunddaten (Tatopfer): Tatopfertyp." Bei Geschädigten und/oder Zeugen sei eine Eintragung einer solchen Information nicht möglich. Die Datenbank lasse sich mit einem speziellen Recherchetool, das nur ausgewählten Nutzern zur Verfügung stehe, nach Homosexuellen durchsuchen.
Über 30 Einträge pro Jahr
Bei einer Recherche mit dem entsprechenden Suchbegriff "Homosexueller" im Feld "angegriffene Person" wurden in Sachsen für 2003 32 Treffer und für 2004 33 Treffer gefunden, so der Sprecher. Zur Rechtfertigung der Datenerhebung sagt Hofner: "Soweit eine Erfassung dieser Daten zur polizeilichen Aufgabenerfüllung erforderlich ist, z. B. bei der Verfolgung von Straftaten, bei denen Tatumstände oder -örtlichkeiten einen Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung darstellt (z. B. Beischlafdiebstahl mit Opfergruppe Homosexueller), ist deren Verarbeitung auf der Grundlage des § 43 SächsPolG (Polizeigesetz des Freistaates Sachsen) zulässig." Eine Abschaffung dieser Praxis sei "aufgrund der zugewiesenen Aufgaben" nicht vorgesehen.
Sechs Länder ohne Erfassung?
Bereits im Mai war bekannt geworden, dass das Programm "IGVP" der Polizei in Bayern, Thüringen und NRW die Speicherung der sexuellen Orientierung von Tätern, Zeugen und gar Unbeteiligten ermöglicht. Nachdem Zweifel laut wurden, dass es in anderen Bundesländern keine solche Erfassung geben würde, startete queer.de am letzten Mittwoch eine Befragung der Innenministerien der restlichen 13 Innenministerien.
Aus Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein liegen inzwischen Stellungnahmen vor, nach denen es in den jeweiligen Bundesländern nicht zu einer Erfassung der sexuellen Orientierung in der Polizeisoftware kommen soll. In Mecklenburg-Vorpommern wurde jedoch darauf hingewiesen, dass alle Personalienfelder "streng Inpol-konform" seien. Nach Auskunft aus Sachsen ist aber in "Inpol" die sexuelle Orientierung von Tatopfern erfassbar. Die Polizei in Sachsen-Anhalt setzt das Programm "Ivopol" ein, bei dem es sich um das gleiche wie in Sachsen handeln könnte. Dort ist eine Erfassung der sexuellen Orientierung möglich.
Skandal bundesweit?
Interessant ist die Aussage des Innenministeriums Sachsen, wonach sich die sexuelle Orientierung von Tatopfern in eine bundesweite Datei eintragen lässt. Bei "Inpol" handelt es sich um ein polizeiliches Informationssystem, an dem neben dem Bundeskriminalamt die Landeskriminalämter, sonstige Polizeibehörden der Länder, der Bundesgrenzschutz, Dienststellen der Zollverwaltung und das ZKA teilnehmen.
Aufgrund der Antwort aus Sachsen hat Queer.de dem Bundesinnenministerium am Montag einen umfassenden Fragekatalog zugeschickt, mit dem unter anderem geklärt werden soll, wie und durch wen entsprechende Einträge recherchiert werden können und aus welchen Bundesländern Einträge stammen. Eine Antwort steht noch aus.
Erst vor kurzem hatte die Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der FDP-Bundestagsabgeordneten Gisela Piltz die Existenz von "Rosa Listen" geleugnet. "Nach Kenntnis des Bundesregierung führt keine Sicherheitsbehörde des Bundes bei der Erfassung von Personalien von Verdächtigen eine Rubrik 'homosexuell'. Ein entsprechendes Dateifeld existiert in keiner Datei", heißt es in der Antwort. Und: "Nach Kenntnis der Bundesregierung speichert keine Sicherheitsbehörde des Bundes Informationen darüber, ob eine Person an einem Ort aufgetroffen wird, der behördenintern über einen Bezug zum Aufenthalt homosexueller Personen definiert wird". Auf die Datensätze von Opfern gehen Fragen und Antworten allerdings nicht ein.
Thüringen stoppt Rosa Listen
Inzwischen hat das Bundesland Thüringen die Erfassung der sexuellen Orientierung offenbar gestoppt. Thüringens Innenminister Karl Heinz Gasser (CDU) sagte Ende letzter Woche, es würden "keine Speicherungen mehr unter dem Kriterium Homosexualität vorgenommen". Auch sei das Schlagwort "Aufenthaltsort von Homosexuellen" gesperrt worden, die Daten einer gespeicherten Person seien gelöscht worden. Das gesamte System solle zusammen mit Bayern und NRW überarbeitet werden.
Nach Informationen des wissenschaftlich-humanitären komitees (whk) hatte das Innenministerium noch im Juni erklärt, eine Speicherung der sexuellen Orientierung finde gar nicht statt. Noch sei unklar, ob das Ministerium nur die Katalogsoption "Aufenthalt von Homosexuellen" gesperrt habe oder auch die Täterrubrik "Homosexueller".
Recherchen ohne Ende
Das in Sachen "Rosa Listen" ebenfalls recherchierende whk will nun auch geklärt wissen, was aus den DDR-Homosexuellenkarteien bei Volkspolizei und Staatssicherheit geworden ist - für eine Löschung der Datensätze gebe es bisher keine Hinweise. Zugleich machte das whk letzter Woche bekannt, dass die Aktion "stop-rosa-listen.de" parteipolitische Hintergründe haben könnte. Die Nutzer stammten aus dem "SPD-Umfeld", was die Betroffenen selbst zugeben. Auch inhaltlich kritisierte das whk die Unterschriftensammlung als politisch nicht zu weitgehend und bedenklich, da Unterstützer auch ihren Wohnort samt Postleitzahl angeben sollen.
Montag, 18. August 2005, 14.50h














das erinnert mich eher an einen totalitären überwachungsstaat!