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"Constitutio Criminalis Theresiana"
Der Anfang vom Ende der Todesstrafe für Homosexualität
Vor 250 Jahren erließ Kaiserin Maria Theresia ein neues Strafrecht. Damit wurde die Todesstrafe für gleichgeschlechtlichen Sex zwar noch angedroht, aber wohl nicht mehr vollstreckt.

Maria Theresia in einem Gemälde von Martin van Meytens (um 1752): Die von 1740 bis zu ihrem Tod 1780 regierende Erzherzogin von Österreich und Königin u.a. von Ungarn (mit Kroatien) und Böhmen zählte zu den prägenden Monarchen der Ära des aufgeklärten Absolutismus (Bild: Akademie der bildenden Künste Wien)
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31. Dezember 2018, 07:24h 6 Min.
Am 31. Dezember 1768 – also vor genau 250 Jahren – wurde mit der "Constitutio Criminalis Theresiana" (CCT) von der österreichischen Herrscherin Maria Theresia ein Strafgesetzbuch erlassen, dass danach in Österreich, Böhmen und – aufgrund der damaligen Grenzen – auch auf dem Gebiet des heutigen Landes Rheinland-Pfalz galt.
Maria Theresia schuf damit ein einheitliches Strafrecht und führte auch verbindliche Regeln für die damals übliche Folter ein. Inhaltlich handelte es sich jedoch um überkommenes Recht und war frei von Elementen der Aufklärung und des Naturrechts. Es wurde verabschiedet, obwohl es von Staatsrat und Staatskanzlei wegen seiner Rückständigkeit abgelehnt wurde. Bis 1787 prägte das Gesetz rund zwei Jahrzehnte lang die Rechtssituation und das Rechtsempfinden in Österreich und Teilen des heutigen Deutschlands.
Die im CCT geregelte Todesstrafe für Homosexuelle
Frühe Gesetze enthalten meistens nur einen Satz oder wenige Zeilen über die jeweilige strafbare Handlung. Anders die "CCT" (1769, S. 207-208), die auch das enthält, was wir heute wohl als Ausführungsbestimmungen bezeichnen würden.

Der 74. Artikel der CCT beschäftigte sich mit "Unkeuschheit wider die Natur"
Die Bestimmungen zum 74. Artikel über die "Unkeuschheit wider die Natur" gliedern sich in Paragraphen: § 1: Sex unter Männern und Sex unter Frauen wird nach diesem Gesetz in gleicher Weise bestraft ("Mann mit Mann, Weib mit Weib"). Auf gleicher Stufe der Bestrafung steht zum Beispiel der Sex mit Tieren und der Analverkehr unter Heterosexuellen ("auch Weib mit Mann wider die Ordnung der Natur").
§ 2: Weil diese Taten meistens "an verborgenen Orten" geschehen, werden Indizien genannt, die die Tat als wahrscheinlich gelten lassen, etwa wenn es sich bei der verdächtigen Person um eine "geile" und "unschambare" (schamlose) Person handelt. § 4: Die Folterung darf (nur) dann zur Wahrheitsfindung eingesetzt werden, wenn Zeugen die Tat beobachtet haben, eine glaubhafte Aussage der missbrauchten Person vorliegt oder andere Beweise vorliegen. § 5: Der Beschuldigte soll auch danach befragt werden, ob er einen Orgasmus ("Auslassung des Saamens") hatte. § 6: Die Täter sollen dafür enthauptet und danach (mit dem Kopf) verbrannt werden. § 7: Erschwerende Umstände sind "Ehebruch", Inzest, mehrfache Taten und Verführung. § 8: Mildernde Umstände sind Alter, "Dummheit" und Sex ohne Orgasmus.
In diesen Fällen kann die Feuer- in eine Schwertstrafe umgewandelt werden. Einige Ausgaben des Gesetzes enthalten auch Zeichnungen, die verschiedene Formen von Folterungen illustrieren, die – im Gegensatz zur Tötungsart – deliktunabhängig waren. Hans-Peter Weingand geht davon aus, dass die unter Maria Theresia eingeforderte Todesstrafe zwar noch angedroht, aber nicht mehr vollstreckt wurde (s. "Invertito" 1/1999, S. 102-109). Es ist ein kleiner Trost hinsichtlich der Größe dieses Damoklesschwertes.

Illustration aus der CCT zur Anwendung der Folter
Neben dem 74. können auch andere Artikel zum Sexualstrafrecht in der CCT heute befremden. Der 81. Artikel (S. 222) behandelt die "Hurerey" – heute würden wir dazu "Unzucht" sagen – und stellte den Sex ohne Trauschein bzw. wilde Ehen unter Strafe. Den Sex zwischen Christen und Ungläubigen verbietet der 82. Artikel (S. 223-224), welcher hier als besonders abscheulich bezeichnet wird, womit – aus christlicher Perspektive – auch "Juden, Türken" und andere Ungläubige gemeint sind. Erst danach werden im gleichen Artikel auch Sexualdelikte wie Inzest, Vergewaltigung und Sex mit Abhängigen aufgelistet, die offenbar als weniger schlimm angesehen werden.
Vor und nach der CCT – Homosexualität in anderen Strafgesetzen
Gleichgeschlechtlicher Sex war auch schon lange vorher verboten. So gab es seit 1507 die "Bambergische Halßgerichtsordenung" als eine lokale Gerichtsordnung von Bamberg, die auch als "Constitutio Criminalis Bambergensis" bzw. "CCB" (1507, Blatt XL) bekannt war und in Artikel 141 gleichgeschlechtlichen Sex "der Gewohnheit nach" mit dem Tod bestrafte. Dieser eine Satz zur Todesstrafe wurde übernommen, als man sich mit der "Constitutio Criminalis Carolina" bzw. "CCC" (1532, S. 33) im Jahre 1532 das erste deutsche Strafgesetzbuch gab. Damit wurde – mit dem gleichen Satz, aber nun im Artikel 116 – gleichgeschlechtlicher Sex mit dem Tod bedroht. Auch Maria Theresia hatte ihren Gesetzestext übrigens nicht neu verfasst bzw. von Juristen verfassen lassen, sondern ihn mehr oder weniger von der "Landtgerichts-Ordnung" (1656, S. 107) von Kaiser Ferdinand III. (1608-1657) übernommen. Auch hier hat sich eigentlich nur die Nummerierung geändert: Aus Ferdinands "Ordnung" mit Artikel 73 wurde Maria Theresias Gesetz mit Artikel 74.

Eine Illustration über die Foltermethoden aus der CCB von 1507
Marie Theresias Gesetz wurde nach rund 20 Jahren durch das "Josephinische Strafgesetz" von Kaiser Josef II. abgelöst, dass auch als "Allgemeines Gesetz über Verbrechen.." (1787, § 71, S. 112) bekannt war. Damit wurde zwar für gleichgeschlechtliches Sexualverhalten die Todesstrafe abgeschafft, jedoch eine so harte Zwangsarbeit als Strafe verordnet, dass dies als Todesstrafe auf Raten bezeichnet werden kann. Erst ab 1803 gab es von Erzherzog Franz II. ein "Gesetzbuch über Verbrechen" (hier von 1815, S. 53-54), bei dem die Strafe für "Unzucht gegen die Natur" nach § 113 "nur" noch aus Kerker bestand. Es blieb danach noch ein langer Weg homopolitischer Emanzipationsbemühungen, bis die Sonderparagrafen 1988 in der DDR und dann 1994 auch im Westen Deutschlands komplett abgeschafft wurden.
Während die CCT als Strafgesetzbuch für die Zivilbevölkerung nur 20 Jahre Bestand hatte, blieb sie als Teil des Militärstrafrechts bis 1855 bestehen, wie auch aus dem "Handbuch der Strafgesetze für die K.K. österreichische Armee.." (1849, S. 148) ersichtlich ist.
Und die Moral von der Geschichte: Moral gehört nicht ins Strafgesetz

Ein Gemälde vom Strafrechtsreformer Karl Ferdinand Hommel (1722-1781)
Egal, ob die Gesetze nun CCB, CCC oder CCT heißen – sie alle gehören zur langen und unrühmlichen Strafverfolgungsgeschichte von Schwulen und Lesben in der deutschen Geschichte. Die CCT stellt etwas Besonderes dar, weil sie ausführlicher die Hintergründe beleuchtet und auch das Ende der Todesstrafe markiert. Über Jahrhunderte wünschte man Homosexuellen nicht nur den Tod, sondern wandte die Todesstrafe auch an. Wie tief muss ein solcher als pathologisch zu bezeichnender Homo-Hass sitzen? Dieser Hass war religiös motiviert, was sich schon aus der Tötungsart ableiten lässt: Homosexuelle wurden vorzugsweise verbrannt, was als Referenz auf die Bibel anzusehen ist, wonach Gott die beiden Städte Sodom und Gomorrha mit Feuer vernichtete. An diesem biblisch beschriebenen Massenmord wollten sich Christen ein Beispiel nehmen und haben ihre "Moral" zu einem Gesetz gemacht.
Zu dieser "Moral" gab es im 18. Jahrhundert nur wenig Gegenkräfte. Dazu gehörte der italienische Strafrechtsreformer Cesare Beccaria (1738-1794), der das herkömmliche Verständnis von Laster in Frage stellte, um sie dem Strafrecht zu entziehen. Für ihn kann als einziger Grund und Maßstab einer Bestrafung nur der dem Staat und der Gesellschaft zugefügte Schaden sein. Sünden zu strafen stehe allein Gott zu, dem der menschliche Richter nicht vorzugreifen habe. Sein Übersetzer und Herausgeber Karl Ferdinand Hommel (1722-1781) kommentierte dies im Rahmen seiner Übersetzung (1778, S. 165-166): "Sodomiterey ist Sünde, […] aber kein Verbrechen, weil sie Niemand das Seinige entzieht, und nicht aus betrügerischen boshaften Herzen entspringet, noch die bürgerliche Gesellschaft zerrüttet". Die Unterscheidung zwischen dem, was subjektiv als unmoralisch bewertet wird und einem Schaden stiftenden Verbrechen hatte für die weitere Entwicklung des Strafrechts eine große Bedeutung.
Bis heute ist dieser Gedanke aktuell. Vor rund 50 Jahren hatte es die sexuelle Revolution in Deutschland erreicht, dass zum Beispiel Pornografie, Homosexualität unter erwachsenen Männern und mann-männliche Prostitution legalisiert wurden, deren Kriminalisierung auf Moral fußte, sich aber noch nie mit verletzten Rechtsgütern begründen ließ. Dazu gehören auch der reformierte Kuppelei-Paragraf (StGB) und das nicht mehr angewendete "Kranzgeld" (BGB). Wie sich Moral und Verbote in einem Rechtsstaat nur schwer voneinander entkoppeln lassen, ist auch an der "sittenwidrigen" Prostitution (bis 2001), dem Inzest-Verbot und – ganz aktuell – bei der Ehe für alle spürbar.
Die Forderung, dass moralische Vorstellungen nicht mit den Rechtsmitteln des Staates umgesetzt werden dürfen, muss bestehen bleiben – allein schon deshalb, weil die Todesstrafe für Homosexualität in einigen Ländern bis heute immer noch angewendet wird. Es sind religiös geprägte Länder, die Homosexualität vor allem aus moralischen Gründen verurteilen.















Ein Hinweis. Anstatt Rheinland-Pfalz muss es Baden-Württemberg heissen. Vorderösterreich, wie dieser Landesteil noch heute genannt wird, liegt zwischen Breisgau und Oberschwaben.
Die Haupstrasse Freiburgs hat im übrigen noch heute Kaiser Joseph aus Wien als Namenspatron und nicht Kaiser Wilhelm aus Berlin.