Mehrere rechtsextreme Aktivisten hatten am 22. November eine "bunte" Vorlesung verhindert (Bild: Screenshots aus Video von Omroep Gelderland)
Der Verband COC Nederland hat Anzeigen gegen Aktivisten der rechtsextremen Gruppe "Identitair Verzet" gestellt, berichten niederländische Medien am Samstag. Die Staatsanwaltschaft muss nun prüfen, ob diese bei einem Protest am 22. Dezember in Nimwegen Menschen einschüchterten und wegen sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität diskriminierten.
In der Bibliothek der Stadt (niederländisch: Nijmegen) in der Grenzregion zu Deutschland sollte eine von Dragqueens und Kings abgehaltene Lesung für Kinder ("Bunte Geschichten") stattfinden. Rund eine Stunde vor Beginn der Lesung seien mehrere junge Menschen in die Bücherei eingedrungen und seien "als bedrohend aufgefasst" worden und hätten für ein "Gefühl der Unsicherheit" gesorgt, so ein Mitarbeiter damals gegenüber lokalen Medien. Die "Bibliotheek Gelderland Zuid" entschloss sich daher zur Sicherheit der Kinder "schweren Herzens" für eine Absage der Veranstaltung – sie soll nachgeholt werden.
Die gleiche Lesung hatte am gleichen Ort zwei Monate zuvor erfolgreich stattgefunden, obwohl vor der Bücherei ein Protest der katholischen Stiftung Civita Christiana stattgefunden hatte. Dieser sei allerdings angemeldet gewesen und habe zwar zu erhitzten Debatten mit Passanten geführt, die Lesung im Innern aber nicht gefährdet. Auf den nicht angemeldeten Besuch der "Identitären" sei man aber nicht vorbereitet gewesen, so die Bibliothek.
Medien hatten später den Protest der "Identitären" vor dem Gebäude festgehalten. Erschienen war ein Aktivist mit Kreuz und der Flagge der Bewegung, gegen den sich die COC-Anzeige nun zunächst richtet, sowie mehrere Mitstreiter. Sie verteilten einen Flyer mit dem Aufdruck "Wir sind hier, um die traditionelle Familie als Eckpfeiler der Gesellschaft zu fördern". Gegenüber der Zeitung "De Gelderlander" hatte der Aktivist gesagt: "Wenn Transgender Kindern ab 4 Jahren vorlesen, werden traditionelle Werte und Normen beiseite geschoben. Das wird uns aufgezwungen."
Eintrag der "Identitären" nach dem Protest bei Facebook
Ap Willems, der Vorsitzende von COC Nijmegen, betonte: "Wir können und wollen nicht zulassen, dass dieser Vorfall einfach so vorübergeht." Man habe eine Transgendergruppe innerhalb des COC, mit der man unter anderem eine örtliche Fotoausstellung organisiert habe, die den Stolz und die Würde der Menschen zeige. Abwertende Äußerungen über Transpersonen dürften keinen Platz haben, auch wenn diese hier mit Dragqueens verwechselt oder vermischt wurden. Ob das zu unterschiedlichen rechtlichen Bewertungen führe und wie diese das Gesamtgeschehen bewerte, müsse nun die Staatsanwaltschaft entscheiden.
Europaweit gegen Einwanderung und "Genderterror"
Die regionale Gruppe von "Identitair Verzet" ("Identitärer Widerstand") hatte Medienberichte zurückgewiesen, man sei Rechtsradikale. So sei einer der Aktivisten, Tom van Lier, schlicht Katholik und zudem Mitglied der Christdemokraten. Man habe "nichts schlechtes" über Transpersonen gesagt, sondern nur betont, dass es "nicht normal" sei, wenn diese Kindern vorlesen würden.
Die in vielen Teilen der Niederlande aktive Gruppe ist eingebunden in ein europäisches Netzwerk ähnlicher Gruppierungen, so erklommen Aktivisten von "Identitair Verzet" gemeinsam mit deutschen Partnern der "Identitären Bewegung" 2016 den Kölner Hauptbahnhof, um ein Banner "Nie wieder Schande von Köln! #Remigration" zu entrollen (Quelle: Bundesregierung). Die jeweiligen Organisationen setzen teilweise auf das gleiche Logo – ein eingekreistes Lambda in schwarz-gelber Kombination, das Ähnlichkeiten zum Emblem der SA aufweist.
In Deutschland hatte die Gruppe mehrfach öffentlichkeitswirksame Aktionen wie das Entrollen von Plakaten vom Brandenburger Tor oder dem WDR-Gebäude durchgeführt und mehrfach Veranstaltungen erstürmt und gestört. Mit einem Plakat "Genderterror raus aus den Köpfen!" hatten sich Aktivisten der "Identitären Bewegung Deutschland" auch mehrfach an Kundgebungen des homo- und transfeindlichen Bündnisses "Demo für alle" in Stuttgart und Wiesbaden beteiligt, laut der "Identitären"-Webseite aus Protest gegen "Perversion" und die "Agenda" der "Homo-, Gender- und Pädophilenlobby".
Die Bewegung ist teilweise eng mit der AfD und neurechten Aktivisten und Medien verbunden, so wird sie auch häufig vom schwulen Rechtsaußen-Publizisten David Berger beworben. Während die Gruppe vor allem in sozialen Netzwerken um ein jugendliches Auftreten bemüht ist, waren einige führende Köpfe zuvor in rechtsextremen Organisationen aktiv. Inzwischen sehen Verfassungsschützer teilweise einen Anlass zur Beobachtung und Indizien für verfassungsfeindliche Bestrebungen.
AfD-Politiker hatten sich zugleich schon homo- und transfeindlicher geäußert als etwa "Identitair Verzet". So hatte 2016 der damalige Fraktionschef in Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, gemeint, ein Kinderbuch von Dragqueen Olivia Jones sei wie ein Aktionsplan zur LGBTI-Akzeptanz "eine Schändung von Kinderseelen" (queer.de berichtete).
Die Webseite zur Lesung in den Niederlanden betont übrigens, die Reihe mit Vorlesern aus unterschiedlichen Hintergründen soll das Interesse an Menschen und ihren diversen Geschichten wecken, vor allem aber das tägliche Lesen fördern: "Wussten Sie, dass eine Viertelstunde Vorlesen pro Tag das Vokabular von Kindern erweitert? In der Bibliothek gehen wir regelmäßig mit gutem Beispiel voran."
Hm, vielleicht hätten die 'Identitären' ja auch bei den sozial auffälligen Migranten vom Kölner Hauptbahnhof Unterstützer für ihre Demo gegen die Bücherlesung suchen können.
Denn: Ob katholisches Getue ausgerechnet in den Niederlanden so identitätsstiftend ist, darf ja angesichts der Entstehung dieses Staates aus dem Widerstandskrieg gegen das erzkatholische Spanien sehr bezweifelt werden.
Andererseits gibt es gute Gründe, LGTBI-Rechte als in Bezug auf die Niederlande als sehr identitätsstiftend anzusehen.
Fazit: 'Identitäre' haben ein gewaltiges Identitätsproblem, das leicht in Gewalt ausarten kann!