Vier-Sterne-General Günter Kießling wurde gefeuert, weil ihn der Verteidigungsminister für schwul hielt
Vor rund zwei Jahren verkündete Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) bei einem Workshop, dass sie sexuelle Vielfalt zur Normalität in der Bundeswehr machen wolle (queer.de berichtete). Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transpersonen dürfen nicht nur in der deutschen Armee dienen, sie werden von der Ministerin ausdrücklich umworben. Der Stab "Chancengerechtigkeit, Vielfalt und Inklusion" bietet queeren Soldatinnen oder Soldaten eine zentrale Anlaufstelle, wenn sie diskriminiert werden.
In den Achtzigerjahren war die Lage noch ganz anders. Homo- und Transsexuellen war der Dienst an der Waffe pauschal untersagt. Sie galten als Sicherheitsrisiko – das führte zu einer der bizarrsten Skandale in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Kießling-Affäre, die im Januar 1984 publik wurde, brachte die damals gerade mal anderthalb Jahre alte Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) in erhebliche Schwierigkeiten.
"Günter von der Bundeswehr" in Kölner Stricherkneipe?
Die Geschichte begann im Herbst 1983: Der Militärische Abschirmdienst (MAD), der Geheimdienst der westdeutschen Streitkräfte, wollte damals erfahren haben, dass ein "Günter von der Bundeswehr" im schwulen Etablissement "Tom-Tom" in der Kölner Innenstadt verkehrt haben soll. Nach den Ermittlungen sollen einige offenbar angetrunkene Gäste der Stricherkneipe den Vier-Sterne-General Günter Kießling erkannt haben. Der MAD hatte Kießling ohnehin bereits auf dem Kieker, weil dieser ledig war, während der gesamte Rest der (rein männlichen) Nato-Führungsriege Ehefrauen vorzuweisen hatte.
Der Fall erreichte schnell Bundesverteidigungsminister Manfred Wörner. Der konservative CDU-Politiker war geschockt. In dieser Zeit lieferte sich der Westen mit dem Ostblock ein Wettrüsten, eine gewisse Paranoia herrschte in Militärkreisen vor. Ein schwuler General, der zudem noch Befehlshaber der Nato-Landstreitkräfte war und damit höchster deutscher Vertreter im westlichen Verteidigungsbündnis – so etwas war in Wörners Welt unvorstellbar. Schließlich sei der General nun von den Sowjets erpressbar, wenn sie von dessen angeblicher sexueller Orientierung Wind bekommen sollten.
Verteidigungsminister Wörner schmiss Kießling raus
Verteidigungsminister Manfred Wörner sah homosexuelle Soldaten oder Generäle als Gefahr für die nationale Sicherheit an (Bild: Bundesverteidigungsministerium)
Im Dezember 1983 feuerte Wörner daher Kießling, ohne Gründe zu nennen. Die Presse wurde aber kurz nach dem Jahreswechsel auf die Schwulengerüchte aufmerksam – und die Debatte nahm ihren Lauf. Wörner gab sich da noch siegessicher und erklärte im Fernsehen: "Jeder Irrtum ist ausgeschlossen." Kießling selbst gab der Bevölkerung sein "Ehrenwort", nicht schwul zu sein (dreieinhalb Jahre, bevor CDU-Ministerpräsident Uwe Barschel sein "Ehrenwort" gab und dieser Begriff damit aus der deutschen Politik verschwand).
Im Laufe des Januars wurden Details über die Affäre bekannt. So habe ein Militärarzt gegenüber dem MAD dokumentiert, dass Kießling bei einer Untersuchung "an sich rumgespielt" habe. Der Doktor widersprach dieser Darstellung aber sofort in der "Bild am Sonntag". Als das Verteidigungsministerium keine Beweise fand, interviewte Wörner sogar persönlich zwei Stricher, um sie mit Kießling in Verbindung zu bringen. Glaubhafte Zeugen waren allerdings nicht zu finden. Vielmehr stellte sich heraus, dass "Günter von der Bundeswehr" viel eher "Jürgen" hieß – und nichts mit Kießling zu tun hatte. Der Spott im Bundestag war Wörner damit sicher: Der frisch gewählte Bundestagsabgeordnete Joschka Fischer bezeichnete den Verteidigungsminister als "Manfred von der Bundeswehr".
Schließlich zog "Manfred" die Geschütze ein: Im Februar wurde Kießling wieder eingestellt, während die Presse bereits darüber debattierte, ob Homosexualität wirklich ein Sicherheitsrisiko sei. Kießling selbst empfand die Affäre als tiefe Beleidigung. Er war von diesem Zeitpunkt an nur noch wenige Monate im Amt und wurde dann in allen Ehren mit einem Großen Zapfenstreich in den Ruhestand versetzt. "Nach dem Geschehenen konnte und wollte ich in dieser Bundeswehr nicht mehr dienen", erklärte er Jahre später in einem Buch. Der General starb 2009 im Alter von 83 Jahren.
Dem Verteidigungsminister schadete diese Affäre am Ende nicht: Wörner bot Kohl zwar seinen Rücktritt an, den der Kanzler aber ablehnte. 1988 wurde er zum Nato-Generalsekretär befördert und blieb auf diesem Posten bis zum seinem Tod im Jahre 1994.
Bis heute sind die Hintergründe der Affäre nicht aufgeklärt. So gibt es Vermutungen, dass die Homosexualität Kießlings vom DDR-Geheimdienst inszeniert worden war: Der damalige MAD-Vizechef Joachim Krase wurde 1990 als Stasi-Spitzel enttarnt. Er konnte aber nicht mehr befragt werden, da er schon zwei Jahre zuvor gestorben war.
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