Der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow (r.) und Informationsminister Dschambulat Umarow
Mit Äußerungen, die in anderen Ländern zu Partei- und Ämterausschlüssen sowie zu strafrechtlichen Ermittlungen führen würden, hat der tschetschenische Informationsminister Dschambulat Umarow am Dienstag Berichte über eine neue Verfolgungswelle gegen Homosexuelle in der russischen Teilrepublik zurückgewiesen.
Gegenüber dem russischsprachigen TV-Sender "Current Time", der zu Radio Free Europe gehört, sagte der 49-Jährige, die Meldungen über eine Unterdrückung seien Unsinn. Es gebe zu der Verfolgung keine Aussagen, keine Namen, keine Adressen, log Umarow. Man werde auch nichts finden, weil Homosexualität in der Republik "als Phänomen nicht stattfindet".
Begriffe wie Elternteil 1 und 2 seien das erste und "ernste Warnzeichen für eine Degeneration der Menschheit", so der Politiker, der auch als Außenminister fungiert. "Russland (!) ist nicht bereit für Degeneration. Im Gegenteil: Russland versucht, sich wiederzubeleben, anstatt zu verkommen." Wie der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow mehrfach zuvor behauptete Umarow, Menschen würden sich fälschlich als Tschetschenen und verfolgte Homosexuelle ausgeben, weil sie so in anderen Ländern Asyl erhielten.
Zu solchen Entwicklungen sei die Region nicht bereit, "wir werden das bekämpfen", so Umarow. "Man sollte diese Saat der Sodomie nicht auf dem gesegneten Boden des Kaukasus säen. Es wird nicht funktionieren, sie wird nicht keimen." In einem "verdorbenen Europa", in dem der Nihilismus regiere und nur das akzeptiert werde, "was gegen die Natur ist", sei der richtige Boden für das Wachstum dieser Saat. Aber niemand unterdrücke in Tschetschenien Homosexuelle. "Sie sind einfach nicht da, in dieser Anzahl. Wo sollen diese Zahlen herkommen, 40, 50 Personen?"
Umarow behauptete bereits in der Vergangenheit, Homosexuelle hätten in Tschetschenien nie existiert, weil sie "genetisch unmöglich" seien. Schwule seien "kranke Menschen" und "geschlechtslose Wesen" sowie "Dämonen", die sich hinter Künstlern, Journalisten oder Menschenrechtlern versteckten. Das "Oberhaupt" der Republik hatte sich mehrfach ähnlich drastisch geäußert: Man müsse das tschetschenische Blut von Schwulen reinigen, meinte Kadyrow etwa 2017 in einem US-TV-Interview (queer.de berichtete).
Schock über neue Verfolgungswelle
Am Montag hatte das russische LGBT Network, das seit den ersten Verfolgungswellen gegenüber Homosexuellen in Tschetschenien im Frühjahr 2017 Menschen bei der Flucht aus der Region hilft, Medienberichte über ein erneutes verstärktes Vorgehen der Sicherheitskräfte bestätigt (queer.de berichtete). Den Informationen des Verbandes zufolge seien seit Ende Dezember um die 40 Menschen, Männer und Frauen, wegen vermuteter Homosexualität außergesetzlich inhaftiert worden. Mindestens zwei Menschen seien an den Folgen von Folter gestorben.
Erschwerend komme offenbar neu hinzu, dass den Betroffenen Ausweise abgenommen werden würden, was eine spätere Flucht erschwere. Das LGBT Network hatte im Rahmen der letzten zwei Jahre über 150 Menschen bei der Flucht aus Tschetschenien geholfen, erst in Notunterkünfte in Moskau und St. Petersburg, dann aus Sicherheitsgründen ins Ausland. Auch Deutschland hat Betroffene aufgenommen.
2017 waren über 100 Männer durch Sicherheitskräfte verschleppt worden; sie wurden in außergesetzlichen Gefängnissen an der Seite von angeblichen Drogensüchtigen und anderen Gefangenen festgehalten und gefoltert, um die Namen weiterer Homosexueller preiszugeben. Einige Menschen starben bei der Prozedur, andere wurden an Verwandte übergeben mit der Aufforderung, diese zu töten. Vereinzelte Festnahmen von Personen, darunter auch vermutete Lesben und Transpersonen, soll es seitdem immer wieder gegeben haben.
Der Europarat und die OSZE haben im letzten Jahr umfassende Berichte zu der Verfolgung vorgelegt und Russland – bislang vergeblich – aufgefordert, die Verfolgung auf seinem Staatsgebiet nicht länger hinzunehmen und die bisherigen Taten aufzuklären.
Entsetzte Reaktionen aus dem In- und Ausland
Das Auswärtige Amt verbreitete am Dienstag eine gemeinsame Stellungnahme der Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik, Bärbel Kofler (SPD), und des Französischen Botschafters für Menschenrechte, François Croquette, in der sich die beiden Politiker "besorgt" über die neuen Berichte zeigten. "Russische Behörden müssen den Berichten von Menschenrechtsorganisationen schnellstens nachgehen und allen bedrohten Menschen Schutz und Unterstützung gewähren." Wie die internationale Gemeinschaft mehrfach betont habe, müssten Gewaltverbrechen aufgeklärt und die Täter zur Verantwortung gezogen werden. "Wir rufen Russland erneut dringend dazu auf, die Empfehlungen, die im Bericht des OSZE-Berichterstatters Professor Benedek enthalten sind, umzusetzen."
"Wir dürfen nicht wegschauen!", kommentierte der außenpolitische Sprecher der Linken, Stefan Liebich, bei Twitter. "Die Regierung Russlands muss Ramsan Kadyrow stoppen!" Die grüne Europapolitikerin Terry Reintke erneuerte in einer Erklärung der interfraktionellen LGBT-Arbeitsgruppe des Parlaments, Russland müsse endlich den Empfehlungen der EU, von Europarat und OSZE nachkommen und die Verbrechen aufklären und unterbinden. "Wir können nicht warten, bis noch mehr Menschen inhaftiert, gefoltert und getötet werden."
Auch aus Russland kamen entsprechende Aufforderungen – aus der Oppositionspartei Jabloko und vom bekannten Oppositionellen Dmitri Gudkow, beide sind nicht im Parlament vertreten. Trotz "unwiderlegbarer Beweise" hätten die russischen Behörden keine Ermittlungen zu den begangenen Straftaten durchgeführt, beklagte Jabloko. "So hat die Führung Russlands die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Gewalt gegen russische Bürger geschaffen." Die Aktionen seien unmenschlich und würden das Land Jahrzehnte zurückwerfen. Die Verantwortung liege nicht nur bei der tschetschenischen Führung, sondern auch bei den russischen Behörden und "staatlichen Medien, die seit Jahren Feindschaft und Hass gegen Mitglieder der LGBT-Community schüren". Taten müssten untersucht, Täter bestraft und diskriminierende Gesetze wie das gegen Homo-"Propaganda" aufgehoben werden. Putin müsse der Verpflichtung nachkommen, die verfassungsmäßigen Rechte der russischen Bürger zu schützen und sicherzustellen", so Jabloko. Dies müsse er auch öffentlich von Kadyrow einfordern.
Gudkow beklagte, in Tschetschenien habe erneut eine "Jagd auf Menschen" begonnen. Diesmal seien Schwule betroffen, gestern Oppositionelle wie Boris Nemzow – morgen könnte es jeden treffen, warnte der 38-Jährige. Der Staat habe aufgegeben, es gebe nur noch "Blut und Angst". Diese "Beleidigung des Staates" und "Unterminierung seines Fundaments" habe begonnen, als man Tschetschenien quasi Rechtsfreiheit zusicherte. "Kadyrow wurde gekauft. Und nun verlangt er nicht nur Geld, sondern Blut." Und der Staat gebe es ihm, so Gudkow. Wer habe noch den Mut, Recht und Gesetz einzufordern? Die "Lämmer in Uniformen und Abgeordnetensesseln" fragte er resigniert, ob sie dazu weiter schweigen wollten.
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Vor 1917 versuchte der frömmelnde reaktionäre Zarismus mit Antisemitismus zu punkten (einschließlich Massaker im Hinterland). Auch im Westen ('Protokolle der Weisen von Zion').
2018 versucht es der frömmelnde reaktionäre Neozarimus mit Homophobie (einschließlich Massaker im Hinterland). Auch im Westen:
www.youtube.com/watch?v=0m8-_QlwYV8
Interessant ist dabei das Schweigen 'linker' putinistisch-reaktionärer 'Friedensengel' wie Wagenknecht:
www.youtube.com/watch?v=jfYjvU1nnkU
www.youtube.com/watch?v=oll26vp1ZaI