Der Bundesvorsitzende der Grünen, Robert Habeck, geht davon aus, dass die Erweiterung der Liste von "sicheren Herkunftsstaaten" im Bundesrat abgelehnt werden wird. "Wie schon vor zwei Jahren gibt es auch diesmal erkennbar keine Mehrheit, diesem Gesetz zuzustimmen", sagte Habeck im TV-Sender phoenix. "Auch weil die Grünen in den Landesregierungen die sogenannte Koalitionskarte ziehen werden", so Habeck weiter. "Das bedeutet, wenn sich Landesregierungen mit grüner Beteiligung in dieser Frage uneins sind, ist im Koalitionsvertrag festgelegt, dass man sich im Bundesrat zu diesem Thema enthält. Das ist zuletzt auch im Koalitionsvertrag von Hessen so festgelegt worden."
Der Hintergrund: Am Freitagvormittag hatte der Bundestag beschlossen, die Liste der "sicheren Herkunftsstaaten" um vier zu erweitern: Marokko, Tunesien, Algerien sowie Georgien (queer.de berichtete). Von LGBTI-Aktivisten kam scharfe Kritik, weil alle drei Maghreb-Staaten Homosexuelle verfolgen lassen und ihnen mit bis zu drei Jahren Haft drohen. In Tunesien werden schwule Männer laut Menschenrechtlern sogar gefoltert (queer.de berichtete).
Das Gesetz der Großen Koalition muss allerdings noch durch die Länderkammer – und dort müssen sich die Landesregierungen jeweils auf ein Votum einigen. Ein kleiner Koalitionspartner kann dann den anderen zu einer Enthaltung zwingen, was in einer Abstimmung in der Länderkammer gleichbedeutend mit einem "Nein" ist.
Die Grünen sind in neun von 16 Landesregierungen vertreten – sie haben damit Einfluss auf 37 der 69 Stimmen im Bundesrat. Das Land Brandenburg hat zudem eine rot-rote Regierung, die ebenfalls nicht zustimmen wird. Damit müssten mindestens zwei Länder mit grüner Regierungsbeteiligung dem Gesetz ihr Okay geben, damit es den Bundesrat passieren kann.
Grün-Schwarz in Stuttgart spricht sich für die Ausweitung aus
Einzig das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg hatte sich schon vor Jahren in dieser Frage für die Verleihung des Prädikats "sicher" an die Verfolgerstaaten ausgesprochen. Vor wenigen Monaten erklärte Regierungssprecher Rudi Hoogvliet gegenüber der "Badischen Zeitung" bereits, dass Grün-Rot wohl trotz der Verfolgung Homosexueller Algerien, Marokko und Tunesien für "sicher" hält: "Wir haben im Koalitionsvertrag klar geregelt, dass Baden-Württemberg der Erweiterung der sicheren Herkunftsstaaten um die Maghreb-Staaten zustimmen wird, sofern die hohen verfassungsrechtlichen Hürden eingehalten werden", so Hoogvliet.
Bereits 2017 hatte der Bundestag ein entsprechendes Gesetz zur Einstufung der drei Maghreb-Staaten beschlossen. Trotz der Unterstützung Baden-Württembergs war es im Bundesrat an weiteren Landesregierungen mit Beteiligung von Grünen oder Linkspartei gescheitert (queer.de berichtete).
Habeck kritisierte in dem Interview das Bestreben der Großen Koalition, die drei nordafrikanischen Ländern als "sicher" zu bezeichnen, obwohl sich dort die Menschenrechtslage "eher verschlechtert" habe. Journalisten, Homosexuelle oder auch Angehörige religiöser Minderheiten würden dort immer noch verfolgt. "Nur die Situation im Land ist für uns die Grundlage zu entscheiden, ob man diese Staaten als sichere Herkunftsländer einstufen kann oder nicht."
Auch LSVD hofft auf Bundesrat
Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland hat die Entscheidung des Bundestages über die sicheren Herkunftsländer verurteilt – und setzt nun alle Hoffnungen in den Bunderat. "Das ist ein schlechter Tag für die Menschenrechte von Lesben und Schwulen", erklärte Vorstandsmitglied Marion Lüttig. "Gerade für Menschen, die vor brutaler Verfolgung wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität fliehen müssen und Schutz suchen, verschlechtert eine Herkunft aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat die Chance auf ein faires Asylverfahren. Denn sie stehen nun vor Schnellverfahren ohne ausreichenden Zugang zu fachkundiger Beratung und ausreichendem Rechtsschutz sowie einer Unterbringung in besonderen Einrichtungen."
Die Entscheidung des Bundestags sei auch ein "schwerer Rückschlag" für die die internationalen Bemühungen zur Entkriminalisierung von Homosexualität. "Regierungen von Verfolgerstaaten können sich nun bestätigt fühlen", so Lüttigs Fazit. (pm/dk)