Der Iran gehört zu den Ländern mit den meisten Hinrichtungen – Amnesty sprach von mindestens 500 staatlichen Tötungen im Jahr 2017, die Dunkelziffer könnte allerdings höher liegen
In den letzten Tagen gab es in einigen Medien Meldungen, dass ein Schwuler im Iran hingerichtet worden sein soll. In Deutschland berichtete etwa das Auslandsressort der auflagenstärksten nationalen Zeitung "Bild" über den Vorfall, international beispielsweise die "Jerusalem Post".
Richard Grenell, der offen schwule US-Botschafter in Deutschland, empörte sich via Twitter über die Hinrichtung: "Das sollte vollständig verurteilt werden. Von jedem. Das ist ungehörig und barbarisch", so Grenell am Samstag. In einem weiteren Tweet rief der Amerikaner europäische Länder zu diplomatischen Reaktionen auf (die USA haben seit 1979 keine diplomatischen Beziehungen mit dem Iran).
Uns erreichten in den letzten Tagen E-Mails, warum wir nicht über die Hinrichtung berichtet haben. Wir hatten darüber letzte Woche debattiert, aber uns zunächst dagegen entschieden. Der Grund war die unsichere Quellenlage: Alle Berichte in westlichen Medien basieren auf einem einzigen Bericht der staatlich kontrollierten Studenten-Nachrichtenagentur ISNA vom 12. Januar, in dem von der Hinrichtung eines 31-jährigen Mannes am 10. Januar in der Stadt Kazerun wegen Entführungen und "Lavat" (Unzucht) die Rede ist.
In dem auf Farsi verfassten Artikel, der auf weitere nicht näher aufgeführte Taten des Mannes verweist, heißt es, dass der mutmaßliche und nicht namentlich genannte Täter zwei 15-Jährige entführt haben soll. Ob die ihm vorgeworfenen sexuellen Handlungen damit in Verbindung stehen, ist ebenso unklar wie andere Details zum Fall.
Keine freie Berichterstattung
Das Problem mit der Berichterstattung zu entsprechenden Fällen aus dem Iran: Die sogenannte Islamische Republik vermischt in ihrem Strafrecht alle Formen von unehelichem Sex mit sexueller Gewalt. Urteile aufgrund von "Lavat" werden daher einerseits oft wegen Vergewaltigungen oder ähnlicher Fälle von Gewalt verhängt, andererseits wird Männern, die schlicht wegen Homosexualität verurteilt werden, oft vorgeworfen, Gewalt angewandt zu haben. Unabhängige Gerichtsreporter gibt es im Iran nicht, auch Menschenrechtsorganisationen können oft nur raten, was im Land passiert. Anders als etwa bei einer Hinrichtung 2016, zu der Amnesty International Hintergründe und Einschätzungen beisteuerte, fehlen diesmal grundlegende Informationen.
Die in Kanada ansässige Hilfsorganisation International Railroad for Queer Refugees (IRQR) hat zum aktuellen Fall auf Facebook erklärt, es sei "schwierig zu beurteilen", was der Grund für die Hinrichtung war. Todesstrafen und eine Bestrafung von vermeintlicher Unzucht, die auch als Vorwand zur Verfolgung Heterosexueller dienen könne, seien abzulehnen.
Zu verharmlosen gibt es nichts: Auf einvernehmliche gleichgeschlechtliche Aktivitäten stehen im Iran die Todesstrafe – und laut Menschenrechtlern wurden schon viele Schwule wegen ihrer sexuellen Orientierung hingerichtet, auch wenn die Öffentlichkeit nichts davon mitbekam. Amnesty International geht von tausenden homosexuellen Opfern seit der Machtübernahme der Mullahs vor 40 Jahren aus.
Wichtig ist bei diesem Thema ein weiterer Hinweis: Jedes Todesurteil ist – genauso wie Folter – immer ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, egal wen es trifft. Das ist beispielsweise in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert. Auch wenn wir nicht wissen, ob im aktuellen Fall tatsächlich ein Mann wegen Homosexualität von staatlichen Stellen getötet wurde, verletzt die Hinrichtung das Grundrecht auf Leben.
Dass sich US-Botschafter Grenell aber nun in Europa wegen des Vorfalls zum Verteidiger der Menschenrechte aufspielen will, ist heuchlerisch. Zum einen richtet Grenells eigenes Heimatland Menschen hin, darunter auch viele Unschuldige wie Carlos DeLuna. Zum anderen haben die USA kein Problem damit, mit Saudi-Arabien diplomatisch und militärisch zu kuscheln, obgleich das Königreich mindestens genauso brutal gegen Schwule vorgeht. In diesem Fall wird Grenell wohl eher von altmodischen nationalen Interessen getrieben.
Es muss mehr diplomatischer/entwicklungshilfepolitischer Druck auf diese Staaten, homosexuelle Handlungen zu legalisieren.
Während es in Afrika südlich des Äquators, das überwiegend christlich geprägt ist (Ausnahme: Inselstaat Komoren, Küstengebiet mi Insel Sansibar in Tansania), immer besser ausschaut und dort Strafgesetze abgeschafft wurden (zuletzt in Angola, davor auch in Mosambik), schaut es im überwiegend islamisch geprägten Nordafrika aus.
Seit 1989/1990 haben rund 30 Staaten homosexuelle Handlungen legalisiert und es waren überwiegend nur christlich geprägte Staaten. Derzeit haben wir 70 bzw. 71 Staaten (inklusive Cookinseln als eigenständiger Staat), wo homosexuelle Handlungen im Jahre 2019 strafbar sind.
Derzeit gibt es insbesondere Legalisierungsbemühungen von Aktivisten mit gerichtlichen Klagen sowie parlamentarische Bemühungen in Namibia, in Botswana, in Singapur, im Libanon, in Tunesien und in Jamaika.
Demgegenüber hat die Konferenz Islamischer Staaten in Kairo einen Gegenentwurf zu den UNO-Menschenrechten verabschiedet, worin die Scharia betont wird und homosexuelle Handlungen zu bestrafen seien.