Im Landtag zeigten sich die beiden Regierungsparteien uneins, ob man Verfolgerstaaten das Prädikat "sicher" verleihen soll (Bild: Landtag von Baden-Württemberg)
Eine Stunde lang debattierte der Landtag in Stuttgart am späten Donnerstagvormittag über das Thema "sichere Herkunftsländer". Spannend war, ob die Koalition aus Grünen und CDU der Ausweitung auf Algerien, Marokko und Tunesien im Bundesrat zustimmen wird. Zwar hatte das Land in der Länderkammer 2017 einem ersten Anlauf der Bundesregierung zugestimmt, der an weiteren Ländern mit Beteiligung der Linken und Grünen scheiterte (queer.de berichtete). Bei den Grünen gibt es aber Zweifel, ob es der richtige Weg ist, Staaten mit einer Anerkennung als "sicher" zu belohnen, die Homosexuelle verfolgen lassen.
Der Hintergrund: Die schwarz-rote Koalition in Berlin hatte vor zwei Wochen im Bundestag, mit Unterstützung von AfD und FDP, die Einstufung der Länder Algerien, Marokko und Tunesien – sowie von Georgien – als "sicher" beschlossen, obwohl in den Maghreb-Ländern Homosexualität unter Strafe steht und schwule Männer in Tunesien laut einer Menschenrechtsorganisation sogar gefoltert werden. LGBTI-Aktivisten kritisieren, dass es aus menschenrechtlicher Sicht ein fatales Signal sei, Verfolgerstaaten zu attestieren, sicher zu sein – man solle stattdessen lieber Druck auf die Länder ausüben, Homosexualität zu legalisieren.
Die Verleihung des Prädikats "sicher" für die drei Maghreb-Staaten muss noch durch den Bundesrat, in dem Linke und Grüne derzeit eine Verabschiedung blockieren (queer.de berichtete). Die Große Koalition braucht die Zustimmung von mindestens zwei Bundesländern, in denen Grüne oder Linke mitregieren – und Baden-Württembergs grün-schwarze Regierung ist der größte Wackelkandidat.
Sind verfassungsrechtliche Voraussetzungen erfüllt?
Landes-Grüne und CDU hatten 2016 im Koalitionsvertrag vereinbart, dass Baden-Württemberg die Ausweitung der sicheren Herkunftsländer auf Algerien, Tunesien und Marokko unterstützen werde, wenn die hohen "verfassungsrechtlichen" Voraussetzungen erfüllt seien (queer.de berichtete). Ob diese Voraussetzungen trotz der Verfolgung Homosexueller – ebenso wie der Verfolgung von Journalisten und religiösen Minderheiten – erfüllt sind, darüber sind sich Grüne und CDU uneins.
Die aktuelle Debatte im Landtag war von der AfD-Fraktion beantragt worden. Der provokante Titel: "Sichere Herkunftsländer im Bundesrat – wird Ministerpräsident Kretschmann im Interesse des Landes Baden-Württemberg handeln oder grüne Parteipolitik betreiben?"
Redner von AfD, CDU, SPD und FDP zeigten wenig Interesse, die Problematik der Homo-Verfolgung und -Folter offen anzusprechen. Der AfD-Parlamentarier Daniel Rottmann erwähnte das Thema von Minderheiten in seiner Rede mit keinem Wort. Er gab sogar offen zu: "Ich will nicht über das Thema sichere Herkunftsländer reden." Stattdessen attackierte der 49-jährige Theologe den nicht anwesenden Ministerpräsident Winfried Kretschmann, entwickelte Verschwörungstheorien über geheime Absprachen zwischen Bundestag und Bundesrat, kritisierte die Diesel-Politik und erträumte sich gute Wahlergebnisse für seine Partei im laufenden Wahljahr.
Der Grünenpolitiker Daniel Lede Abal äußerte "Zweifel am Sinn dieses Rechtskonstruktes" der sicheren Herkunftsländer. Das beschleunigte Verfahren kollidiere mit der Einzelfallprüfung, die jedem Asylbewerber zustehe. Der 42-jährige Tübinger verwies auf die Situation von "besonders vulnerablen Gruppen" wie Homosexuellen, Transsexuellen und Journalisten, die Nachteile erleiden könnten. Man werde nun mit Blick auf den Koalitionsvertrag prüfen, ob das Land zustimmen könne.
Thomas Blenke von der CDU würde gerne zustimmen. Seine einfach Begründung: Aus den drei Maghreb-Staaten sowie Georgien würden unter fünf Prozent der Asylbewerber anerkannt. Für "vulnerable Gruppen" sei zudem im neuen Gesetzentwurf eine spezielle Rechtsberatung vorgesehen. Menschenrechtler halten diese Regelung aber für bei weitem nicht ausreichend.
SPD: "Keine systematische Verfolgung" in Maghreb-Staaten
Als nächster Redner verteidigte der SPD-Politiker Rainer Hinderer die Verleihung des Prädikats "sicher" an die Maghreb-Staaten. Aus Sicht der SPD gebe es dort "keine generelle, systematische Verfolgung", daher sei es möglich, diese Länder in die Weiße Liste aufzunehmen. Warum die generelle Verfolgung von Homosexuellen in allen drei Ländern und die Folter in Tunesien von der SPD als nicht problematisch angesehen wird, dazu sagte er nichts. Immerhin erwähnte er die schwierige Lage von Schwulen und Lesben, für die die vorgesehene Rechtsberatung aber ausreichend sei.
Der FDP-Abgeordnete Ulrich Goll erwähnte hingegen die Verfolgung sexueller oder geschlechtlicher Minderheiten mit keiner Silbe, sondern konzentrierte sich in seiner Rede auf Attacken gegen den liberalen Lieblingsfeind – die Grünen. "Ich verstehe es nicht, dass sie hier der AfD ein Stück weit die Tür zum Erfolg aufmachen, indem sie die Politik an einem Punkt unverständlich machen", so der frühere Landesjustizminister, der sich einst dafür ausgesprochen hatte, keinen Diskriminierungsschutz für Schwule und Lesben in Deutschland einzuführen (queer.de berichtete). "Wir können doch nicht in allen Ländern dieser Erde garantieren, dass keine Übergriffe stattfinden", so Goll weiter. Warum ausgerechnet Länder das Prädikat "sicher" erhalten sollen, die aktiv Homosexuelle verfolgen lassen, verriet er aber nicht.
Für die Landesregierung erklärte Migrationsminister Thomas Strobl (CDU), dass man sich in den nächsten zwei Wochen positionieren werde. Mit der Verleihung des Prädikats "sicher" an die Maghreb-Staaten erspare man "Menschen in Herkunftsländern die Illusion", ein besseren Leben in Deutschland finden zu können. Der Landesregierung sei es gleichzeitig wichtig gewesen, dass "vulnerable Gruppen" besonders behandelt werden.
Thomas Strobl ist seit Frühjahr 2016 Landesminister für Inneres, Digitalisierung und Migration sowie stellvertretender Ministerpräsident
In einer zweiten Rederunde erinnerte Daniel Lede Abal (Grüne) daran, dass die Anerkennungsquote der Maghreb-Staaten zwar gering sei, aber nicht gleich Null – und es Menschen gebe, "die gefährdet sind". Neben Homosexuellen und Transgender erwähnte er konkret religiöse Minderheiten, Konvertiten und Journalisten. Thomas Blenke vom grünen Juniorpartner CDU wischte diese Zweifel an der Neueinstufung erneut weg – damit würde vielmehr der Anreiz genommen, "überhaupt erst zu kommen".
Auch zwei fraktionslose Abgeordnete meldeten sich am Ende der Debatte zu Wort, darunter das AfD-Mitglied Wolfgang Gedeon, das wegen seiner judenfeindlichen Haltung selbst innerhalb seiner eigenen nicht gerade zimperlichen Partei in Kritik geraten war; das führte zu seinem Ausschluss aus der Fraktion, aber nicht aus der Partei. Der 71-Jährige ging in seiner Rede kaum auf das Thema der sicheren Herkunftsstaaten ein, sondern gab die von seiner Partei gewohnte populistische Mischung aus Ausländer- und EU-Hass zum Besten.
"Unsere Problem" seien Hunderttausende Afghanen, Iraker und Syrer, die sich lieber in ihren Heimatländern an den jeweiligen kriegerischen Konflikten beteiligen sollten – junge Afghanen sollten nicht in Berlin spazieren gehen, "sondern in Afghanistan kämpfen", sagte der sichtlich erregte Gedeon. Die Afghanen wollten "sogar ihre Frauen" wieder zurück, behauptete der Politiker aus dem Landkreis Konstanz. Außerdem schwelgte er in multiplen Verschwörungstheorien – etwa, dass die grüne Ideologie in Deutschland herrsche und die Europäische Union all das dirigiere. "Deshalb meine zentrale Forderung: Weg mit der EU. Dexit!"
Die nächste Sitzung des Bundesrats ist für den 15. Februar angesetzt.
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Das gilt aber nur für Heteros und nicht für LGBTI. Genau das versucht die SPD immer zu vertuschen, um ihre Zustimmung zu rechtfertigen.