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ESC-Kaffeesatz

Italien: Wirbel um "schwulen" Eurovision-Sänger

Viele loben und viele kritisieren in sozialen Netzwerken, dass der Gewinner des Sanremo-Festivals ein Migrantensohn ist und auch noch homosexuell sei. Mahmoods Äußerungen zu seiner Sexualität sind allerdings vielseitig interpretierbar.


Alessandro Mahmoud, so der bürgerliche Name, hat am Samstag das traditionsreiche Musikfestival von Sanremo gewonnen, das als Vorbild des Eurovision Song Contest gilt und derzeit als dessen nationaler Vorentscheid genutzt wird

  • Von Norbert Blech
    10. Februar 2019, 23:06h 6 6 Min.

In Italien hat am Samstag der Sänger und Rapper Mahmood das mehrtägige 69. Musikfestival von Sanremo gewonnen – und inzwischen das damit verbundene Angebot angenommen, mit dem Siegertitel "Soldi" das Land beim diesjährigen Eurovision Song Contest in Tel Aviv zu vertreten.

Der 26-Jährige, als Sohn eines ägyptischen Vaters und einer sardischen Mutter in Mailand geboren und aufgewachsen, besingt darin einen Vater, der sich die Familie im Stich lassend davon macht und dann noch den Sohn um das titelgebende Geld anbettelt. In der Endrunde hatte Mahmood beim Televoting nur den dritten von drei Plätzen belegt, aber im Laufe der Woche die meisten Gesamtpunkte bei Jury, Presse und Zuschauern geholt.

Direktlink | Mahmood am Samstag kurz nach Bekanntgabe seines Sieges. Bei 1:10 beginnt sein Song, das Orchester ist beim ESC nicht vorgesehen
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Bereits Minuten nach dem Sieg schrieb Italiens rechter Innenminister Matteo Salvini: "Das schönste italienische Lied ist jenes Mahmoods?" Er selbst hätte das des Sängers Ultimo gewählt. Der Rechtspopulist wählte so auch mit Gespür für Volkmeinungen den – selbst über den verlorenen Gesamtsieg grummelnden – Sieger des Televotings. Darauf angesprochen, meinte Mahmood in der Pressekonferenz: "Ich fühle mich 100-prozentig als Italiener. Meine Mutter kommt aus Sardinien und mein Vater ist Ägypter. Ich bin in Mailand zur Welt gekommen und bin Italiener."

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In den sozialen Netzwerken ging die Debatte danach freilich erst so richtig los. Während mancher Hass und Rassismus über Mahmood erging oder andere das Ergebnis rein aus musikalischer Sicht oder der des Voting-Prozederes debattierten, meinten wieder andere, der Sieg eines "schwulen muslimischen Migrantensohns" sei ein zeitgemäßer Ausdruck für die Vielfalt der italienischen Gesellschaft und ein wichtiges Zeichen gegen die Regierung. Salvini hatte schon in den Tagen zuvor gegen den Wettbewerb geätzt, nachdem Festival-Direktor und Moderator Claudio Baglioni die Flüchtlingspolitik der Regierung kritisiert hatte.

Ist es ein Coming-out, Coming-outs für gestrig zu halten?

Mit der erhitzten Debatte in sozialen Netzwerken stellte sich für italienische Medien am Sonntag teils Startseitenfüllend eine weitere Frage: Wieso halten viele den Sänger für schwul? Und was machen wir jetzt daraus? Mangels einer aktuellen Stellungnahme Mahmoods thematisierten sie zwei frühere Interviews (parallel übrigens zu seinen Aussagen, er sei nicht religiös).

So war die Debatte über eine mögliche Homosexualität des Sängers offenbar durch die Verbreitung eines Interviews entstanden, das er bereits 2016 (!) den Kollegen von gay.it gab – unter dem Titel "Meine Liebe, meine Musik und Schwule in Ägypten". Zum Thema Coming-out sagte er da: "Ich schätze die Künstler sehr, die den Mut hatten, sich in der Öffentlichkeit zu erklären, aber ich verurteile niemanden, der die Kraft dazu noch nicht hatte. Ich denke, jeder sollte sich erklären, wenn er es für richtig hält. Wenn er denkt, dass es der richtige Zeitpunkt ist."

Für Schwule in Ägypten gebe es noch viele Probleme, wurde er weiter gefragt, wie sehe er diese Unterschiede? "Eigentlich erlebe ich jede Disparität auf negative Weise und in diesem Fall noch mehr. Ich bin sehr an diesen Ländern interessiert, auch wenn ich nicht oft dort war. Ich fühle mich so hilflos. Ich kann nur hoffen, dass sich die Situation verbessert, sowohl in Ägypten als auch in all den Ländern".


Führte dieses Interview auf die richtige, auf die falsche oder auf gar keine Fährte? Italien debattiert

War dieses Interview ein Coming-out? Anfang Februar wurde er in einem weiteren Interview mit "Vanity Fair" dazu befragt und meinte: "Nein. Ich habe lediglich einer Seite ein Interview gegeben, die sich an Homosexuelle richtet. Das ist alles." Auf eine möglicherweise zweideutige Songzeile mit dem Wort "grinder" angesprochen, meinte er, damit sei nur ein so ebenfalls benanntes Werkzeug, nicht aber die populäre Dating-App für Schwule gemeint gewesen. "Aber zurück zur Frage: Schwul, hetero…. Ich denke, es sollte keine solchen Unterschiede mehr geben".

Auf die Frage, ob das Coming-out von Prominenten nicht anderen helfe, meinte er: "Das ist wahr, aber ich denke auch, dass es irgendwie falsch ist, über diese Dinge zu reden. Zu erklären, 'Ich bin schwul', führt nirgendwo hin, außer über sich selbst zu reden." Dass man ins Fernsehen in eine Talkshow gehe, um über die eigene Homosexualität zu reden, erscheine ihm peinlich und wie ein Rückschritt um 50 Jahre. Auf die Frage, ob es nicht dennoch nützlich sei, meinte er: "Aber wenn wir mit diesen Unterschieden fortfahren, wird Homosexualität nie als eine normale Sache wahrgenommen werden, so wie sie es ist."

Queeres Stelldichein in Tel Aviv

Die Debatte, ob der Sänger nun schwul ist oder nicht, könnte so das geschwätzige Italien noch für einige Tage beschäftigen. Von italienischen Aktivisten erhält man dazu auf Anfage keine näheren Aussagen, zumindest on the record. Wie auch immer das weiter geht, scheint Mahmood für Akzeptanz einstehen zu wollen – mit halb-ägyptischer Abstammung und einem Liedtext mit arabischen Einsprengseln bei einem Grand Prix in Tel Aviv.

Für mehrere wichtige Signale in die Region, in die europäische Heimat und auch die islamische Welt sorgt bereits der französische Vertreter: Vor zwei Wochen hatte der 19-jährige Bilal Hassani den Vorentscheid gewonnen – der offen schwule Sänger mit marokkanischen Wurzeln geht mit einer Akzeptanzhymne an den Start (queer.de berichtete). Marokko selbst hatte 1980 einmal am Wettbewerb teilgenommen; obwohl teilweise eine EBU-Mitgliedschaft besteht, hatten arabische Länder den Wettbewerb wegen der Teilnahme Israels ansonsten ignoriert.

Direktlink | Der ESC-Beitrag Frankreichs
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Der diesjährige Contest könnte wieder ein sehr queerer Jahrgang werden. Die Vorentscheidsaision ist noch lange nicht vorbei, aber bereits ohne die jeweiligen Lieder ist bekannt, dass die Niederländer den bisexuellen Sänger Duncan Laurence zum Grand Prix schicken und Russland den früheren Eurovision-Dritten Sergei Lasarew, der sich zumindest als "gayfriendly" beschreibt und in der Heimat zunehmend homophob angegangen wird (queer.de berichtete). Beim ersten Vorentscheid Australiens musste sich am Samstag allerdings Drag Queen Courtney Act mit ihrer Hymne Fight for love mit einem Abschneiden im Mittelfeld begnügen (die sehr schwul und unterhaltsam geratene Show gibt es als Facebook-Mitschnitt).

Der deutsche Beitrag wird am 22. Februar aus sieben Kandidatinnen und Kandidaten bestimmt. Der Vorentscheid Unser Lied für Israel wird live im Ersten übertragen.

Direktlink | Die Eurovision-Huschen von wiwibloggs geben Mahmood gute Chancen in Tel Aviv
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 Update  12.2.: Mahmood bestätigt ESC-Teilnahme

Nachdem es zwischenzeitlich wieder im Unklaren war, haben der Sender RAI und Mahmood am Dienstag endgültig bestätigt, dass er das Land beim Eurovision Song Contest vertreten wird. "Ich kann es kaum erwarten", schrieb der 26-Jährige bei Instagram. Als Vertreter eines der Big-5-Länder ist er direkt für das Finale qualifiziert – und erlebt derzeit mit "Soldi" einen großen Erfolg in Streaming-Charts und bei Wettbüros. Derweil tauchte ein Mitschnitt von seinem Auftritt 2013 beim CSD in Bologna auf – er hatte kurz zuvor an "The X Factor" teilgenommen und wurde entsprechend beworben.

#1 PatroklosEhemaliges Profil
  • 11.02.2019, 00:23h
  • In Italien echauffieren sich sogar schon die Herren der rechtspopulistischen Parteien Lega Nord und der Fünf-Sterne-Bewegung, die ja leider in Italien die Regierung stellen über den diesjährigen Sieger des San-Remo-Festivals, was auch zu erwarten war.
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#2 hugoAnonym
  • 11.02.2019, 11:25h
  • Die Aussage zum Comong Out entspricht auch meinen Einstellung!
    Sexuelle Orientierung ist Privatsache und wem ich diese mitteile und in welcher Form unterliergt meiner Entscheidung!
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#3 AmurPrideProfil
  • 11.02.2019, 13:38hKöln
  • Antwort auf #2 von hugo
  • ""..Sexuelle Orientierung ist Privatsache und wem ich diese mitteile und in welcher Form unterliergt meiner Entscheidung!..""

    Absolute Zustimmung meinerseits!

    Allerdings habe ich dabei für mich persönlich gelernt, das es für mich dabei doch noch das eine oder andere mehr zu bedenken gibt:

    # JEDESMAL, wenn ich merkte, mein Gegenüber unterstellt mir ungefragt Heterosexualität (was ja fast jeder Hetero fast immer macht, wenn er jemanden Neues kennen lernt) und ich diese seine Annahme dann nicht richtigstelle, habe ich das Gefühl mich selbst zu verleugnen. .. Seelische Selbstverletzung zu betrieben...

    # WENN ich mit meinem äußerem coming out beginne, sollte ich mir auch darüber im Klaren sein, das ich damit auch schrittweise die Kontrolle darüber verliere, wer es weiß und wer nicht!
    Ich bin dann auf die Verschwiegenheit der eingeweihten Personen angewiesen, muss darauf hoffen und kann mich hoffentlich auch darauf verlassen, eine Garantie dafür habe ich aber nicht!
    Meine sexuelle Orientierung wird, je nach Umfang meines coming outs und der Verschwiegenheit der Eingeweihten, mehr oder weniger öffentlich!

    # JEDES coming out besitzt natürlich auch eine politische Komponente. Zumindest wenn man Politik als die Kunst/Wissenschaft das Zusammenleben von Menschen zu gestalten versteht. Denn ein coming out wird die Beziehung der beteiligten Personen auf jeden Fall auf eine neue Beziehungsebene stellen.

    Aus diesen und noch einigen weiteren Gründen habe ich für mich persönlich entschieden, dass ich mich, immer vorausgesetzt es besteht keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben, immer bei der erstbesten Gelegenheit oute.
    Warum Zeit und Aufwand in einen neuen Kontakt investieren, der sich später womöglich als homophob erweist?
    Und wenn ich mir unsere wahre Akzeptanz in der Gesellschaft wünsche (Händchen halten, Küssen usw.), wie kann ich mich dann für Unsichtbarkeit entscheiden?
    Wahre Akzeptanz kann nämlich erst dann entstehen, wenn die Menschen konkret in ihrer eigenen Realität mit Homosexualität in Berührung kommen!
    Alles andere vorher sind nur blutleere Lippenbekenntnisse ("Homosexualität ist doch heute gar kein Problem mehr!" - "Ich kenne jede Menge Schwule!" usw.).
    Wer dies nicht glauben will, schnappe sich seinen Typen und laufe mal Händchen haltend durch die Straßen seiner Stadt! Beobachtet dabei mal die Reaktionen Eures Umfelds! Selbst hier in der sog. Schwulenhochburg Köln! Man wird, mehr oder weniger, offen angestarrt wie ein alien!^^

    Es ist eben wie Gandhi einst sagte: "Wenn Du ein besseres Leben haben willst, beginne bei Dir selbst!"
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