Ein Gericht der südtunesischen Stadt Sfax hat am Montag einen jungen Mann wegen angeblicher homosexueller Handlungen zu einer Haftstrafe von acht Monaten verurteilt und den sofortigen Vollzug angeordnet. Von diesem erstinstanzlichen Urteil berichteten sein Anwalt und die LGBTI-Organisation Shams.
Der Fall hatte für internationales Aufsehen gesorgt: Wie unter anderem Human Rights Watch vor dem Urteil berichtete, hatte sich der 22-jährige A. F. im Januar an eine Polizeiwache gewandt, nachdem er von mehreren Männern ausgeraubt und vergewaltigt worden sei. Die Beamten steckten ihn allerdings in Untersuchungshaft, schickten ihn für eine Anal-Untersuchung in ein Krankenhaus und ließen ihn anklagen. Nach einer Verhandlung am Montag der Vorwoche folgte nun nach mehreren Wochen Untersuchungshaft das Urteil.
Einige tunesische Medien berichteten, der Mann habe sich online mit den Tätern verabredet. Sein Anwalt sagte zu Human Rights Watch, die Polizei habe trotz Untersuchung des Smartphones des Angeklagten vor Gericht keine Beweise für dessen Homosexualität vorgelegt, der Anal-Test habe ein negatives Ergebnis geliefert und die Polizei habe sich nicht sonderlich dafür interessiert, die der Vergewaltigung Beschuldigten zu verfolgen.
Eine Petition von allout.org hatte in den letzten Tagen die tunesische Regierung aufgefordert, eine Freilassung von A. F. zu erwirken. In der Untersuchungshaft sei er konstanten Beleidigungen und Angriffen durch andere Häftlinge ausgesetzt gewesen.
AFP berichtet von mehreren Verurteilungen
Am späteren Montagabend berichtete die Nachrichtenagentur AFP auf Französisch und Deutsch, der Mann, der die Vergewaltigung angezeigt habe und in der Agenturversion 26 Jahre alt ist, sei wegen Homosexualität zu sechs Monaten und wegen falscher Angaben zu zwei Monaten Haft verurteilt worden.
Das Gericht habe als erwiesen angesehen, "dass keine Vergewaltigung vorlag, sondern ein Streit im Anschluss an die sexuelle Begegnung", so die AFP unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft. "Die beiden anderen Männer verurteilte das Gericht zu jeweils sechs Monaten wegen Homosexualität, 15 Tagen wegen Gewaltanwendung und anderthalb Monaten wegen Diebstahls."
Die Nachrichtenagentur spricht ansonsten ebenfalls davon, dass die Behörden einen Analtest an dem Mann angeordnet hatten, der die Vergewaltigung angezeigt hatte. In den letzten Jahren sei die Zahl von Verurteilungen aufgrund von Homosexualität in Tunesien gestiegen, so die AFP: von 56 im Jahr 2016 auf 79 ein Jahr später und 127 im Jahr 2018.
Verfolgung seit Jahren
Die Organisation Human Rights Watch hatte vor Bekanntgabe des Urteils die Forderung an Tunesien erneuert, keine Anal-Untersuchungen mehr durchzuführen, die oft mit Folter zu vergleichen seien, gegen internationales Recht verstießen und gerade bei Opfern von Vergewaltigungen traumatisch sein könnten. Auch erneuerte die Organisation die Forderung, die Verfolgung Homosexueller zu beenden.
Im letzten November hatte die Organisation einen Bericht über die Lage Homosexueller in dem Land veröffentlicht und dabei belegt, wie die von der Regierung offiziell abgeschafften Anal-Tests weiterhin angewendet werden (queer.de berichtete). Außerdem durchsuchten Beamte gezielt die Smartphones von Personen, die sie der Homosexualität verdächtigen.
Artikel 230 des Strafgesetzbuches, nach dem auch A. F. verurteilt wurde, belegt einvernehmliche homosexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern als "Sodomie" mit bis zu drei Jahren Haft. In mehreren Fallbeispielen von Human Rights Watch waren die Männer nach diesem oder einem Paragrafen gegen öffentliche Moral zu teils mehreren Monaten Haft verurteilt worden, darunter Männer, die eine Vergewaltigung gemeldet hatten. Einige von ihnen seien nach Europa geflohen und hätten dort Asylanträge gestellt.
Trotz Kritik von Menschenrechtsorganisationen und dem LSVD hat der Bundestag vor wenigen Wochen mit den Stimmen der Regierungsparteien sowie AfD und FDP einen erneuten Anlauf verabschiedet, Algerien, Marokko und Tunesien im Asylrecht als "sichere Herkunftsstaaten" einzustufen (queer.de berichtete). Asylbewerbern aus diesen Ländern droht damit ein verkürztes Verfahren unter Beweislastumkehr und eine schnelle Abschiebung. Für "vulnerable Gruppen" wie Homosexuelle ist im Gesetzentwurf eine Rechtsberatung vorgesehen. Am Freitag steht das Vorhaben im Bundesrat zur Debatte. (cw)
um 21.40 Uhr ergänzt um AFP-Meldung