Der Bundesrat hat die für Freitag angesetzte Entscheidung, die nordafrikanischen Länder Algerien, Marokko und Tunesien sowie Georgien als sichere Herkunftsländer einzustufen, am Vormittag vertagt. Das teilte der Vizepräsident des Bundesrates, der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), zu Beginn der Sitzung mit. Kurz zuvor hatte der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) einen derartigen Schritt gegenüber der Deutschen Presse-Agentur angekündigt. "Wir möchten das Angebot unterbreiten, über Asylverfahrensfragen und Statusrechte, die mit diesen Fragen verbunden sind, noch einmal gründlich in Gespräche einzutreten", sagte Ramelow.
Letzten Monat hatte der Bundestag mit Zustimmung der Großen Koalition, der FDP und der AfD die Neueinstufung beschlossen (queer.de berichtete). Teile der Grünen und der Linken, die im Bundesrat eine Blockademehrheit haben, kündigten jedoch Widerstand gegen das zustimmungspflichtige Gesetz an.
Die beiden Oppositionsparteien verwiesen auf unsichere Menschenrechtsstandards und die Verfolgung von Journalisten oder religiösen Minderheiten. Außerdem wurde die Verfolgung Schwuler und Lesben in allen drei Maghreb-Staaten kritisiert – dort stehen auf Homosexualität Haftstrafen von bis zu drei Jahren. Urteile gegen sexuelle Minderheiten in diesen Ländern werden immer wieder vollstreckt. Zudem gibt es Berichte über gezielte Folter schwuler Männer durch die Polizei (queer.de berichtete). Befürworter der Reform in der Union hatten dagegen zuletzt argumentiert, dass Asylbewerber aus Georgien und den Maghreb-Staaten häufiger straffällig werden als Schutzsuchende anderer Nationalitäten.
Der Bundesrat am Freitag
Als sichere Herkunftsländer werden Staaten eingestuft, bei denen vermutet wird, dass es in der Regel weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung gibt. Das soll schnellere Asylentscheidungen und Abschiebungen ermöglichen.
Lockmittel "Rechtsberatung"
Ein erster Anlauf der großen Koalition im Bund zu den drei Maghreb-Staaten war 2017 im Bundesrat am Widerstand der Grünen und der Linken gescheitert (queer.de berichtete). Um Landesregierungen für ein "Ja" zu gewinnen, enthält der Entwurf jetzt eine spezielle Rechtsberatung für Folteropfer, Homosexuelle und andere besonders schutzbedürftige Asylbewerber, die "aus Scham oder anderen Gründen" Hemmungen haben könnten, ihre Fluchtgründe detailliert vorzutragen. Das grün-schwarze Baden-Württemberg kann sich daher eine Zustimmung vorstellen (queer.de berichtete). Es müsste aber mindestens ein weiteres Bundesland zustimmen, in dem Grüne oder die Linkspartei mitregieren. So ist etwa offen, wie die rot-rote Regierung aus Brandenburg votieren wird.
Außer Baden-Württemberg blieben alle Länder mit grüner Regierungsbeteiligung hart, auch das schwarz-grüne Hessen
Wie windelweich die vorgesehene, vom Bundesamt für Migration selbst durchgeführte Rechtsberatung ist, zeigt sich in den Erläuterungen des Bundesrats zu dem Gesetzentwurf (PDF). Darin heißt es: "Ein Anspruch auf die Gewährung des Zugangs zu der Rechtsberatung soll jedoch nicht bestehen. Im Einzelfall soll auch von ihr abgesehen werden können. Insbesondere sollen die fehlende Gewährung oder Inanspruchnahme der Rechtsberatung die Rechtmäßigkeit der Entscheidung über Asylanträge nicht in Frage stellen."
Union machte Druck auf die Grünen
Vor der nun vertagten Entscheidung des Bundesrates hatten Unionspolitiker Druck auf die Grünen gemacht. "Die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat ist eine notwendige Maßnahme, um Verfolgten Schutz zu gewähren, aber Missbrauch zu verhindern", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Er kritisierte zugleich: "Die ideologische Blockade der Grünen verhindert geordnete Verfahren und verhindert die klare Unterscheidung zwischen Schutzbedürftigen und denen, die kein Bleiberecht haben."
Grünen-Chefin Annalena Baerbock lehnte die Einstufung der vier Länder als sichere Herkunftsstaaten ab. "Das Instrument der sogenannten sicheren Herkunftsländer ist ein nicht unproblematischer Eingriff in das individuelle Asylrecht", sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Auch habe das Bundesverfassungsgericht klare Kriterien für die Einstufung festgelegt. Ein solches Land müsse verfolgungsfrei sein, und zwar in allen Regionen und für alle Bevölkerungsgruppen. "Das ist in den Maghreb-Ländern für Homosexuelle, Frauen, Journalisten oder Gewerkschafter nicht der Fall", sagte die Grünen-Chefin.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) nannte die Haltung der Grünen nicht nachvollziehbar. Die Einstufung von Balkanstaaten als sichere Herkunftsstaaten sei eine "Erfolgsgeschichte" gewesen. "Die muss sich mit Nordafrika wiederholen. Mir wäre völlig schleierhaft, wie die Grünen es vor der Bevölkerung vertreten wollen, wenn das nicht kommt", sagte Kretschmer der "Rheinischen Post". Freilich unterschlägt Kretschmer, dass die Balkanstaaten Homosexuelle nicht per Gesetz systematisch verfolgen lassen, die Maghreb-Staaten aber sehr wohl. (dpa/dk)
Solange nicht sichergestellt ist, dass die Regelung zu "sicheren Herkunftsstaaten" nicht für LGBTI gilt (denen dort nachweislich Verfolgung, Inhaftierung, Gewalt, Folter, Mord droht), kann dem nicht zugestimmt werden.
Und "sichergestellt" bedeutet nicht ein paar warme Worte von Union und SPD oder eine wachsweiche Rechtsberatung. Sondern glasklar formulierte Gesetze, die die Betroffenen vor Abschiebung schützen.