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Offener Brief
Kardinäle warnen vor "Pest der homosexuellen Agenda"
Vor dem Missbrauchs-Gipfel im Vatikan geben unter anderem Walter Brandmüller und Raymond Leo Burke erneut "homosexuellen Netzwerken" in der Kirche die Schuld an den Taten.

Walter Brandmüller (l.) und Raymond Leo Burke haben einen gemeinsamen Offenen Brief verfasst, der außerhalb von Kirchenkreisen als Volksverhetzung eingestuft würde
- 20. Februar 2019, 20:12h 3 Min.
Einen Tag vor Beginn des Vatikan-Gipfels zum Thema Kindesmissbrauch haben mehrere konservative Kardinäle und Bischöfe Front gegen Papst Franziskus und angebliche "homosexuelle Netzwerke" in der Kirche gemacht. In einem offenen Brief an die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen warfen die Kardinäle Walter Brandmüller und Raymond Leo Burke dem Papst vor, die wahre Ursache des Missbrauchs zu verkennen – nämlich Homosexualität in den Reihen der Kirche.
Die Kardinäle bestritten, dass sexueller Missbrauch innerhalb der Kirche vor allem durch Machtmissbrauch und hierarchische Strukturen ermöglicht werde. "Die erste und größte Schuld des Klerus liegt nicht im Machtmissbrauch, sondern in der Abkehr von der Wahrheit des Evangeliums", heißt es in dem offenen Brief. "Die Pest der homosexuellen Agenda hat sich innerhalb der Kirche ausgebreitet, gefördert durch organisierte Netzwerke und geschützt durch ein Klima der Komplizenschaft und eine Verschwörung des Schweigens."
Die "Wurzeln des Phänomens" Kindesmissbrauch lägen in einem Umfeld "des Materialismus, des Relativismus und des Hedonismus", in dem Moral und Gottes- und Natur-Gesetze in Frage gestellt würden, so die Bischöfe. Der deutsche Kardinal Brandmüller und sein US-Kollege Burke hatten sich bereits in den letzten Monaten mehrfach ähnlich geäußert.
Reaktionärer Bischof sieht im Vatikan "Wirklichkeitsverweigerung"
Der Offene Brief der beiden Kardinäle ist an die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen weltweit gerichtet, die ab Donnerstag auf Einladung des Papstes zu einem Sondergipfel zum Thema Missbrauch im Vatikan zusammenkommen. "Wir wenden uns an Euch in tiefer Sorge", schrieben die beiden Kardinäle. "Die katholische Welt hat die Orientierung verloren."

Hedwig Beverfoerde, Organisatorin der homo- und transfeindlichen "Demo für alle", postete am Mittwoch bei Facebook einen Kommentar Brandmüllers aus dem letzten November zum "Krebsübel der Homosexualität" – ein von ihm und ihr ohne Distanzierung verbreitetes Fremdzitat
Am letzten Wochenende hatte bereits der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller betont, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Missbrauchsskandal und Homosexualität gebe, und beklagt, dass dieser Aspekt so bei dem Vatikan-Gipfel keine Rolle spielen solle (queer.de berichtete). Müller geriet zusätzlich in Kritik, weil er in dem "Spiegel"-Interview meinte: "Übrigens bin ich der Meinung, dass kein Mensch gottgewollt als Homosexueller geboren wird, wir werden geboren als Mann oder Frau."
Der Schweizer Weihbischof Marian Eleganti bezeichnete es in einem Kommentar auf kath.net am Mittwoch als "Wirklichkeitsverweigerung", in der Missbrauchs-Debatte "den Link zur Homosexualität konsequent" zu "verleugen": "Die Verschleierung dieser Tatsache ist offensichtlich interessengeleitet und systemisch." Eleganti hatte ähnliches bereits im letzten Herbst in mehreren Interviews behauptet (queer.de berichtete).
Opfer und Reformer fordern konkrete Schritte
Mit dieser Sicht des Themas stehen die reaktionären Kardinäle und Bischöfe im Gegensatz zu den Erkenntnissen der Wissenschaft, denen zufolge es keinen Zusammenhang zwischen Homosexualität und einer besonderen Neigung zu Kindesmissbrauch gibt. Auch mehrere Untersuchungen der Kirche kamen zu differenzierteren Ergebnissen und machten unter anderem eine unreife Sexualität der Priester und eine Unterdrückung des Themas in der Kirche als Mitursachen aus.
Vier Tage lang sollen Bischöfe, Experten und Opfervertreter ab Donnerstag im Vatikan über die Konsequenzen der Missbrauchsskandale beraten. Papst Franziskus verspricht sich von dem Treffen eine Schärfung des Bewusstseins von Bischöfen für das Thema Missbrauch und die Verständigung auf ein Regelwerk für den Umgang damit. Das Gremium kann keine bindenden Beschlüsse fassen, es ist bisher auch keine Abschlusserklärung geplant. Der Papst wird aber am Ende der Konferenz eine Rede halten und das Treffen abrunden.
Opfer und Kirchenreformer fordern konkrete Taten des Vatikans. Dazu gehört eine Änderung des Kirchenrechts: Priester, Bischöfe und Kardinäle sollen zum Beispiel umgehend aus dem Klerikerstand entlassen werden, wenn sie sich des Missbrauchs oder der Vertuschung schuldig machen. Die Reformbewegung "Wir sind Kirche" fordert klare Anweisungen, wie mit Verdachtsfällen umzugehen ist. Zudem müsse die Kirche weltweit sexuellen Missbrauch als Verbrechen anerkennen und einräumen, dass eine "verbotsorientierte Sexualmoral" Missbrauch begünstige. (nb/dpa/afp)














