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- 22. August 2005 5 Min.
Der sächsische Beauftragte für den Datenschutz hält die Speicherung der sexuellen Orientierung für gerechtfertigt.
Von Norbert Blech
Der sächsische Datenschutzbeauftragte Andreas Schurig hat die Speicherung des Merkmals "homosexuell" bei Tätern und Opfern in der polizeilichen Datenbank des Landes verteidigt. Es sei nichts dagegen einzuwenden, wenn das im Rahmen einer Strafverfolgung geschehe, sagte der Sprecher der Datenschutzbehörde, Andreas Schneider, am Freitag in Dresden. Wenn ein Verbrechen zum Beispiel im "homosexuellen Milieu" wie im Fall des ermordeten Mode-Unternehmers Rudolph Moshammer geschehe, müsse es erlaubt sein, im Rahmen von Ermittlungen Daten von homosexuellen Straftätern oder Opfern zu speichern, so der Sprecher laut einer Meldung der Nachrichtenagentur Associated Press.
Der Sprecher wies gleichzeitig Medienberichte zurück, die von "Rosa Listen" gesprochen hatten. Davon könne keine Rede sein, betonte der Sprecher. Nicht erlaubt sei schließlich das Speichern solcher Daten mit einer geschlechtsspezifischen Neigung ohne konkreten Anlass.
Umfassende Erlaubnis
Eine Erforderlichkeit der Speicherung könne angenommen werden, wenn ein untrennbarer Zusammenhang zwischen einer konkreten Straftat und der sexuellen Orientierung des Täters oder des Opfers besteht, schreibt der Datenschutzbeauftragte in einer Presseerklärung. Dies könne "z.B. der Fall sein, wenn die sexuelle Ausrichtung des Opfers für den Täter Motiv ist (z. B. bei Straftaten aus einem antihomosexuellen Beweggrund heraus), wenn der Täter wegen seiner homosexuellen Ausrichtung konkrete Straftaten begeht (z. B. bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder bei schwereren Straftaten bis hin zu Tötungsdelikten) oder wenn Zeugenaussagen über eine eventuelle Homosexualität vorliegen und diese Angaben wegen der Art der Straftat einen Ermittlungsansatz darstellen", so Schurig. "Insoweit können auch Beschreibungen von Tatorten und anderen Örtlichkeiten als "Bordellbetrieb", "Jugendtreffpunkt" oder "Homosexuellen-Treffpunkt" als Orts- oder Milieuangaben für polizeiliche Ermittlungen geeignet und erforderlich sein. Entscheidend ist auch dabei immer der Einzelfall."
Schurig verweist auf seinen dritten, offiziellen Tätigkeitsbericht vom 31. März 1995 (!), in dem er sich bereits zur Erfassung der Homosexualität von Tätern und Opfern im Polizei-Programm "Pass" äussert. Dort schreibt er noch: "Ich habe das SMI (Innenministerium Sachsens, Anm. d. Red.) in diesem Zusammenhang aufgefordert, die Möglichkeit einer Recherche nach Homosexuellen in PASS technisch auszuschließen, da sie zur Aufgabenerfüllung der Polizei nicht erforderlich ist. (…) Die Kenntnis des bloßen Datums "homosexuell" ist für die Polizeiarbeit nicht erforderlich. Weder sind Homosexuelle potentielle Straftäter, noch sind sie generell gefährdet, das Opfer einer Straftat zu werden." Bei Taten mit "homosexuellem Hintergrund" hält er eine "Speicherung dieses Merkmals zu der vorbeugenden Straftatenbekämpfung im Einzelfall (für) zulässig", die Daten seien aber nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens zu löschen.
Rund 30 Fälle pro Jahr
Das Innenministerium Sachsens hatte auf Anfrage von queer.de Mitte August bekannt gegeben, die sexuelle Orientierung von Tätern und Opfern in Einzelfällen zu speichern. Bei einer Recherche mit dem Suchbegriff "Homosexueller" im Feld "angegriffene Person" wurden in Sachsen für 2003 32 Treffer und für 2004 33 Treffer gefunden, so ein Sprecher des Ministeriums. Zur Rechtfertigung der Datenerhebung sagt Hofner: "Soweit eine Erfassung dieser Daten zur polizeilichen Aufgabenerfüllung erforderlich ist, z. B. bei der Verfolgung von Straftaten, bei denen Tatumstände oder -örtlichkeiten einen Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung darstellt (z. B. Beischlafdiebstahl mit Opfergruppe Homosexueller), ist deren Verarbeitung auf der Grundlage des § 43 SächsPolG (Polizeigesetz des Freistaates Sachsen) zulässig." Eine Abschaffung dieser Praxis sei "aufgrund der zugewiesenen Aufgaben und zur Erfüllung dieser" nicht vorgesehen.
Andreas Schurig sollte seinen Job aufgeben – von Datenschutz hat er ganz offensichtlich keine Ahnung. Weder bei Tätern noch bei Opfern ist das Merkmal homosexuell zu speichern.
Zweifellos gibt es homosexuelle Täter, man könnte beispielsweise den Fall Murat bemühen. Das sind individuelle Einzelfälle, wie es sie auch bei heterosexuellen Tätern gibt. Der Skandal an der Rechtfertigung Schurigs ist, dass aus diesen Einzelfällen Taten werden, die speziell der Gruppe der Homosexuellen zugeordnet werden (wie die erwähnten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung) – eine Täterrubrik "Heterosexueller" gibt es nämlich nicht. Der polizeiliche Irrglaube, unter Schwulen gebe es quasi per Definition Gewalt, gar ein "homosexuelles Milieu", findet hier seine virtuelle Entsprechung.
Skandalös ist die Rechtfertigung aus Opfersicht. Freilich gibt es zahlreiche Fälle von anti-schwuler Gewalt, nur: bei Gewalt gegen andere Minderheiten gibt es keine entsprechende Speicherung. Weder gibt es das Opfermerkmal "Jude" noch "Behinderter" – und so sollte es auch sein.
Die Speicherung des Merkmals homosexuell bei Opfern ist auch problematisch, weil es die Opfer davon abhalten könnte, mit Vertrauen zur Polizei zu gehen. Viele Dienststellen haben sich in den letzten Jahren engagiert, um einen besseren Kontakt zur Szene zu bekommen – was durch das Bekanntwerden der "Rosa Listen" einen derben Rückschlag erlitten haben dürfte.
Wie wenig der Datenschutzbeauftragte seinen Job ausübt, zeigt sich darin, dass er bereits Zeugenaussagen über die vermeintliche Homosexualität von Personen für erwähnenswert und speicherbar hält – womit er auch noch der Denunziation die Tür öffnet. Willkürlich ist die Datenerfassung ohnehin, ist das Benutzen der entsprechenden Katalogsoptionen ja freiwillig.
Insgesamt ist die Speicherung der sexuellen Orientierung in den Personendateien der Polizei also chaotisch – und daher völlig unnütz und abschaffbar. Es mag Fälle geben, in denen es für die Polizei wichtig ist, von der homosexuellen Orientierung von Opfern oder Tätern zu erfahren. Es gibt aber auch Möglichkeiten, sowas nicht-diskriminierend und halbwegs anonym festzuhalten – beispielsweise in einer Falldatei, in der statt des Opfers der ermittelnde Polizeibeamte als Kontaktperson festgehalten wird. Es ist die Aufgabe Schurigs, solche Alternativen aufzuweisen.
Es sieht so aus, als würden alle anderen Bundesländer mit "Rosa Listen" diese abschaffen, entsprechende Katalogoptionen sperren. Nur Sachsen sträubt sich, mit Unterstützung des Datenschutzbeauftragten. Er will die elektronische Beibehaltung des "homosexuellen Milieus". Das zeigt, wie es um den Datenschutz in Deutschland steht.
Links zum Thema:
» Seite des Datenschutzbeauftragten













