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Internierter Theatermacher
Serebrennikow feiert in Hamburg trotz Arrests Triumph mit "Nabucco"
Der offen schwule russische Theatermacher darf seine Moskauer Wohnung nicht verlassen. Trotzdem gelingt es ihm, Verdis Oper in Hamburg als kompromisslosen politischen Appell auf die Bühne zu bringen.

Trotz seiner Internierung in Russland inszeniert Kirill Serebrennikow ein Theaterstück in Hamburg (Bild: Facebook / privat)
- Von Julia Tann, dpa
11. März 2019, 15:03h 3 Min.
Ausgerechnet die Hauptperson fehlte am Sonntagabend auf der Bühne der Staatsoper Hamburg, um den Jubel für die Premiere von Giuseppe Verdis "Nabucco" entgegenzunehmen. Der russische Theatermacher Kirill Serebrennikow hat bei der Neuinszenierung Regie geführt sowie Bühnenbild und Kostüme entworfen, aber er war in Moskau. Während der gesamten Produktionszeit konnte er nicht ein einziges Mal nach Hamburg kommen, denn er steht unter Hausarrest.
Die Ermittlungsbehörden werfen Serebrennikow vor, über seine Produktionsfirma "Siebtes Studio" Fördergelder in Millionenhöhe veruntreut zu haben (queer.de berichtete). So habe er Mittel für eine Inszenierung von Shakespeares "Sommernachtstraum" vereinnahmt, die Produktion aber nie umgesetzt. Dabei ist sie in Wirklichkeit mehrfach im In- und Ausland gezeigt worden.
Der Künstler, der das renommierte Gogol-Zentrum in Moskau leitet und in Deutschland auch durch seinen Film "Leto" bekannt ist, ist offen schwul. Für ihn ist der Fall klar: Die Politik versuche, ihn einzuschüchtern und mit ihm ein Exempel zu statuieren. Seit dem 7. November 2018 steht er in Moskau vor Gericht. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestreitet er (queer.de berichtete).
Gefangenschaft als Motiv
Seine persönliche Situation macht der Regisseur in der Inszenierung nicht ausdrücklich zum Thema. Dennoch schwingt sie mit. Gefangenschaft ist auch in Verdis "Nabucco" ein Motiv, werden doch in der alttestamentarischen Geschichte die Hebräer von den Babyloniern nach Babylon verschleppt. Serebrennikow interpretiert das Stück dezidiert politisch und scheut dafür auch vor plakativen Mitteln nicht zurück. Er verlegt die Handlung in den UN-Sicherheitsrat. Die Verschleppten sind bei ihm die Millionen Menschen, die auf der Flucht vor Krieg und Unterdrückung ihre Heimat verloren haben. Stellvertretend für sie holt er in Hamburg lebende Geflüchtete auf die Bühne, ein "Projektchor Nabucco" singt seine eigene Version des berühmten Gefangenenchors "Va, pensiero".
Außerdem unterbricht Serebrennikow die Oper immer wieder, um Reportagefotos vom Syrienkrieg und vom Exodus der geschundenen Bevölkerung auf den Vorhang zu projizieren, begleitet von Klagegesängen syrischer Musiker. Dass diese Momente bisweilen an die Grenze des Erträglichen gehen, ist offenkundig beabsichtigt. Einzelne Zuhörer reagierten am Premierenabend mit Zwischenrufen und Pfiffen.
Eine Regiearbeit lebt normalerweise vom direkten Kontakt zwischen Regisseur und Darstellern. Serebrennikow darf aber mit kaum jemandem sprechen, das Internet darf er nicht benutzen. Er kommuniziert über Videobotschaften, die aufgezeichnet und weitergeleitet werden. Über diesen Weg lief auch die Zusammenarbeit mit der Staatsoper Hamburg. Co-Regisseur Evgeny Kulagin hat von Hamburg aus beständig zwischen Serebrennikow und dem Ensemble vermittelt.
Von den Mühen und Umwegen der Kommunikation ist der Inszenierung nichts anzumerken. Die zahlreichen Chor- und Ensembleszenen wirken natürlich bewegt. Serebrennikow zeichnet Persönlichkeiten, keine Typen. Selbst mit der machtgierigen, von Oksana Dyka mit metallischem Timbre und hochdramatisch gesungenen Abigail kann der Zuhörer mitfühlen. Dem exzellenten Bariton Dmitri Platanias gelingt ein differenziertes Rollenporträt der Titelfigur. Nur der Bass Alexander Vinogradow singt die Partie des Zaccaria allzu gleichbleibend laut. Eberhard Friedrich hat den Chor der Hamburgischen Staatsoper glänzend einstudiert, und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg musiziert unter der Leitung von Paolo Carignani flexibel und mit italienischem Schwung. Beim Schlussapplaus entrollten Kulagin und das Regieteam auf der Bühne ein Transparent "Free Kirill".
"Nabucco" wird in Hamburg noch an elf Terminen bis Mitte Mai aufgeführt. Tickets sind auf der Homepage der Staatsoper erhältlich

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Da ziehe ich meinen Hut.