Bürgermeister Rahm Emanuel ist sauer auf seine städtische Staatsanwaltschaft und auf Jussie Smollett (Bild: Screenshot CBSN)
Die Staatsanwaltschaft von Chicago hat am Dienstag für die Öffentlichkeit völlig überraschend alle Anklagepunkte gegen den schwarzen und schwulen Schauspieler Jussie Smollett fallengelassen, der sich jetzt als vollständig rehabilitiert ansieht (queer.de berichtete). Dem 36-Jährigen war vorgeworfen worden, einen angeblich rassistisch und homophob motivierten Angriff auf ihn inszeniert zu haben.
Doch in Chicago sind viele empört über die Einstellung des Verfahrens, unter ihnen auch Polizeichef Eddie Johnson und Bürgermeister Rahm Emanuel. In einer Pressekonferenz sprach Johnson von einer heimlich getroffenen Abmachung und einer "Umgehung des Justizsystems". Die Stadt erwarte nach wie vor vom Schauspieler eine Entschuldigung.
Jussie Smollett war einer der Stars der TV-Serie "Empire" (Bild: Fox)
Bürgermeister Emanuel reagierte empört auf das Vorgehen der Staatsanwaltschaft und sprach von Justizversagen. "Herr Smollett sagt immer noch, er sei unschuldig, und macht immer noch die Polizei von Chicago schlecht. Wie kann er es wagen?" Der ehemalige Stabschef von Präsident Barack Obama griff Smollett direkt an: "Kennt dieser Mann keinen Anstand?", fragte er in einer emotionalen Rede.
Emaunel: Opfer von Hassverbrechen werden es künftig schwerer haben
Außerdem warnte der Demokrat, dass der Fall Smollett langfristige Folgen für Opfer von Hassgewalt haben könnte: "Die zukünftigen Aussagen schwuler Männer und lesbischer Frauen, die behaupten, sie wären Opfer eines Hassverbrechens geworden, werden wohl eher angezweifelt werden", so Emanuel. Der Bürgermeister deutete an, dass Smollett wohl wegen seiner Prominenz nicht bestraft werden würde.
Tatsächlich ist jetzt völlig unklar, wie weit sich Smollett schuldig gemacht hat, da die Staatsanwaltschaft keine Details zum Fall veröffentlichen wird. Der Schauspieler hatte behauptet, dass er von jeglichem Fehlverhalten entlastet sei – seine Anwälte erklärten, er sei Opfer und nicht Täter gewesen. Die Stadt Chicago weist aber darauf hin, dass er sich im Gegenzug für die Einstellung des Verfahrens verpflichtet habe, gemeinnützige Arbeit zu leisten und auch 10.000 Dollar (8.900 Euro) Kaution nicht zurückzuverlangen.
Dem Schauspieler hilft bei seiner Argumentation die Tatsache, dass das Verhältnis zwischen der afroamerikanischen Community und der Polizei nicht gut ist. So gab es wiederholt spektakuläre Fälle von Polizeigewalt – jahrelang war etwa die Tötung eines schwarzen 17-Jährigen im Jahr 2015 Thema, der von einem weißen Polizisten mit 16 (!) Schüssen umgebracht worden war. Der Fall führte – nach der Veröffentlichung eines Polizeivideos – zu monatelangen Protestaktionen. Der inzwischen entlassene Polizist erhielt im Januar diesen Jahres sogar eine Haftstrafe, die allerdings mit sechs Jahren für US-Verhältnisse extrem mild ausfiel.
Smollett hatte Ende Januar berichtet, er sei nachts in Chicago auf offener Straße von zwei Maskierten angegriffen und rassistisch und schwulenfeindlich beleidigt worden. Dabei sei auch der Wahlkampfslogan von US-Präsident Donald Trump, "Make America Great Again", gerufen worden. Der Fall sorgte für viel Aufsehen und Sympathiebekundungen für Smollett.
Nach Überzeugung der Polizei war die Attacke aber gestellt: Smollett soll sich selbst einen Drohbrief geschickt und anschließend zwei Bekannte mit dem vorgetäuschten Angriff beauftragt haben. Der Schauspieler soll sich von seiner Opferrolle berufliche Vorteile erhofft haben. (AFP/dk)
Zum einen möchte ich mal an den uralten Rechtsgrundsatz "in dubio pro reo" (Im Zweifel für den_die Angeklagte_n) erinnern. Wenn einem Täter_ einer Täterin eine Tat nicht nachgewiesen werden kann, gilt immer noch die Unschuldsvermutung, der im Gerichtsverfahren i.d.R. ein Freispruch folgt.
Mich beunruhigt sehr, dass dieser eherne Grundsatz in der Community so wenig Anwendung findet. Vielmehr äußern sich viele Kommentator_innen gehässig nach der Devise "Wo Rauch ist, ist auch Feuer". Queere Solidarität sähe für mich völlig anders aus.
Zudem, um auf das o.g. Zitat zurückzukommen, ist es doch bitteschön ohnehin so, dass wir oft genug damit konfrontiert sind, dass Meldungen zu Hassverbrechen gegen queere Personen von der Polizei nicht sonderlich ernst genommen werden. Nicht zuletzt deshalb melden viele Opfer diese Angriffe ohnehin gar nicht erst an die Polizei, weil sie dann befürchten müssen, am Ende noch den Kürzeren zu ziehen, weil sie z.B. als "hysterisch überzogene Schwuchteln" gelten könnten, die sich doch "nicht so anstellen sollen".
Wie könnten ausgerechnet wir ein hundertprozentiges Vertrauen zur Polizei haben? Schon völlig vergessen, was vor 50 Jahren in der Christopher Street geschehen ist?
Wie wäre es, wenn wir das o.g. Zitat so sehen, dass hier schon mal vorbereitet wird, dass man künftig Hassverbrechen gegen queere Menschen wieder stärker bezweifeln wird, weil es dem politischen Zeitgeist entspricht - und praktischerweise kann man das nun auch noch einem schwarzen Schwulen unterjubeln, der "natürlich daran schuld" ist?
Wie gesagt: In dubio pro reo.
Und solange ich nirgends lesen muss, dass Jussie tatsächlich einer Schuld überführt wurde, gilt er für mich als unschuldig.