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Im Mai in der Queerfilmnacht
Er kann ihn nicht vergessen
In 18 Jahren wurde aus einem schüchternen Teenager ein aggressiver Raufbold. In zwei Zeitebenen erzählt "Jonas – Vergiss mich nicht!", wie sehr der Verlust eines geliebten Menschen traumatisiert.

Der 33-jährige Jonas zettelt in Clubs regelmäßig Streit an (Bild: Edition Salzgeber)
1. Mai 2019, 07:06h 3 Min. Von
Schon wieder eine Prügelei, schon wieder im "Boys Paradise". Aber diesmal, beteuert Jonas (Félix Maritaud), ist er wirklich nicht schuld. Er sitzt im Polizeiwagen, eine Mitschülerin von früher erkennt ihn wieder. Er schaut die Polizistin an, denkt nach, überlegt. Ach, ja, da war was. 18 Jahre ist es her. Ob es etwas Neues von, naja, gibt – nein, nein, unterbricht Jonas sie schnell. Schweigen.
Dann ein Sprung zurück in genau diese 9. Klasse. "Du bist der letzte Dreck", muss sich der jugendliche Jonas (Nicolas Bauwens) von seinen Klassenkameraden anhören. Er ist ein Einzelgänger, zu großes T-Shirt, schüchtern, ein zu klischeehafter Opfertyp.
Ein Lichtblick im gerade beginnenden Schuljahr: Nathan ist neu in der Klasse, er ist sitzengeblieben, hat die Schule gewechselt, er ist draufgängerisch, frech, und er lächelt Jonas an. Setzt sich neben ihn. Wird ihm später seinen ersten Kuss geben, in der Turnhalle, auf dem Mattenwagen, während sie Geschichte schwänzen.
Das Trauma verfolgt Jonas bis heute

Poster zum Film: "Jonas" ist im Mai 2019 im Rahmen der Querfilmnacht in mehreren deutschen Städten zu sehen
Wie wurde in 18 Jahren aus diesem unschuldigen, süßen, weichen, fast schon langweiligen Teenager ein gezeichneter, tätowierter Mann, der im Schwulenclub seiner südfranzösischen Heimatstadt randaliert, ein Grindr-Sexdate nach dem anderen hat, von seinem Freund genau deswegen rausgeschmissen wird?
Dieser Frage geht Regisseur und Drehbuchautor Christophe Charrier in seinem ersten Langfilm "Jonas – Vergiss mich nicht!" nach. Dramaturgisch und filmisch sehr gekonnt verwebt er die zwei Zeitebenen miteinander, um zu zeigen, wie sehr ein Trauma Jonas bis heute verfolgt, wie sehr ihn die Umstände verändert haben, wie stark er auch 18 Jahre später noch leidet. Wie er sich dem Schmerz stellt und versucht, Ängste zu überwinden.
So entwirft Christophe Charrier einen ziemlich gelungenen Genremix, der sich zwischen empathischen Coming-of-Age, zu kitschig-klischeehafter, vom Zufall bestimmter Teenie-Liebesgeschichte und spannendem Thriller bewegt. Eingehüllt in ein oft wohliges, orange-gelbes Licht, eingefangen in mit viel Gespür gefundenen Bildausschnitten und Perspektiven. Einzig einige Szenen – wie Jonas, Nathan und dessen schwangere Mutter im Auto rauchen – wirken zu bemüht, hier einen besonderen Moment zu konstruieren.
Ein Film über die Kraft der Vergangenheit
"Jonas" wird insbesondere von den zwei Jonas-Darstellern getragen – auch weil die Nebenfiguren oft flach bleiben: Nicolas Bauwens ist ein überzeugender, unsicherer Teenager, und der schier unfassbar produktive Félix Maritaud (bekannt aus "Sauvage" und "120 BPM") als traumatisierter, sensibler Erwachsener, der in seinem Alter noch nicht angekommen ist. Zwei Figuren, die zur Identifikation einladen.
Die Schauspielkunst der zwei Nachwuchstalente hätte sicher noch mehr Wucht, wenn der Film nicht als Synchronfassung gezeigt würde. Die synchronisierten Dialoge sind, insbesondere am Anfang, hölzern geschrieben, die Stimmen unpassend.
Das ist sehr schade, insgesamt aber verzeihlich. "Jonas – Vergiss mich nicht!" ist ein von der Erzählweise und Genregewohnheiten unkonventioneller, sehenswerter Film, der hier und da von Stereotypen eingeholt wird. Ein Film über die Kraft der Vergangenheit und den Mut, sich ihr zu stellen.
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Jonas – Vergiss mich nicht! Spielfilm. Frankreich 2018. Regie: Christophe Charrier. Darsteller: Félix Maritaud, Nicolas Bauwens, Tommy-Lee Baïk, Aure Atika, Marie Denarnaud, Pierre Cartonnet, Ilian Bergala. Laufzeit: 82 Minuten. Sprache: deutsche Synchronfassung. Verleih: Edition Salzgeber. Im Mai 2019 in der Queerfilmnacht.

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