Die AfD-Abgeordneten, die bei der Aktuellen Stunde dabei waren, waren andauernd im Kampfmodus
Am späten Freitagnachmittag beschäftigte sich der Bundestag in seinem letzten Tagesordnungspunkt für zwei Wochen mit dem Thema LGBTI-Feindlichkeit. Anlass für die von den Grünen beantragte Aktuelle Stunde war der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (IDAHOBIT). Mit Ausnahme der AfD haben Redner aller Parteien betont, dass es weiteren Reformbedarf gebe. In der Debatte vor recht leeren Sitzen bei allen Fraktionen, in der wegen der späten Stunde keine Zwischenfragen gestattet wurden, ging es insbesondere auf der Seite der AfD äußerst aufgeregt zu.
Als erster Redner erklärte der Grünenpolitiker Sven Lehmann, dass die Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben im Jahr 2017 Deutschland "offener und glücklicher gemacht" habe. Das sei aber nicht genug: "Die Zwischenrufe von Rechts zeigen auf, wie notwendig diese Aktuelle Stunde ist", so der 39-Jährige, der an seinem Anzug einen Regenbogenpin angebracht hatte. Er beklagte etwa, dass "schwule Sau" noch immer ein beliebtes Schimpfwort auf deutschen Schulhöfen sei. Der Deutsche Bundestag müsse dagegen sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten deutlich machen: "Du bist richtig, genau wie du bist."
Anschließend griff er direkt die AfD an, die offene Homo- und Transphobie in die Parlamente gebracht habe. Er kritisierte insbesondere den Antrag der AfD, Schwulen und Lesben das Ehe-Recht wieder zu entziehen. Laut der Partei verursachten heiratende Homosexuelle den "Volkstod", hatte ein Redner letzten Herbst im Bundestag erklärt.
Lehmann: AfD verhält sich wie anno 1935
Die Haltung der Rechtspopulisten, bestimmten Bevölkerungsgruppen das Ehe-Recht zu entziehen, gehe direkt auf die Nationalsozialisten zurück, so Lehmann. "Das war 1935, als den Jüdinnen und Juden das Recht auf Eheschließung mit Nichtjuden untersagt wurde."
Der grüne Sprecher für Queerpolitik warb daher für den "Aktionsplan für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt", den die Grünen bereits diese Woche eingebracht hatten (queer.de berichtete).
Offensichtlich wenig an der Debatte interessiert zeigte sich der CDU-Politiker Axel Müller aus Ravensburg. Aktuellen Stunden seien für Debatte über Themen von großer medialer Aufmerksamkeit gedacht. Immerhin würden sich die Grünen ja auch wenig Interesse zeigen, da derzeit von ihren 67 Bundestagsabgeordneten "nur zehn bis zwölf" Mitglieder anwesend seien.
Der Christdemokrat verteidigte sich gegen Vorwürfe der Homophobie und erklärte, dass seine Partei bei der LGBTI-Thematik keine Nachhilfe brauche – "ich füge hinzu: nicht mehr". Die augenblickliche Debatte würde nur der AfD helfen.
Zur Sache sagte Müller, dass die Gleichstellung mit der Öffnung der Ehe bereits im Bundestag "vollzogen" worden sei. Mit aktuellen Initiativen beseitige man zusätzlich "Diskriminierung, die es gegeben hat". Gleichzeitig erklärte er, dass die Forderung nach einem einheitlichen Gesetz für die Anerkennung Inter- und Transsexueller nicht möglich sei, da beide Phänomene "nicht gleich" seien. Dabei zitierte er den Satz: "Gleiches muss gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden" – wortgleich hatten viele Homo-Gegner vor 2017 Stimmung gegen die Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben gemacht.
Ganz in ihrem Element war AfD-Hardlinerin Beatrix von Storch, die in ihrer Redezeit fast ausschließlich über die Lieblingsfeinde der Partei – Migranten und "den Islam" – redete. Zunächst kritisierte sie den grünen Aktionsplan als "Ausgeburt grüner Allmachtsfantasien aus einer dekadenten abgehobenen Parallelwelt urbaner Eliten, die mit den realen Problemen der Bürger nichts mehr zu tun haben." Daraufhin erklärte sie, dass in muslimischen Ländern Homosexuelle von Dächern geworfen werden würden. Die Grünen würden mit Hilfe von Einwanderern aus diesen Ländern versuchen, die christlich-abendländische Kultur zu zerstören.
In der wirren Rede sprach sie auch über "Muslime aus Londonistan" und "Mandelmilch-Linke", die nichts anderes tun würden, als dem Islam in Deutschland zum Sieg zu verhelfen. "Wenn die Fahne des Halbmondes steigt, wird die Fahne des Regenbogens brennen", so Storch. Warum ihre eigene Partei Homosexuellen das Recht auf Eheschließung wieder entziehen will, darüber verlor die Berliner Politikerin keine Silbe.
Karl-Heinz Brunner von der SPD ging zunächst hämisch auf Storch ein: "Gehen sie doch in die muslimischen Länder, die sie beschrieben haben. Da fühlen sie sich mit ihrer Homophobie ganz wohl." Das führte zur schon üblich gewordenen Empörung auf den Rechtsaußen-Plätzen des Bundestages. Weiter erklärte Brunner, dass der Bundestag gerade über die antisemitische BDS-Bewegung gesprochen und diese verurteilt habe – genauso sehr müsse man aber auch Islamophobie bekämpfen. "Nur so gut, wie es Minderheiten geht, so gut geht es einem Land", sagte er daraufhin auch mit Blick auf queere Menschen. "Dazu haben wir noch viel zu tun".
Brunner warb daraufhin insbesondere dafür, dass Kinder das Recht haben sollten, "in Schulen nicht als Schwuchtel" bezeichnet zu werden. Außerdem sei es wichtig, dass im Nichtdiskriminierungs-Artikel 3 des Grundgesetzes auch LGBTI ausdrücklich erwähnt werden – anders als im Gleichbehandlungsgesetz fehlt diese Kategorie in der Verfassung. Letztes Jahr scheiterte eine Initiative, das Grundgesetz zu ändern, hauptsächlich am Widerstand der Union (queer.de berichtete).
Die FDP-Politikerin Gyde Jensen betonte daraufhin, dass Artikel 1 des Grundgesetzes ("Die Würde des Menschen ist unantastbar") zentral in dieser Frage sei. Die Abgeordnete aus Schleswig-Holstein bedauerte, dass Deutschland im "Rainbow Europe"-Ranking zuletzt zurückgefallen ist (queer.de berichtete). Das liege unter anderem an der Zunahme von homophob und transphob motivierten Straftaten, "egal von wem", so Jensen in Richtung Storch, die gewohnt empört reagierte.
Gesetzesänderungen seien notwendig, um die Lage von LGBTI zu verbessern. Als Beispiele nannte sie die Reform des Transsexuellengesetzes und eine bessere Aufklärung an Schulen. Diese Forderungen stießen in der AfD auf weitere Zwischenrufe, was Jansen zu dem Satz verleitete: "Herr Hebner, nehmen Sie doch den Zug nach Hause. Sie müssen doch nicht hier sein."
Achelwilm: Große Koalition sieht Frauen und Männer "stereotyp" an
Die Linkspolitikerin Doris Achelwilm betonte daraufhin, dass es die Pflicht der Parlamentarier sei, dem "gesellschaftlichen Nährboden" entgegenzutreten, der Homo- und Transphobie produziere. Sie blickte dabei auf die Abgeordneten der AfD. Konkret forderte die Abgeordnete aus Bremen das Verbot der Homo-"Heilung", außerdem will sie Operationen an intersexuellen Kindern untersagen und das Transsexuellengesetz abschaffen. Die 42-Jährige kritisierte die Große Koalition, weil sie Frauen und Männer immer noch "stereotyp" betrachte.
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Der bayerische Abgeordnete Volker Ullrich führte danach eine für einen CSU-Politiker überraschend kämpferische Rede für LGBTI-Rechte. Zwar behauptete er anfangs wahrheitswidrig, dass im Grundgesetz-Artikel 3 bereits festgelegt sei, "dass niemand wegen seines Geschlecht oder auch wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden darf". Daraufhin verlangte er die internationale Ächtung aller Staaten, die Homosexuelle verfolgen lassen. Auch sei er froh, dass es in Deutschland "viele glückliche Paare" gibt. Er forderte alle Demokraten auf, sich gegen alle zu stellen, "die das Rad wieder zurückdrehen und die Ehe für alle abschaffen wollen".
Für die nächsten Wochen versprach er "weitere Maßnahmen", etwa beim Thema Homo-"Heilung und ein Verbot geschlechszuweisender OPs bei jungen Intersexuellen. Auch bei der geplanten Reform des Transsexuellengesetzes verstehe er die Frustration von Betroffenen, die sagten, eine Begutachtung wirke "stigmatisierend". Daher müsse man darüber Rede, "ob wir durch Beratung die Hürde abmildern können". Außerdem sagte er – für einen CSU-Politiker durchaus gewagt – dass LGBTI zum Lehrplan an den Schulen gehören müsse.
Die AfD schickte daraufhin mit Nicole Höchst wieder eine ihrer homophobsten Abgeordneten in die Debatte. Sie behauptete schlicht, dass ihre Partei "ohne viel Getöse" Homo- und Transsexuelle akzeptieren würde. Sie erklärte gar, dass die AfD den "ersten transsexuellen Parlamentarier Deutschlands" stelle – auch wenn sich bislang lediglich die Grünenpolitikerin Tessa Ganserer in Bayern als derzeit einzige trans Parlamentarierin geoutet hat (queer.de berichtete).
Danach ätzte die 49-Jährige, die sich fünf Mal vergeblich um einen Posten im Kuratorium der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld beworben hatte, gegen Diskriminierungsschutz als "gesellschaftszersetzende Ideologie", bezeichnete Homo- und Transsexualität als "Ausnahmeerscheinung" und fragte: "Was kommt als nächstes: Wird Homo- und Transsexualittä noch zur Staatsnorm erhoben?" Sie beklagte, dass das Bundesfamilienministerium zur CSD-Saison die Regenbogenfahne hisste ("Für Familien hingegeben wird nicht geflaggt") und dass "Genderista" auf allen Ebenen "in die Köpfe der Menschen" vordringen wollten, "so wie einst im autoritären Erziehungsapparat der DDR." Am Ende erklärte Höchst, die Grünen seien "Heuchler", weil sie behaupteten, LGBTI-freundlich zu sein, aber gleichzeitig "die Intolerantesten der Intoleranten" zu Tausenden ins Land holten – damit war sie wieder bei Migranten angekommen.
Nach der lauten Rede schlug die SPD-Politikerin Leni Breymaier wieder leisere Töne an. Sie konzentrierte sich auf das Thema "Geschlecht und Kinder" und erklärte, bei Intersexuellen sei in diesem Land "viel Leid produziert" worden. Sie zeigte sich auch kritisch gegenüber der geplanten Reform des Transsexuellengesetzes, die den Betroffenen "nicht gerecht" werde. Gleichzeitig erklärte sie in Richtung der AfD-Vorrednerin, dass Menschen, die von der Norm abwichen, "natürlich normal und nicht gesellschaftszersetzend" seien.
Kai Gehring von den Grünen wunderte sich daraufhin, dass die beiden AfD-Rednerinnen nichts zur Homophobie in nicht-muslimischen Ländern wie Russland oder Jamaika gesagt und auch keine Silbe auf die Situation in Deutschland verschwendet hätten. Dabei sei laut Studien hierzulande das Suizid-Risiko unter LGBTI vier bis sechs Mal höher.
"Es waren so rechtextrem gesinnte Leute wie Sie, die mir das Leben schwer gemacht haben"
Der NRW-Politiker erinnerte auch an sein eigenes Coming-out als Schwuler vor 23 Jahren, in denen er gegen Vorurteile kämpfen musste: "Es waren so rechtextrem gesinnte Leute wie Sie, die mir das Leben schwer gemacht haben", sagte Gehring. "Homosexuellenfeindlichkeit hat ein Gesicht" – nämlich das der AfD. Die Partei fühle sich sehr bedroht von gesellschaftlicher Vielfalt". Er erinnerte daran, dass etwa regelmäßig das Homo-Denkmal in Berlin beschädigt werde (queer.de berichtete). Alle Politiker forderte er auf, Lehren aus der Geschichte zu ziehen.
Die CDU-Politikerin Melanie Bernstein bezeichnete daraufhin die Ehe für alle als "Meilenstein für den Weg in die Gesellschaft ohne Diskriminierung". Sie bedauerte, bei der Abstimmung nicht dabei gewesen zu sein (sie zog erst in der nächsten Legislaturperiode ins Parlament ein). Die 42-Jährige aus Schleswig-Holstein sieht den Weg aber noch nicht als beendet an: "Es gibt noch ganz, ganz viel zu tun". Als nächste Themen stünden das Verbot von Intersex-OPs sowie von "Konversionstherapien" und die Reform des Transsexuellengesetzes an. Außerdem sei es wichtig, dass Konzepte für ältere Schwule und Lesben, die jahrzehntelang für LGBTI-Rechte gekämpft haben, entwickelt werden würden. So sei es unfair, dass sie etwa keine Hinterbliebenenrente erhielten, wenn ihr Partner vor der Einführung der Lebenspartnerschaft verstorben sei. Diese Punkte seien zwar insbesondere auf dem Land schwer zu vermitteln, aber dennoch notwendig.
Die SPD-Politikerin Ulli Nissen konzentrierte sich daraufhin auf Kinder und Jugendliche und kritisierte insbesondere beim Thema Intersexuelle die "zynische Haltung" mancher Ärzte. Bei der Reform des Transsexuellengesetzes beklagte die hessische Abgeordnete außerdem die "Blockadehaltung des CSU-geführten Innenministeriums". Ihre SPD werde "alles tun, dass im Interesse der Betroffenen gehandelt wird"
Als letzter Redner fühlte sich der 72-jährige brandenburgische CDU-Abgeordnete Martin Patzelt noch einmal genötigt, seine "Nein"-Stimme bei der Abstimmung über die Ehe-Öffnung 2017 zu sprechen. Er lasse sich "nicht in Nähe von faschistischen Einstellungen transportieren", sagte Patzelt. Außerdem appellierte der Christdemokrat, sich bei schwierigen Themen gegenseitig zuzuhören und sachlich zu diskutieren. Er mache sich inzwischen Sorgen, dass "Homophobie und Aggressivität" anstiegen. Am Ende zog er schulische Lehrpläne, die LGBTI berücksichtigen, in Zweifel, da der "natürliche Umgang mit gleichgeschlechtlich Lebenden" eine "größere Langzeitwirkung" habe.
In einer früheren Version des Artikels hieß es irrtümlich, Höchst habe sich sechs Mal als Kandidatin für das Kuratorium der Hirschfeld-Stiftung beworben. In Wirklichkeit hatte sie sich am Vortag erstmals um einen anderen Sitz beworben. Diesen und einen früheren Artikel haben wir korrigiert.
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