Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat im März eine Klage eines Nigerianers gegen die Ablehnung seines Asylantrags abgewiesen, weil der zuständige Einzelrichter Aussagen des Mannes zu seiner Homosexualität nicht für glaubhaft hielt. Das veröffentlichte Urteil (Az. A 4 K 16909/17), das auch die erfolgte Abschiebungsandrohung bestätigte, weckt dabei Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung, weil sie vor allem auf eine Befragung und Bewertung des Geschlechtsverkehrs des Mannes abzielt. Seine ausführlichen Gedanken zum "unglaubhaften Vorbringen betr. homosexuellen Analverkehr" machte der Richter gar zum Leitsatz der Entscheidung.
Der 1982 geborene Kläger, zu dem queer.de derzeit keine weiteren Informationen vorliegen, war vor zwei Jahren mit einem Visum nach Griechenland eingereist und reiste von dort nach Deutschland, um den Asylantrag zu stellen. Im Rahmen seiner Abwägung der Glaubwürdigkeit des Klägers verweist das Gericht darauf, dass im Visumsantrag bei der griechischen Botschaft betont worden sei, der Mann wolle mit seiner Ehegattin, die den gleichen Nachnamen trägt, Urlaub machen.
Der Kläger hatte erst in der Gerichtsverhandlung erstmals über seine Homosexualität gesprochen, worauf das Urteil deutlich hinweist. Laut einem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 2. Februar 2014 darf die Glaubwürdigkeit eines Klägers nicht allein deshalb angezweifelt werden, "weil er seine behauptete sexuelle Ausrichtung nicht bei der ersten ihm gegebenen Gelegenheit zur Darlegung der Verfolgungsgründe geltend gemacht hat." Laut dem Urteil gab der Kläger an, er habe bei der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Angst gehabt, seine Homosexualität anzusprechen.
Nachfragen zum Analverkehr
Die Schilderungen des Klägers zu seiner Homosexualität hätten "jeder emotionalen oder persönlichen Bedeutung" entbehrt, urteilt das Karlsruher Gericht, und sei "insbesondere hinsichtlich des erstmaligen homosexuellen Geschlechtsverkehrs (…) farblos und oberflächlich" gewesen. So sei auf weitere Nachfragen keine Konkretisierung erfolgt.
Der Mann hatte berichtet, während einer Ausbildung seinen späteren Freund kennengelernt zu haben, als man das Zimmer teilte. "Lebensfern ist dabei die Schilderung, dass dem erstmaligen Analverkehr abgesehen von Zärtlichkeiten wie Küssen und Berührungen keine weiteren Vorbereitungshandlungen vorangegangen seien", urteilt das Gericht dazu. "Denn bei dem – im Falle der Analpenetration betroffenen – menschlichen Schließmuskel handelt es sich um einen ringförmigen Muskel, welcher nicht ohne Vorbereitung ohne Weiteres dehnbar ist. Das Eindringen in den Anus eines anderen Menschen bedarf deshalb besonderer Vorbereitung, da im menschlichen Analkanal – anders als im menschlichen Vaginalkanal – keine Sekretdrüsen vorhanden sind, welche ein das Eindringen in den Körper erleichterndes bzw. ermöglichendes Sekret absondern könnten."
Gerade beim erstmaligen Analverkehr wäre dies neben einer vorangehenden Weitung des Schließmuskels erforderlich gewesen, um Verletzungen in diesem Bereich und starke Schmerzen des passiven Partners zu vermeiden, so der Richter weiter. "Dass derartige Schmerzen aufgetreten wären, ist aus den Schilderungen des Klägers nicht hervorgegangen. Vielmehr hat er angegeben, dass dem Freund jene Nacht gefallen habe, was nach alledem mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein dürfte."
Der EuGH hatte 2014 auch geurteilt, dass Behörden die Glaubwürdigkeit von Asylbewerbern "nicht anhand von Befragungen beurteilen dürfen, die allein auf stereotypen Vorstellungen von Homosexuellen beruhen", und dass die Behörden "im Rahmen dieser Prüfung keine detaillierten Befragungen zu den sexuellen Praktiken eines Asylbewerbers durchführen dürfen".
Verhängnisvolle Liebe zu einem Prinzen
Weniger interessiert zeigte sich der Richter dem Urteil zufolge an der geschilderten Verfolgung des Mannes: Der Freund des Klägers sei demnach ein Prinz gewesen. Dessen Bruder habe die Beziehung mitbekommen und ein Beweisfoto geschossen. Der Prinz habe dann einen Badeunfall gehabt und sei verstorben, worauf der Kläger zum Königspalast gebracht und beschuldigt wurde, den Prinzen zur Vertuschung der Beziehung getötet zu haben. Dann sei er zwei Tage ohne Wasser und Nahrung an einen Baum gefesselt worden, bis er von einem Cousin gerettet worden und in eine Stadt gezogen sei.
Wenig später habe der Kläger erfahren, dass sein Bruder offenbar getötet und das Haus des Klägers abgebrannt worden sei, nachdem seine Homosexualität vor Ort publik geworden war. Da in der Region Homosexualität nach Scharia-Recht bestraft werden könne, sei er zunächst in Hotels geflüchtet und dann per Visum ausgereist.
Das Gericht hielt diese Schilderungen nicht für glaubhaft – so habe der Kläger bei den Anhörungen beim BAMF und vor Gericht unterschiedliche Angaben gemacht, ob er bei dem Unfall seines Freundes anwesend war. Die Sterbeurkunde des Bruders und das Bild eines abgebrannten Hauses würden die Schilderungen nicht ausreichend belegen.
Davon abgesehen urteilte das Gericht, befürchtete "Rachehandlungen" der Familie des früheren Freundes seien keine Voraussetzung für die Anerkennung als Flüchtling. Auch könnte es in Nigeria "inländische Fluchtalternativen" geben: Es dürfte dem Kläger "aufgrund seiner universitären Berufsausbildung möglich und zumutbar sein, sich dort erneut eine Existenz aufzubauen".
Initiativen aus ganz Deutschland berichten seit Jahren immer wieder davon, wie Asylgesuche queerer Flüchtlinge oft mit fragwürdigen Begründungen abgelehnt und oft auch Abschiebungen in Verfolgerstaaten durchgeführt werden. Erst vor zwei Wochen beklagte das Bremer Zentrum Rat&Tat "unsensible und unaufgeklärte" Entscheidungen zu vier von ihm betreuten Flüchtlingen aus Ägypten, Pakistan und Marokko (queer.de berichtete). Wenige Tage zuvor beklagte das Queer Refugees Network in Leipzig die drohende Abschiebung zweier schwuler Kameruner (queer.de berichtete). In einem Fall hatte ein Mann erst im späteren Lauf des Verfahrens angegeben, homosexuell zu sein. Das BAMF hat inzwischen zugesagt, die Fälle neu zu prüfen. (nb)
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Nachfrage nach sexuellen Praktiken sind meiner Kenntnis nach nicht zulässig. Insofern fußt m.E. dieses Urteil auf einen Verstoß gegen die Regeln und eine Begründung mit diesen Aussagen kann nicht herangezogen werden.
Hinzu kommt: Die Beurteilung ob ein eigener erster Analverkehr Schmerzen bereitet (hat) kommt nur dem zu, der ihn erlebt hat. Ich denke, die meisten von uns wissen, wie unterschiedlich ein erstes Mal erlebt werden kann.
Ich verstehe, dass ein Richter skeptisch sein kann, angesichts der hier veröffentlichten Aussagen des Asylbewerbers. Es ist aber immer eine wichtige Aufgabe eines Gerichtes, sich in die Lage dieses Asylbewerbers hinein zu versetzen - ob widersprüchliche oder wenig glaubwürdige Angaben auf Scham (o.ä.) oder auf Schwindel basieren ist schwierig zu erkennen.
Schlussendlich sollte gelten: in dubio pro reo