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Streit um Grenell-Foto & Co.
Berliner LSVD: Bundesvorstand geht auf Distanz zu Steinert
Durch unsouveränen Umgang mit Kritik habe der Geschäftsführer der AfD unnötig Futter geliefert, bemängelt der Bundesverband. Vorstand Alfonso Pantisano fordert einen Rückzug Steinerts.

Jörg Steinert bei einer von mehreren Flaggenhissungen der letzten Tage und ein von ihm verursachter "Bild"-Kommentar von Gunnar Schupelius (Bild: Bündnis gegen Homophobie, Screenshot bild.de)
- Von Norbert Blech
3. Juli 2019, 14:35h 8 Min.
Der Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland hat sich am Mittwoch überraschend deutlich vom Geschäftsführer des LSVD Berlin-Brandenburg, Jörg Steinert, distanziert – Bundesvorstand Alfonso Pantisano forderte auf Facebook gar dessen Rückzug, da er die Community an die Springer-Presse und AfD "verraten" habe. Hintergrund ist ein Streit Steinerts mit der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten des Bezirks Spandau, Juliane Fischer, anlässlich einer für diesen Donnerstag geplanten Hissung der Regenbogenflagge am Bezirks-Rathaus (queer.de berichtete).
Fischer hatte zu einer geplanten LSVD-Beteiligung an der Zeremonie Steinert am letzten Mittwoch per E-Mail einige Fragen gestellt: Wie passen die Themen "Vielfalt, Toleranz und Respekt", die mit der Flagge eingefordert würden, mit einem Foto zusammen, das Steinert mit dem umstrittenen US-Botschafter Richard Grenell zeigt, der "selbst unter den Republikanern noch weit rechts" stehe? Wie ist Steinerts Position im Streit um das Gedenken um lesbische NS-Opfer und zu in diesem Zusammenhang gefallenen "diffamierenden" Äußerungen über Lesben? Außerdem sprach Fischer fragwürdige Entlassungen im Berliner LSVD an.

Schürte Steinert gezielt Empörung über Fischer?
Am Donnerstag wurde der Vorgang öffentlich – ausgerechnet durch eine Kolumne in der B.Z. von Gunnar Schupelius, der unter dem Titel "Mein Ärger" nicht selten empört und mit einseitigen oder falschen Informationen gegen queere oder sonstige emanzipatorische Themen zu Felde zieht; 2018 hatte er etwa "Demo für alle"-artig aus Hintergrundmaterial für Kita-Erzieher zum Umgang mit LGBTI eine "Sex-Broschüre für Kita-Kinder" gemacht (queer.de berichtete). Tagelang führten Springer-Presse, AfD und CDU eine Kampagne gegen die sinnvolle Broschüre.
Auch Schupelius' "Ärger" auf die Gleichstellungsbeauftragte setzte auf Fehlinformationen: "Spandau sperrt Verbands-Chef aus, weil der den US-Botschafter traf", log er bereits zum Einstieg – bisher hatte Fischer nur Fragen gestellt. Schupelius erwähnte diese Tatsache und die übrigen Fragen nicht, sondern bastelte die übliche Empörung über die "politische Kultur" zusammen, die "nur noch Gleichgesinnte" akzeptiere, und wies Kritik an Grenell zurück mit der unjournalistischen Reinwaschung, dass dieser "selbst homosexuell ist und sich für die Gleichberechtigung genauso einsetzt wie das Bezirksamt Spandau". Unter dem Titel "Irre Anfeindungen! Bezirk grenzt Homosexuellen aus, weil er US-Botschafter traf" erschien die Kolumne auch leicht verändert als Kommentar bei "Bild".

Der von der B.Z. zitierte Steinert zeigte sich verwundert über Fischers "Demokratieverständnis", während sich der offen schwule Generalsekretär der Berliner CDU, Stefan Evers, in der Kolumne empörte, Fischer wolle den LSVD wegen des Dialogs mit Grenell "mit der Moralkeule erschlagen" und passe "wohl besser ins Zeitalter der Inquisition".
Steinert selbst postete den Artikel privat bei Facebook und in Auftritten des Verbands in sozialen Netzwerken; er stellte dabei nicht die Fehldarstellungen und Einseitigkeiten von Schupelius richtig, sondern betonte, er lasse sich "Demokratie, Meinungsfreiheit und Vielfalt" nicht nehmen. Bereits in einer E-Mail an Fischer am Mittwoch hatte er beklagt, ihre Fragen seien "unverschämt" gewesen.

Die beleidigte E-Mail hatte Steinert auch an die US-Botschaft und an einige "politisch Verantwortliche des Bezirksamts" in Kopie geschickt – da er bezweifle, dass Fischer "in der Angelegenheit die Meinung" des Amts vertrete. Einer der fünf Mails an das Amt ging an den AfD-Bezirksstadtrat Andreas Otti.
Die Konsequenz: Steinert hatte wohl nicht nur direkt oder indirekt den Anstoß zur Schupelius-Kolumne gegeben, sondern auch zu einer klassischen AfD-Empörung. Einen Tag nach der E-Mail veröffentlichte der Spandauer Bezirksverband der rechten Partei – mit Link zum B.Z.-Artikel – eine Grafik in sozialen Netzwerken: "Beauftragte für Gleichstellung oder Gleichschaltung – Vielfalt, Toleranz & Respekt nur für politisch Korrekte?" Unter dem gleichen Titel "Gleichstellung oder Gleichschaltung" hat die AfD-Fraktion im Bezirk inzwischen eine Kleine Anfrage gestellt.

Zunehmende Kritik an Steinert
Der absurde und unnötige Streit zwischen Steinert und Fischer hatte in den letzten Tagen für viel viralen Wirbel gesorgt. Während über Fischer viel Empörung niederging, darunter manche fragwürdige und einige frauenfeindliche Äußerungen, geriet zunehmend auch Steinert in die Kritik. Die Frauenbeauftragte habe "nur ihren Job gut gemacht", hatte die lesbische Journalistin und Aktivistin Stephanie Kuhnen bereits letzte Woche auf Facebook kommentiert. "Sie hat Fragen gestellt, die alle stellen sollten. Von Redeverbot oder Aussperren ist noch keine Rede. Das ist nur eine Behauptung. Schon armselig, wenn man sich ausgerechnet von Schupelius Schützenhilfe holen muss."
Erst Tage später, am Montag, hat der Bezirk eine Einladung zu der Flaggenhissung verschickt, die den ursprünglich eingeladenen Steinert nicht erwähnt.
Am Mittwoch hat nun der LSVD-Bundesvorstand die "öffentliche Auseinandersetzung" zwischen Fischer und Steinert in einer Pressemitteilung "bedauert": "Für uns als Bundesvorstand gehört zur Professionalität und gutem Stil dazu, immer zuerst das persönliche Gespräch zu suchen und auch auf vielleicht als unberechtigt empfundene Kritik souverän und verantwortungsvoll zu reagieren, vor allem wenn die Kommunikation im bilateralen, nicht-öffentlichen, Mailverkehr gesucht wurde." Das sei hier "zum Schaden aller Beteiligten versäumt" worden. "Das haben wir auch dem Vorstand des LSVD Berlin-Brandenburg sowie seinem Geschäftsführer Jörg Steinert mitgeteilt."
Gleichstellungsbeauftragte seien "potentielle Bündnispartner*innen", so der Bundes-LSVD weiter, der seine 2018 beschlossenen Grundsätze zitiert: "Angesichts der bedrohlichen nationalistischen und LSBTI-feindlichen Mobilisierung braucht es Zusammenhalt aller emanzipatorischen Kräfte. Daher werben wir für eine solidarische interne Diskussionskultur, die Kritik und Widersprüche aushält". Zum aktuellen Streit meint der Bundes-LSVD daher abschließend: "Wer der AfD Futter liefert, verletzt diese Grundsätze eindeutig."

Steinert hisst derzeit viele Flaggen
Einer der LSVD-Bundesvorstände, der frühere "Enough is Enough"-Aktivist Alfonso Pantisano, wurde bei Facebook noch deutlicher: Steinert habe "die letzten Tage nicht die ganze Wahrheit erzählt", die Frauenbeauftragte "in die Hände von Hetzern übergeben" und "die Community an so üble Gestalten wie Gunnar Schupelius von der B.Z. und der BILD zum Fraß gegeben – aber vor allen Dingen, Jörg Steinert hat uns alle an die AfD verraten". Als Mitglied des LSVD-Bundesvorstandes distanziere er sich von "diesem abscheulichem Verhalten": Steinert habe "mit seinem Aufruf an die AfD, ihn in dieser Situation, die auf Fake News basiert, zu unterstützen, sämtliche rote Linien überschritten" und sollte "seinen Posten sofort räumen".
Der Aktivist Johannes Kram kommentierte, der Berliner LSVD habe sich zu einer "staatlich subventionierten Pinkwashing-Agentur" entwickelt, "die nur PR-Bilder zur Aktivismussimulation produziert". Der Betreiber des "Nollendorfblog" weiter: "Gut, dass die Spandauer Frauenbeauftragte Juliane Fischer das hinterfragt. Sie und nicht der Homohetzer der B.Z. ist unsere Verbündete." Seitens des LSVD-Landesverbands hieß es hingegen gegenüber dem "Tagesspiegel", man werde das Gespräch mit dem Bundesverband suchen und dabei auch auf die Kommunikation von Pantisano eingehen. Laut der Zeitung wolle Steinert nicht freiwillig seine Arbeit als Angestellter aufgeben.
Nicht erste Aufregung um Grenell-Foto
Bereits im letzten Jahr hatte ein Streit um ein Foto mit dem US-Botschafter für eine Szene-Debatte gesorgt: Damals hatte der geschäftsführende Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, Jörg Litwinschuh, eine CSD-Party im Anwesen Grenells besucht. Nach Kritik hatte er das Bild gelöscht und entschuldigend betont, es sei aus "persönlicher Eitelkeit" entstanden und habe sein "eigentliches Anliegen konterkariert, mit dem US-Botschafter Richard Grenell in einen kritischen und selbstbewussten Dialog eintreten zu wollen" (queer.de berichtete). Im Vorfeld des CSD hatten andere Szenevertreter wie Dragqueen Margot Schlönzke Grenell deutlicher kritisiert: Als Vertrauter und Unterstützer von Donald Trump sei er nicht Vertreter der USA, sondern einer unter anderem homo- und transfeindlichen Politik, und suche den Schulterschluss mit der europäischen politischen Rechten (queer.de berichtete).

In diesem Zusammenhang war von einigen in sozialen Netzwerken auch Steinerts Bild mit Grenell thematisiert worden. Es war wenige Tage zuvor öffentlicher und ungeplant entstanden – am Stand des LSVD beim Lesbisch-schwulen Stadtfest, als Grenell diesen zusammen mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) besuchte. Steinert hatte das Bild privat bei Facebook geteilt und Spahn erwähnt ("PrEP als Kassenleistung war unser Gesprächsthema"), Grenell hingegen nicht. Er habe an jenem Tag mehrere Minister und Botschafter bei einem Besuch am Stand informiert, schrieb Steinert in seiner Email-Antwort an Fischer.
LSU stärkt Steinert den Rücken
Doch dass es in der Aufregung um Steinert inzwischen weniger um das Bild mit Grenell und viel mehr um die Kommunikations-"Strategie" des LSVD-Geschäftsführers geht, stört manche Beteiligte der Debatte weiter nicht. Erst am Dienstag veröffentlichte Mario Röllig, Landesvorsitzender der Lesben und Schwulen in der Union, eine Pressemitteilung, in der er eine skandalöse "Gesinnungsschnüffelei" durch die Gleichstellungsbeauftragte beklagte. "Auch von mir gibt es solche Fotos, weil Richard Grenell beispielsweise den Stand der LSU beim letzten schwul-lesbischen Stadtfest in Schöneberg besucht hat. Ist jetzt auch die LSU in Spandau unerwünscht?"

Niemand könne "Richard Grenell absprechen, ein engagierter Fürsprecher für die LGBTI*-Bewegung zu sein", so Röllig weiter. Der Bezirk müsse sich beim LSVD entschuldigen und zur Flaggenhissung erneut einladen. Zudem sollte der Spandauer Bezirksbürgermeister "seiner Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten die Grundregeln der demokratischen Willensbildung erklären", so Röllig. "Hier herrscht in Spandau wohl erheblicher Nachholbedarf."
"Man bemerke bitte diesen frauenverachtenden Tonfall: der große Bürgermeister möchte mal der doofen Frau ihren Beruf erklären", kommentierte dazu wiederum Stephanie Kuhnen. "Man beobachte auch die Normalisierung rechtspopulistischen Jargons" im Rahmen dieser "antifeministischen Schmierenkampagne gegen die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte von Spandau".
Update 4.7., 10.30h: Berliner LSVD bleibt stur
Der Vorstand des LSVD Berlin-Brandenburg veröffentlichte am Donnerstag eine kurze Stellungnahme (Facebook-Version), wonach die Fragen aus dem Bezirksamt Spandau "nicht angemessen" gewesen seien. "Das haben wir öffentlich kritisiert", so der LSVD. Der Vorstand sei "davon überzeugt, dass der Geschäftsführer einer überparteilichen Bürgerrechtsorganisation, wie es der LSVD ist, staatliche Stellen öffentlich kritisieren darf."
Am Mittwochnachmittag hatte der Spandauer Bezirksbürgermeister Helmut Kleebank in einer Pressemitteilung betont, dass er den LSVD als "natürlichen Verbündeten" im Kampf gegen Diskriminierung betrachte. Eine gute Zusammenarbeit mit dem Verband sei ihm "außerordentlich wichtig", so der SPD-Politiker. "Streit, zumal öffentlich ausgetragen, hilft dabei weder der Sache noch den beteiligten Personen." Er habe daher Jörg Steinert "eingeladen, den entstandenen Konflikt im vertraulichen Gespräch zu besprechen und aus der Welt zu schaffen".
Kleebank hatte sich zugleich in einer weiteren Pressemitteilung unter dem Titel "Shitstorm beenden" ausdrücklich hinter die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte gestellt. Der "unglaubliche Shitstorm" gegenüber Fischer sei "unerträglich und ein Armutszeugnis für alle, die sich daran beteiligen": "Statt einer sachlichen Debatte geht dabei um Ausgrenzung, Beleidigung, Unterstellung, üble Nachrede etc. Kein Anlass rechtfertigt diese Aggression und diesen Hass!" Beiträge mit strafrechtlicher Relevanz werde man zur Anzeige bringen. (nb)
