Michael J. war als 20-Jähriger verhaftet worden und verbrachte die letzten sechs Jahre hinter Gittern
Der 26-jährige Michael J. ist diese Woche nach sechs Jahren aus der Haft entlassen worden. Bürgerrechts-, LGBTI- und HIV-Aktivisten hatten seit seiner Festnahme die Freilassung des ehemaligen Studenten der privaten Lindenwood University im US-Bundesstaat Missouri gefordert und erklärt, bei der Verurteilung des jungen Mannes hätten Homophobie und Rassismus eine Rolle gespielt.
2013 war der damalige Studierende verhaftet worden, weil er als HIV-Positiver mit fünf Männern ungeschützten Sex gehabt hatte, ohne ihnen von seiner HIV-Infektion berichtet zu haben. Einer dieser Männer wurde später auch positiv getestet. 2015 verurteilte ihn dann eine nur aus weißen Heterosexuellen bestehende Jury zu 60 Jahren Haft (queer.de berichtete). Später reduzierte der Richter die Haftstrafe auf "nur" noch 30 Jahre (queer.de berichtete). Nach einem Deal im Jahr 2018 wurde ihm die Freilassung für dieses Jahr in Aussicht gestellt (queer.de berichtete).
Diskriminierende Anwendung des Gesetzes
Das Urteil wurde nach einem – noch immer gültigen – Gesetz gesprochen, das aus der Zeit der Aids-Panik der Achtzigerjahre stammt. Ungefähr die Hälfte der US-Bundesstaaten haben ähnliche Gesetze. Demnach dürfen HIV-Positive keinen Sex haben, ohne den Partner über ihren HIV-Status aufzuklären. Damit könnten auch Positive bestraft werden, deren Viruslast unter der Nachweisgrenze liegt und die damit nicht mehr ansteckend sind. Die Mindesthaftstrafe bei einer Übertragung beträgt in Missouri zehn Jahre und liegt damit gleich hoch wie bei vollendetem Totschlag. Das Gesetz wird von Aktivisten auch kritisiert, weil es hauptsächlich auf Homosexuelle und auf Schwarze angewandt werde, während Staatsanwaltschaften oder Geschworene bei heterosexuellen Weißen eher beide Augen zudrückten.
Im Falle von J. wurden auch die harten Haftbedingungen kritisiert. So musste er über ein Jahr am Stück in Einzelhaft verbringen – eine Praxis, die von Menschenrechtlern als "Isolationsfolter" gebrandmarkt wird.
HIV-Aktivisten kritisieren außerdem generell die Kriminalisierung von HIV-Positiven. Die Deutsche Aids-Hilfe argumentiert etwa, dass HIV-Prävention nicht einseitig positiven Menschen aufgebürdet werden dürfe. Bei Sex müsse jeder Teilnehmer Verantwortung übernehmen.
Staatsanwalt ist Prozess inzwischen peinlich
Bezirksstaatsanwalt Timothy Lohmar tut die Verurteilung von J. inzwischen Leid. Er hatte während des Prozesses 96 (!) Jahre Haft für den Angeklagten gefordert. Der ganze Fall sei aus heutiger Sicht "peinlich", sagte er kürzlich. Er habe sich aber als Staatsbediensteter an die aktuellen Gesetze halten müssen, auch wenn diese "überholt" und "unwissenschaftlich" seien. Derzeit gibt es im Parlament von Missouri eine Gesetzesinitiative, nach der ungeschützter Sex für HIV-Positive von einer Straftat zu einem Vergehen heruntergestuft werden soll.
Ein richtig freier Mann ist J. trotz seiner Freilassung nicht: Die nächsten drei Jahre ist er noch auf Bewährung und ist damit vielen Einschränkungen ausgesetzt, etwa dem Entzug des Wahlrechts. (dk)