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NRW
Neonazis planen erneute Gegenkundgebung zum CSD Siegen
Die rechtsextreme Kleinpartei "Der dritte Weg" will gegen "die aggressive Zurschaustellung abnormaler Perversionen" und "Entartungen" protestieren.

Screenshot eines Nachberichts der Webseite der Partei "Der Dritte Weg" zu einem Protest gegen den CSD in Siegen im letzten Jahr mit Redner Julian Bender
- Von Norbert Blech
17. Juli 2019, 15:38h 6 Min.
Bereits die Ankündigung ist übelste Hetze: Wenn am 27. Juli LGBTI und ihre Unterstützer zum 20. CSD in Siegen unter dem Motto "Wir sind bunt und feiern rund!" durch die Straßen ziehen, dann will die rechtsextreme Kleinpartei "Der dritte Weg" am Rand stehen und unter dem Motto "Familien schützen! Homo-Propaganda stoppen" durch eine Gegenkundgebung "Widerstand" zeigen.
Die vom Verfassungsschutz beobachtete Partei beklagt in der Veranstaltungsankündigung auf ihrer Webseite eine "moralische Zersetzung der natürlichen Familie" durch die "politische Agenda der Herrschenden" und "die Dekadenz der Volksverräter", wie sie im CSD als "Angriff auf die Stütze des Volkes, die Familie", zum Ausdruck komme. Während der CSD in Siegen "allerlei Entartungen durch die Straße treibt", biete die Partei "allen Deutschen eine Anlaufstelle, für die der Wert der Familie unantastbar ist".
Der CSD sei "ein Zirkus der Abstrusitäten" mit einer "aggressiven Zurschaustellung abnormaler Perversionen", so die Rechtsextremisten. Mit "erfundenen Kampfbegriffen" wie Sexismus oder Homophobie werde versucht, "Normalität für alles das zu behaupten, was seit Jahrhunderten als anormal und unnatürlich galt", um "danach einerseits Werte wie Anstand, Sitte, Moral und Vernunft zu bekämpfen und andererseits jene schwule und lesbische Minderheit als leidgeplagte Opfergruppe zu verkaufen, welche geschützt, ja sogar gefördert werden solle". Unter Nutzung von Nazi-Begriffen wie "entartet" leugnet die Partei so den Opferstatus und das Leid einer von den Nationalsozialisten verfolgten Gruppe.

Ausschnitt aus der Webseite der Partei
Nach Empörungen unter anderem über "perverse Sexualexperimente an unseren Kindern", die wie viele andere "Thesen" der Rechtsextremen in den letzten Jahren auch von der "Demo für alle" oder der AfD zu hören waren, fordert die Partei im "Interesse um den Fortbestand unseres Volkes" das Verbot von "Homo-Propaganda", die Abschaffung von Ehe und Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare – und teilweise ein Berufsverbot: "Homosexuelle, die ihre Veranlagungen nicht penetrant zur Schau stellen, sollen auch in einem nationalen und sozialistischen Staat weiterhin ihre Bürgerrechte wahrnehmen können, auch wenn der Zugang zu Berufen, in denen es Umgang mit Kindern und Minderjährigen gibt, da Homosexualität und Pädophilie überproportional in Verbindung stehen, stark eingeschränkt werden muss".
Einige dieser hetzenden Aussagen hatte die Partei, die bei der Europawahl rund 12.800 Stimmen erzielte, bereits früher verbreitet, offenbar ohne Konsequenzen. Darunter auch diesen Gedanken: "Entgegen der Behauptung linksliberaler Gutmenschen, man würde dadurch angeblich zum Hass gegen Homosexuelle aufrufen, lässt sich entgegenhalten, dass auch ein Staat, der Tuberkuloseerkrankungen bekämpft, nicht gegen den Erkrankten selbst vorgeht, sondern lediglich gegen die Ursachen der Krankheit."
Rechte Mobilisierung nimmt zu
Bereits im letzten Jahr hatten rund 20 Rechtsextreme vom "Dritten Weg" einen Info-Stand an der Demo-Strecke des CSD in Siegen aufgebaut, ein meterlanges Transparent "Mann+Frau+Kinder=Familie" entrollt und Parolen in ein Mikrofon gebrüllt. Der von der Polizei abgeschirmte Pride ließ sich sich davon nicht einschüchtern (queer.de berichtete).

Der rechtsextreme Gegenprotest zum Siegener CSD im letzten Jahr. Bild: Ansgar D.
Auf ihrer Webseite beklagte die Partei später, beim CSD seien "wieder Kinder instrumentalisiert worden, um sich der kranken Klientel unter der Regenbogenfahne anzuschließen". Die Rede des "Gebietsleiter 'West', Julian Bender", wird mit dem Gedanken zitiert, dass die späte Abschaffung des Paragrafen 175 im Jahr 1994 zeige, "dass es scheinbar gute Gründe" gebe, Homosexuelle nicht rechtlich anzuerkennen. Homosexualität werde größtenteils "durch traumatische Ereignisse oder der Glorifizierung derartiger Lebensformen" hevorgerufen, so der "Dritte Weg" – was "jedes verantwortungsvolle und lebensbejahende Staatswesen dazu veranlassen" sollte, "die Ursachen für Homosexualität durch die Eindämmung der freien Entfaltung zu bekämpfen und den Bevölkerungsanteil Homosexueller weitestgehend zu minimieren."

Michel Schafmeister / twitter) "Gesunde Familien statt Homo-Propaganda" – auf ein Linken-Büro geklebtes "Dritter Weg"-Plakat zum CSD in Siegen 2017 (Bild:
Schon 2017 hatte die Partei anlässlich des Siegener CSD Flugblätter verteilt (wie seitdem in mehreren Städten), auch wurde ein Büro der Linken mit der Aufschrift "No Homo" verziert (queer.de berichtete).
Im thüringischen Kahla hatten Anhänger der Partei im letzten Jahr zudem eine Aktion zum Internationalen Tag gegen Homo- und Transphobie mit dem Verteilen von Flyern und Patrouillen begleitet (queer.de berichtete). Nur wenige Bewohner trauten sich in Folge, mit den Aktivisten des "Demokratieladens" ins Gespräch zu kommen, die für Toleranz werben wollten.
Auch zum CSD in Erfurt hielt die Partei im letzten Jahr eine Gegenkundgebung ab – der von der rechten Partei im Vorfeld ähnlich wie oben beworbene Protest sorgte vor allem für einen Besucherrekord des Pride (queer.de berichtete).

Der CSD in Siegen wird in diesem Jahr, nach einigen Terminen in den Tagen zuvor, am 27. Juli mit einer Demonstration ab 13 Uhr ab dem Scheinerplatz begangen, wo ab 14 Uhr auch das Straßenfest folgt. Alle Infos und Termine bietet unter anderem das Programmheft auf der Webseite des CSD, der sich auch bei Facebook folgen lässt.
Update 18.7., 18.20h: CSD fordert rege Teilnahme und mehr Möglichkeiten gegen Hetze
Der CSD Siegen reagierte am Mittwoch bei Facebook zunächst gelassen auf die Meldung über die erneute Gegenkundgebung durch Neonazis:

Am Donnerstag verschickte er die folgende Stellungnahme / Pressemitteilung, in der der Verein u.a. eine rege Teilnahme, aber auch bessere Rechtsmöglichkeiten gegen Hetze einforderte:
"Die rechtsextreme Demonstration ist der beste Beleg dafür, wie wichtig auch heute noch – 50 Jahren nach den ersten Stonewall-Protesten in der Christopher Street in New York – CSD-Paraden sind, um die erkämpfte Gleichberechtigung von LGBTI*-Menschen zu verteidigen und für die Zukunft zu bewahren", schreibt der CSD-Verein in einer Stellungnahme. Er ist überzeugt: "Das ist kein Selbstläufer!" Zudem verweist er darauf, dass Homophobie und Hass keine Meinung sind und sich deshalb auch nicht auf die Meinungsfreiheit berufen können sollten. Der CSD-Siegen e.V. hofft und wirbt dafür, dass sich diese Erkenntnis auch nach und nach in der Rechtsprechung durchsetzt. Sollten dazu gesetzliche Änderungen notwendig sein, fordert der Verein Politiker aller demokratischen Parteien auf, diese Veränderungen vorzunehmen, um den Gerichten entsprechende Sanktionsmöglichkeiten zu eröffnen.
Der CSD in Siegen findet am Samstag, 27. Juli statt und steht in diesem Jahr unter dem Motto "Wir sind bunt und feiern rund" – 50 Jahre nach den ersten Stonewall-Protesten in der Christopher Street in New York, zum 20. Mal in Siegen, seit 10 Jahren mit einem ökumenischen Gottesdienst zum CSD. Gerade vor dem Hintergrund der angekündigten Demonstration laden die Veranstalter alle Menschen in NRW und darüber hinaus ein, in Siegen ein großes Fest der Vielfalt für Gleichberechtigung und Akzeptanz zu feiern.
