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Russland
Moskau: Adoption durch schwules Paar löst Strafermittlungen aus
Die Justiz wirft den zuständigen Sozialarbeitern "Nachlässigkeit" vor, da sie zwei Kinder einer Art "Homo-Propaganda" ausgesetzt hätten. Die Regenbogenfamilie im Zentrum der Aufregung ist offenbar inzwischen aus dem Land geflohen.

Kinderwagen beim CSD in Köln 2019 (Bild: nb)
- Von Norbert Blech
18. Juli 2019, 02:00h 5 Min.
Russlands panische Staatshomophobie hat offenbar einen neuen Tiefpunkt erreicht: In Moskau hat die Justiz Ermittlungen wegen der Adoption von Kindern durch ein schwules Paar eingeleitet. Die in dem Fall zuständigen Sozialarbeiter würden der "kriminellen Nachlässigkeit von Pflichten" verdächtigt, teilte das russische Untersuchungskomitee am Mittwoch mit. Es geht demnach um zwei Jungen, die vor neun Jahren adoptiert worden waren. Den Sozialarbeitern drohen nach dem entsprechenden Paragrafen Geldstrafen, gemeinnützige Arbeit oder gar bis zu sechs Monate Gefängnis.
Laut ihrer Pressemitteilung werfen die Ermittler den Beamten vor, ihrer Pflicht zur Überwachung der Lebensverhältnisse der Kinder nicht nachgekommen zu sein und diese nicht vor "gesundheits- und entwicklungsschädlichen Informationen" geschützt zu haben. Der Adoptivvater habe die Kinder in einem Lebensverhältnis mit einem anderen Mann aufgezogen und dabei "unkonventionelle Beziehungen" beworben.
Der Vorwurf spielt auf das 2013 erlassene Gesetz gegen "Homo-Propaganda" an, das positive Äußerungen über Homosexualität im Beisein von Minderjährigen unter Strafe stellt. Das offiziell mit dem Jugendschutz begründete Gesetz sieht Geldstrafen vor und wurde oft zum Vorab-Verbot von Protesten, aber nur selten für Prozesse genutzt. Der Vater habe in den Kindern "verzerrte Vorstellungen über Familienwerte" geweckt und damit deren "Gesundheit und moralischer und spiritueller Entwicklung geschadet", so das Investigativkomitee. Die Untersuchungen würden fortgesetzt.
Die strafrechtlichen Ermittlungen beträfen bislang nicht die Familie an sich, sagte der Anwalt Maxim Olenitschewv, der sich in Russland für die Rechte Homosexueller engagiert, der Nachrichtenagentur AFP. Aber sollten die Sozialarbeiter für schuldig befunden werden, könnten die Behörden eventuell die Annullierung der Adoption fordern. "Wir halten das für unzumutbar", so Olenitschew gegenüber AFP. Der Nachrichtenagentur Interfax sagte er, er kenne das Paar persönlich und schätze es als "ideale" Eltern ein.
Ein Krankenhausbesuch führte zu homophober Panik und Ermittlungen
Wahrscheinlich handelt es sich bei dem Paar im Zentrum des berichteten Geschehens um eines, das bereits im Juni unfreiwillig für Schlagzeilen sorgte und nach queer.de-Informationen das Land inzwischen mit seinen Kindern verlassen hat – offiziell zunächst für einen Auslandsurlaub. Zumindest war bei der Familie das gleiche Moskauer Bezirksamt involviert, gegen dessen Mitarbeiter nun ermittelt wird.
Einer der beiden Söhne, die der Universitäts-Dozent mit seinem Partner aus einem Waisenhaus adoptiert hatte, war vor wenigen Wochen mit öfters auftretenden Bauchschmerzen in eine Klinik gegangen. Die Ärzte befragten den Zwölfjährigen, und nachdem der Junge auf Nachfragen davon erzählte, bei zwei Männern aufzuwachsen und manchmal auch in deren Bett zu schlafen, vermutete die Klinik allein deswegen Kindesmissbrauch und rief die Polizei. Es folgten eine Hausdurchsuchung bei dem Paar und eine Befragung der Kinder und Männer. Während diese jeglichen Missbrauch abstritten und Ermittler offenbar keine entsprechenden Indizien fanden, fand der Fall seinen Weg in die Medien. Einige berichteten sachlich, andere nutzten Überschriften wie "Junge schlief mit Vätern" oder meldeten, der Arzt, der die Polizei rief, vermute Vergewaltigung als Auslöser der Bauchschmerzen.
Die Pressemitteilung des Untersuchungskomitees vom Mittwoch benennt diese Vorwürfe und mutmaßliche Vorgeschichte nicht. Das kann als Entlastung des Paares aufgefasst werden. Durch den ausführlich formulierten Vorwurf der "Homo-Propaganda" und die offizielle Einleitung entsprechender Ermittlungen rückt allerdings zugleich bereits die Adoption durch ein gleichgeschlechtliches Paar als solche in den Bereich der Strafbarkeit – entsprechend wurde am Mittwoch auch in russischen und internationalen Medien über den Fall berichtet.
Sorge vor einer Verfolgungswelle
Während Russland die Adoption russischer Kinder durch ausländische gleichgeschlechtliche Paare und alleinstehende Personen aus Ländern, in denen Homosexuelle heiraten dürfen, verboten hat, ist im Inland die Adoption durch schwule und lesbische Paare weder verboten noch offiziell gemeinsam möglich, da die Partnerschaften nicht anerkannt werden. Allerdings können Einzelpersonen Kinder adoptieren – und manche Ämter unterstützen homosexuelle Paare, die sie für geeignet halten, durchaus inoffiziell.
LGBTI-Aktivisten befürchten, dass nun Justiz und Politik stärker gegen Ämter – und Regenbogenfamilien – vorgehen könnten. Walentina Matwijenko, die Vorsitzende des Föderationsrates, hatte erst am Montag bei einem Jugendforum betont, dass die Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare zum Aussterben der Menschheit führen werde. Bereits zur Verabschiedung des "Propaganda"-Gesetzes hatten viele Aktivisten befürchtet, dass Regenbogenfamilien zur Zielscheibe und den Eltern die Kinder genommen werden könnten. Einige von ihnen, vor allem lesbische Paare mit leiblichen Kindern, hatten das Land daraufhin verlassen, darunter die russisch-amerikanische Journalistin Masha Gessen.
Irina Kirkora vom Menschenrechsrat beim russischen Präsidenten sagte gegenüber Interfax am Mittwochabend, es sollte kein Grund für Ermittlungen sein, wenn ein Kind von einem gleichgeschlechtlichen Paar aufgezogen wird. Es sei schließlich auch normal, wenn sich etwa drei Frauen, Mutter, Großmutter und Tante, die Erziehung eines Kindes teilten.
Update 19.7.: Hausdurchsuchung bei schwulem Paar
Offenbar ohne Vorankündigung hat die Polizei am Freitagmorgen die Moskauer Wohnung des Paares durchsucht, das sich derzeit mit den beiden Adoptivsöhnen im Ausland befindet. Auch kam es zu Durchsuchungen und Beschlagnahmungen bei Verwandten sowie zu Verhören. Eine Begründung wurde zunächst nicht bekannt. Zwei LGBTI-Organisationen unterstützen die Regenbogenfamilie derzeit unter anderem mit Anwälten.
Seit Mittwoch beschäftigt der Fall des schwulen Adoptivpaares russische Medien, so befragten TV-Sender die Nachbarn, die nichts schlechtes über die Männer sagen konnten. Das Sozialamt erklärte am Donnerstag auf höchster kommunaler Ebene, man habe keine Beschwerden über das Paar erhalten, sondern die Kinder seien offenbar in einer "gesunden Umgebung", "auch im moralischen Bereich", aufgewachsen. Die Behörde listete gar Einzelheiten der Erziehung auf wie zusätzlichen Unterricht, private Krankenversicherungen und ausgiebige Urlaube.
Ein Anwalt der Familie gab am Freitagnachmittag gegenüber Medien an, die Familie befinde sich derzeit wie geplant in einem Auslandsurlaub bis zum Ende des Sommers und werde danach entscheiden, ob sie nach Russland zurückkehre.
