Eine HIV-Infektion bedeutet nicht mehr automatisch, dass eine Person als ungeeignet für den Polizeidienst gilt (Bild: Tim Reckmann / flickr)
HIV-positive Bewerber dürfen nicht grundsätzlich vom Polizeidienst ausgeschlossen werden. Das hat das Verwaltungsgericht Hannover am Donnerstag entschieden. Geklagt hatte ein Mann, der sich im Oktober 2016 als Polizeikommissar-Anwärter beworben hatte.
Die Polizeiakademie Niedersachsen hatte den Bewerber mit dem Argument abgelehnt, dass es "bei körperlichen Auseinandersetzungen zu blutenden Verletzungen beziehungsweise Blutkontakten kommen" könne, weshalb der HIV-positive Bewerber für diesen Job grundsätzlich ungeeignet sei. Zwar nehme der Mann antitretrovirale Medikamente ein, mit dem die Viruslast unter die Nachweisgrenze gedrückt werden konnte. Er trage aber weiterhin das Virus in sich, daher bestehe eine Infektionsgefahr, so die Behörde.
HIV-Aktivisten hatten im Vorfeld der Verhandlung diese Argumentation für Unfug gehalten: "Aus medizinischer Sicht spricht nichts gegen die Einstellung von HIV-positiven Menschen in den Polizeidienst oder in andere Berufe", erklärte Prof. Dr. med. Matthias Stoll, leitender Oberarzt an der Klinik für Immunologie und Rheumatologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und Vorstandsmitglied in der Aidshilfe Niedersachsen. HIV sei eine gut zu behandelnde chronische Erkrankung. Patienten hätten unter konsequenter antiviraler Therapie in der Regel eine ebenso hohe Lebenserwartung wie nicht Infizierte und seien nicht in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Außerdem könnten sie – anders als von der Behörde behauptet – laut Studien niemanden anstecken, wenn ihre Viruslast unter der Nachweisgrenze liege. "Es gibt keinen Grund, HIV-positive Menschen von welchen Berufslaufbahnen auch immer fernzuhalten", sagte Stoll.
Die Richter folgten der Argumentation der HIV-Aktivisten. Demnach gehe von dem Mann keine grundsätzliche Gefahr für Bürger und Kollegen aus. Außerdem werde er voraussichtlich bis zur gesetzlichen Altersgrenze (62. Lebensjahr) den Anforderungen des Polizeivollzugsdiensts gesundheitlich gerecht werden. HIV-Positive dürften also nicht aus Prinzip als Bewerber abgelehnt werden, vielmehr müsse man im Einzelfall entscheiden.
Niedersachsen will Urteil nicht akzeptieren
Das Land Niedersachsen will laut seinem Anwalt nach Eingang der schriftlichen Urteilsbegründung Berufung einlegen. Einen Vergleich lehnte das Land ab. Auch der Kläger will das Verfahren wegen der grundsätzlichen Bedeutung für Menschen mit HIV weiterführen.
"Die Entscheidung ist ein erster wichtiger Schritt zur Beseitigung von Diskriminierung von Menschen mit HIV, die in den Polizeidienst wollen", sagte der Rechtsbeistand des Klägers.
Das Bundesarbeitsgericht hatte bereits 2013 entschieden, dass die Entlassung eines Menschen wegen seiner HIV-Infektion gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstößt (queer.de berichtete). Die in dem Fall symptomlose Infektion sei einer Behinderung gleichzusetzen, so die Richter damals – und im Gleichbehandlungsgesetz ist Behinderung eines von acht Merkmalen, aufgrund derer Arbeitnehmer nicht diskriminiert werden dürfen. Im aktuellen Fall klagte der Polizei-Bewerber auch auf eine Entschädigung nach dem AGG. Diese Forderung wurde vom Gericht aber aus formalen Gründen abgelehnt.
Bei der Polizei werden nach einem umstrittenen Beschluss von leitenden Polizeiärzten des Bundes und der Länder im Frühjahr 2017 HIV-positive Bewerber als dienstuntauglich eingestuft. Andere Behörden sind in dieser Frage bereits weiter: So entschied die Bundeswehr vor zwei Jahren, dass eine HIV-Infektion "keinen grundsätzlichen Hinderungsgrund mehr für die Einstellung, Dienstzeitverlängerung und Übernahme in den Status 'Berufssoldat bzw. Berufssoldatin'" mehr darstelle (queer.de berichtete).
Kritik übten HIV-Experten auch an der Praxis der Polizei in Bund und Ländern, gesundheitsbezogene Einträge in Datenbanken verdächtiger Personen zu speichern. Laut der Aidshilfe würden alleine in Niedersachsen 4.500 Bürger mit Hepatitis- oder HIV-Infektionen unter dem Zusatz "ANST" (ansteckend) geführt. Dies berge – nicht erst seit der möglichen Heilung von Hepatitis-C-Infektionen und der Nichtübertragbarkeit von therapierten HIV-Infektionen – das Risiko von Fehleinschätzungen und schüre die Stigmatisierung. Trotz dieser Argumente gilt weiterhin eine Entscheidung der Innenministerkonferenz aus dem Jahr 2015, HIV-Infektionen weiter zu speichern (queer.de berichtete). (dk)