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Polen
Nach homofeindlicher Gewalt: PiS-Politiker erwägen CSD-Verbote
Die brutalen Ausschreitungen gegen den ersten Pride in Bialystok führen bei Regierung und Kirche zu einer Verurteilung von Gewalt, aber keinem Umdenken. Die Opposition plant in der Stadt einen "Marsch gegen Gewalt".

Bart Staszewski) Am Rande des angegriffenen CSD in Bialystok zündeten Nationalisten auch eine Regenbogenflagge an (Bild:
- Von Norbert Blech
23. Juli 2019, 15:45h 7 Min.
Die polnische Politik und Gesellschaft haben sehr unterschiedlich auf die erschreckende Gewalt gegen den CSD in Bialystok vom Samstag reagiert. Hunderte Nationalisten, Gläubige, Hooligans und auch viele "reguläre" Bürger hatten sich dem ersten Pride in der 300.000-Einwohner-Stadt im Nordosten Polens mit mehreren Blockaden entgegengestellt; auf die rund 1.000 LGBTI und Unterstützer flogen Böller, Steine, Eier und Flaschen (queer.de berichtete). Einzelne Teilnehmer wurden von Mobs geschlagen und getreten. Die Polizei, die den CSD mit einem Großaufgebot an Beamten schützte, nahm vor Ort 25 Gewalttäter fest und fahndet inzwischen öffentlich nach weiteren, darunter wegen eines körperlichen Angriffs auf einen 14-Jährigen.
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Während Innenministerin Elzbieta Witek betonte, dass die Polizei immer entschlossen auf Gesetzesverstöße reagieren werde und es keine "Erlaubnis für rowdyhaftes Verhalten" gebe, brachte Bildungsminister Dariusz Piontkowski, ebenfalls von der rechten Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), bereits am Sonntag indirekt CSD-Verbote ins Gespräch: "Solche Märsche von Kreisen, die nicht dem Standard entsprechende sexuelle Verhaltensweisen bewerben, wecken großen Widerstand hervor", nicht nur in Bialystok, sondern auch anderen Gegenden des Landes. Daher sei es wichtig zu überlegen, "ob solche Veranstaltungen in der Zukunft durchgeführt werden sollten", so der Minister. Denn sie führten zu Ausschreitungen und damit zu Risiken für die Gesundheit Einzelner.
Inzwischen haben sich mehrere PiS-Politiker aus allen Ebenen mehr oder weniger deutlich für Verbote der "Märsche für Gleichberechtigung" ausgesprochen. So forderte der Bezirkschef von Lublin, Przemyslaw Czarnek, entsprechende Verbote durch die jeweiligen Kommunen. Strafgesetzartikel gegen die Verursachung von Skandalen, die Profanierung religiöser Symbole oder die Verletzung religiöser Gefühle böten dazu die Möglichkeit. Der erste CSD in Lublin im letzten Jahr war ebenfalls von Gewalt durch Gegendemonstranten überschattet worden (queer.de berichtete). Für dieses Jahr steht noch kein Termin fest. In der Rekordzahl von rund 25 polnischen Städten soll es dieses Jahr CSD-Demos geben (Übersicht). Für die nächste anstehende Pride-Kundgebung am 10. August in Plock sind bereits wieder rechte Gegenveranstaltungen angekündigt.
Twitter / MiRo_SPD | Michael Roth, schwuler SPD-Politiker und Staatsminister im Auswärtigen Amt, drückte auf Twitter den CSD-Teilnehmern seine Solidarität ausMeine Solidarität mit allen Teilnehmerinnen & Teilnehmern des #Pride #Bialystok. #LGBTI-Rechte sind Menschenrechte. Immer. Und überall. Solidarno! https://t.co/vQBaXjwE8P
Michael Roth MdB (@MiRo_SPD) July 21, 2019
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Der PiS-Vize Radoslaw Fogiel antwortete am Dienstag auf die Frage, ob sich Premierminister Mateusz Morawiecki oder der Parteivorsitzende Jaroslaw Kaczynski noch öffentlich und verurteilend zu den Vorfällen äußern wollten, mit der Aussage, dass er die Gewalt gegen eine legale Demonstration verurteile, egal, ob man mit den Zielen der Protestierenden übereinstimme. Man sollte die Taten aber nicht politisieren, so Fogiel. Es sei zugleich eine "total absurde These", dass die Partei zu einem solchen Verhalten ermutigt hätte.
In den letzten Monaten hatte sich die öffentliche Auseinandersetzung mit LGBTI-Themen in dem katholischen Land allerdings nachweislich drastisch verschärft. Nachdem sich der Warschauer Stadtpräsident Rafal Trzaskowski im Frühjahr in einer "Regenbogen-Erklärung" unter anderem für eine umfassende und LGBTI-inklusive Sexualaufklärung an Schulen verpflichtete, machte die PiS-Partei daraus ein Thema zum damaligen Europa- und nun bevorstehenden Parlamentswahlkampf: "Die LGBT- und Gender-Bewegung bedroht unsere Identität und unsere Nation. Sie bedroht unseren polnischen Staat", meinte etwa der Parteivorsitzende Jaroslaw Kaczynski im April (queer.de berichtete). Mehrere PiS-geführte Gemeinden und Regionen beschlossen in den letzten Monaten Resolutionen, in denen sie sich als "frei von der LGBT-Ideologie" bezeichneten; das parteinahe Politik-Magazin "Gazeta Polska" kündigte in der letzten Woche an, in seiner nächsten Ausgabe Aufkleber mit durchstrichenem Regenbogen und dem Aufdruck "LGBT-freie Zone" beizulegen (queer.de berichtete).
Linke Opposition plant Demo in Bialystok
Der scheidende EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte auf Twitter die polnische Regierung mitverantwortlich für die Ausschreitungen gemacht: "Hooligans, Antisemitismus, Homophobie – nichts Neues. Die Tragödie ist, dass die Macht ihr Patron ist." Der Oppositionsführer Grzegorz Schetyna, wie Tusk von der konservativen Bürgerplattform, kommentierte, die Ausschreitungen seien das "Ergebnis von vier Jahren Hass-Propaganda und Nachsicht gegenüber Gewalt". Der Stadtpräsident von Bialystok, Tadeusz Truskolaski von der Bürgerplattform, der anders als der von der PiS gestellte Marschall der Woiwodschaft (Bezirk) den CSD unterstützt hatte, kündigte Anzeige gegen mehrere PiS-Politiker an, die die Ausschreitungen direkt oder indirekt unterstützt hätten.
Der schwule LGBTI-Aktivist und Politiker Robert Biedron, der nach seiner Zeit als Bürgermeister von Slupsk mit der Parteineugründung Wiosna ("Frühling") sechs Prozent bei der Europawahl geholt hatte, bezeichnete die Ausschreitungen noch am Samstag als Ergebnis von einer Spirale des Hasses durch Politiker und Bischöfe. Er ging am Sonntag zusammen mit den Vorsitzenden der Allianz der demokratischen Linken (SLD) und der linken Partei Razem ("Gemeinsam") vor die Presse, um die Gewalt zu verurteilen und für Samstag zu einem "Marsch gegen Gewalt" in Bialystok aufzurufen. Die derzeit im Sejm nicht vertretenen Parteien bilden zur Parlamentswahl ein progressives Bündnis.
Twitter / RadioZET_NEWS | Biedron (M.) mit den Parteivorsitzenden Wlodzimierz Czarzasty (SLD, r.) und Adrian Zandberg (Razem)W najblisz sobot Lewica Razem, SLD i Wiosna zorganizuj w Biaymstoku "Marsz przeciwko przemocy". To reakcja na zajcia podczas "Marszu Równoci" w tym miecie. Liderzy partii zaprosili na "Marsz przeciwko przemocy" na wspólnej konferencji prasowej przed Sejmem. pic.twitter.com/O1ZajmzGbc
Radio ZET NEWS (@RadioZET_NEWS) July 21, 2019
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Katholische Kirche verurteilt Gewalt (und Homosexualität)
Auf Distanz zur Gewalt ging am Montag derweil auch die katholische Kirche – die die homo- und transfeindliche Stimmung mitgeschürt hatte. "Gewalt und Verachtung können auf keinen Fall gerechtfertigt und akzeptiert werden", sagte Pawel Rytel-Andrianik, der Sprecher der Polnischen Bischofskonferenz. Er verbreitete mehrere Äußerungen des Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Erzbischof Stanislaw Gadecki. "Diese Menschen sind nicht in erster Linie Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle – sie sind vor allem unsere Brüder und Schwestern, für die Christus sein Leben gab und die er zur Erlösung führen will", sagte Gadecki über die CSD-Teilnehmer. Zugleich müsse man das "volle Evangelium" verkünden und "nicht aufhören, Todsünde als solche zu benennen".

Bart Staszewski) Rechtsextreme und Gläubige bei einer der Blockaden der CSD-Wegstrecke vom Samstag. (Bild:
Die Erklärung wurde unter anderem von Radio Vatikan oder der Webseite der deutschen Bischofskonferenz verbreitet, verbunden mit dem Hinweis, bei den Gewalttätern habe es sich um "Hooligans" und "rechtsextreme Fußballanhänger" gehandelt, als habe die Kirche (und die Regierung) nichts damit zu tun. Videoaufnahmen vom Wochenende zeigten allerdings, wie den Rosenkranz betende Gläubige zusammen mit Nationalisten homofeindliche Plakate bei der Blockade des CSD hielten. Eine Blockade musste direkt vor der Kathedrale aufgelöst werden, vor der nicht nur Gläubige gegen den Pride beteten, sondern auch Infostände von homo- und transfeindlichen Gruppen wie "Stop Pedofilii" standen.
Der örtliche Erzbischof Tadeusz Wojda hatte Anfang Juli in allen Gemeinden einen Brief verlesen lassen, in denen er sein kategorisches Nein, das aus dem Widerstand zum Kommunismus bekannte "Non possumus", zum CSD verlauten ließ. Dieser sei eine den Polen fremde Initiative und Teilnehmer mit "unzensierter Haltung und Kleidung" verachteten christliche Werte und beeinträchtigten das Wohl der Kinder. Der Pride richte sich angeblich gegen Diskriminierung, diskriminiere aber Christen, so der Bischof damals.
Twitter / S_Lukaszewicz | Der PiS-Stadtverordnete Sebastian Lukaszewicz twitterte ein Bild von einer Blockade der CSD-Wegstrecke und betonte: "Wir haben die Kathedrale verteidigt". Er dankte allen Bürgern, die sich "traditionellen Werten verschrieben" hättenObronilimy Katedr pw. Wniebowzicia NMP w #Biaystok. Wielkie podzikowania wszystkim biaostoczanom przywizanym do tradycyjnych wartoci! pic.twitter.com/kutffH0Tam
Sebastian ukaszewicz (@S_Lukaszewicz) July 20, 2019
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In einer von der Bischofskonferenz verbreiteten Erklärung beteuerte auch Wojda am Montag, Gewalt sei mit dem Glauben nicht zu vereinbaren. Seine Angebote zum öffentlichen Gebet zeitgleich zum CSD seien allerdings "schöne und wertvolle Bekenntnisse" gewesen und er werde auch weiter dazu aufrufen, für "die Familie" und "die Reinheit der Werte" zu beten. Es sei Christenpflicht, diese Werte auf eine Art und Weise zu verteidigen, die dem Gebot der Nächstenliebe und dem Respekt gegenüber jeden Menschen folgten.
Hetze auch aus Deutschland
Hetze kommt derweil auch aus Deutschland: Die ehemalige Pegida-Frontfrau und AfD-Funktionärin Tatjana Festerling freute sich auf ihrer Webseite und im russischen sozialen Netzwerk vk zu Bildern der Gegendemonstranten aus Bialystok darüber, dass sich Männer in Polen gegen die "NWO-Verschwulung" und Paraden von "sich narzisstisch produzierenden Homosexuellen" wehrten, während in Deutschland "der schwule Arschfick ja gern am hellichten Tage und öffentlich auf den Trucks zelebriert" werde. Letztlich wünschte sich Festerling den Tod Homosexueller durch Islamisten: "Man ertappt sich gelegentlich bei dem Gedanken, dass diese zeigesüchtige Dekadenz unter der Scharia endlich ein Ende finden wird."
Dabei gibt es auch in Deutschland rechtsextreme CSD-Gegner: Die Kleinpartei "Der dritte Weg", die letzte Woche ankündigte, an diesem Samstag wie im Vorjahr eine Gegenkundgebung zum CSD in Siegen abzuhalten, teilte inzwischen mit, am 24. August auch zum zweiten Mal in Erfurt zeitgleich zum CSD eine Kundgebung unter dem Motto "Gemeinsam gegen Homopropaganda! – Für die traditionelle Deutsche Familie!" abzuhalten. Auf ihrer Webseite gaben die vom Verfassungsschutz beobachteten Neonazis an, am letzten Samstag auch gegen den CSD in Leipzig aktiv geworden zu sein – zeitgleich zu den Ausschreitungen in Bialystok verteilten Mitglieder der Partei dort demnach homofeindliche Flyer und Papierschnipsel mit dem Aufdruck "CSD stoppen!"

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