Der Hass hat nicht das letzte Wort: Acht Tage nach den schweren Ausschreitungen zum ersten CSD in Bialystok haben am Sonntag tausende Menschen in der Stadt unter dem Motto "Polen gegen Gewalt" ein friedliches, buntes und wichtiges Zeichen gesetzt. Zuvor hatte es in den letzten Tagen ähnliche Kundgebungen in rund 20 Städten gegeben, alleine in Warschau beteiligten sich am Samstag tausende Menschen bei einem Protest mit zahlreichen Regenbogenflaggen am Kulturpalast.
In Bialystok hielten mehrere Vertreter von LGBTI-Organisationen sowie Politiker bei einer Kundgebung in der Innenstadt Reden ab – eine Demonstration war aus Sicherheitsgründen nicht genehmigt worden. "Als ich meiner Mutter erzählte, dass ich schwul bin, war sie am Boden zerstört", erzählte der offen schwule Politiker Robert Biedron. "Denn sie hatte all die Geschichten gehört, dass Homosexualität abnormal wäre. Heute ist meine Mutter unter uns. Sie hält eine Regenbogenflagge. Ein Wandel ist möglich."
Am Rande der Kundgebung hatten sich mehrere Personen zu einem Gegenprotest versammelt und Plakate wie "Stoppt Gewalt gegen die Kirche" gehalten. Sie versuchten, Teilnehmer der Anti-Gewalt-Kundgebung in Auseinandersetzungen zu verwickeln und diese als auswärtige Besucher darzustellen. Abseits von Provokationen und homophober Botschaften blieb es aktuellen Medienberichten zufolge friedlich.
Am letzten Samstag hatten hunderte Gegendemonstranten, darunter Nationalisten, Hooligans und Gläubige, versucht, den CSD in der Stadt im Nordosten des Landes mit mehreren Blockaden zu verhindern (queer.de berichtete). Auch kam es zu Beleidigungen, homofeindlichen Transparenten, Böller-, Steine- und Flaschenwürfen sowie gewalttätigen Hetzjagden auf einzelne CSD-Teilnehmer. Der erste "Marsch der Gleichberechtigung" selbst blieb friedlich und gilt mit bis zu 1.000 Teilnehmern als Erfolg. Die Polizei hatte den bereits im Vorfeld bekämpften und bedrohten Pride mit einem Großaufgebot geschützt und ermittelt inzwischen nach teils öffentlicher Fahndung gegen mehr als 100 Gegendemonstranten, rund 25 hatte sie an dem Tag festgenommen.
Die Schwere der Ausschreitungen und die hohe Teilnehmerzahl, auch aus der "regulären" Stadtbevölkerung heraus, sorgte für einen Schock in Polen, obwohl die Regierung rund um die Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), die katholische Kirche und einige Medien seit mehreren Monaten einen regelrechten Kultur- und Wahlkampf gegen LGBTI-Rechte führten. Nach dem Wochenende verurteilten die Kirche und PiS-Politiker zwar die Gewalt, änderten aber nichts an ihrer Ablehnung von LGBTI-Rechten und entsprechender Rhetorik. Einige PiS-Politiker forderten zugleich direkt oder indirekt CSD-Verbote, darunter der Bildungsminister des Landes (queer.de berichtete).
Der schwule LGBTI-Aktivist und Politiker Robert Biedron, der nach seiner Zeit als Bürgermeister von Slupsk mit der Parteineugründung Wiosna ("Frühling") sechs Prozent bei der Europawahl geholt hatte, hatte die Gewalt am letzten Sonntag auf einer Pressekonferenz zusammen mit den Parteivorsitzenden der linken Parteien SLD und Razem, mit denen er ein Wahlbündnis zur Parlamentswahl im Herbst bildet, verurteilt und zu der Veranstaltung an diesem Sonntag sowie zu weiteren aufgerufen. Auch Vertreter anderer Oppositionsparteien, darunter der liberal-konservativen Bürgerplattform, hatten den Hass kritisiert, LGBTI-Rechte eingefordert und an Solidaritätskundgebungen teilgenommen.
Auch Polens diverse queere Organisationen hatten zu den Soli-Kundgebungen aufgerufen. Sie hatten bereits unter der Woche Menschen dazu aufgerufen, an einem Tag sichtbar einen Regenbogen am Körper zu tragen – zeitgleich zum Erscheinen der neuesten Ausgabe des rechten und regierungsnahen Magazins "Gazeta Polska", dem ein Aufkleber mit durchstrichenem Regenbogen und dem Slogan "LGBT-freie Zone" beilag. Während selbst die Band Rammstein bei einem Konzert in Polen mit einer Regenbogenflagge ein Zeichen setzte, hat ein Gericht inzwischen die Auslieferung des Stickers vorläufig gestoppt (queer.de berichtete).
Seit Donnerstag sorgt zugleich ein auch homophob motivierter Angriff auf den Journalisten Przemysław Witkowski für weitere Empörung: Der Mitarbeiter des Portals onet.pl war mit seiner Freundin mit Fahrrädern am Ufer unterwegs, als er homophobe und nationalistische Botschaften an einer Wand entdeckte. Daraus entwickelte sich ein Streit mit einem jungen Nationalisten, der ihn zusammenschlug. Witkowski musste mit zahlreichen Verletzungen an Gesicht und Körper, darunter einer gebrochenen Nase, im Krankenhaus behandelt werden. Die Polizei fahndet inzwischen mit einer Zeichnung nach dem unbekannten Angreifer. (nb)
Es wäre nur schön, wenn die Bürger Polens das auch bei Wahlen zeigen.