Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wacht über die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention (Bild: wikipedia)
Ein schwuler Mann aus Nordirland, dem eine Konditorei das Backen eines 40-Euro-Kuchens aus religiösen Gründen verweigert hatte, wird vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ziehen. Das kündigte seine Anwaltskanzlei Phoenix Law, die sich auf Menschenrechtsfragen spezialisiert, am Donnerstagmorgen an.
Die juristische Auseinandersetzung geht auf einen Streit aus dem Jahr 2014 zurück, als der LGBTI-Aktivist Gareth Lee anlässlich des Tages gegen Homophobie einen Kuchen bei der Kette "Ashers Baking Company", die sechs Konditoreien in Nordirland betreibt, bestellt hatte. Darauf sollten die "Sesamstraßen"-Figuren Ernie und Bert und die Aufschrift "Unterstützt die Ehe-Öffnung" samt dem Logo von Lees Gruppe "Queerspace" abgebildet sein. In Nordirland ist die Ehe für Schwule und Lesben – anders als in England, Wales, Schottland und der Republik Irland – bis heute verboten.
Die Bestellung war damals von der Konditorei storniert worden mit dem Argument, dass man als christlicher Betrieb nicht gezwungen werden dürfe, Produkte anzubieten, die religiösen Überzeugungen entgegen stünden. "Wir wollen nichts unterstützen, was unserem biblischen Glauben widerspricht", begründete der evangelikale Konditorei-Geschäftsführer Daniel McArthur die Ablehnung.
Die evangelikalen Christen Amy und Daniel McArthur halten die gleichgeschlechtliche Ehe für unchristlich und wollen daher keine Kunden bedienen, die eine entsprechende Aufschrift in einer Torte oder einem Kuchen fordern (Bild: Screenshot Sky News)
Daraufhin ging der Fall durch die Instanzen: Zwei Gerichte gaben dem Kläger Recht, weil ein "gewinnorientiertes Unternehmen" laut einem Antidiskriminierungsgesetz nicht Kunden aufgrund der sexuellen Orientierung diskriminieren dürfe. Der Supreme Court, der oberste Gerichtshof des Königreichs, argumentierte jedoch, dass Lee nicht wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert worden sei. Vielmehr hätten die Ladeninhaber nur eine Inschrift, "die ihnen zutiefst widerstrebt", abgelehnt. Dabei beriefen sich die Richter auf die Grundrechte von Religionsfreiheit und Gewissensfreiheit (queer.de berichtete).
Kann ein gewinnorientiertes Unternehmen religiös sein?
Lees Anwaltskanzlei argumentiert, dass das britische Höchstgericht die Europäische Menschenrechtskonvention in ihrer Entscheidung "nicht angemessen" berücksichtigt habe. Die Anwälte argumentierten, dass kein Mensch den Eindruck gewinnen könnte, dass eine Konditorei, die eine bestimmte Aufschrift auf einem Kuchen im Auftrag eines Kunden herstellt, diese Botschaft auch unterstützt. "Der Kuchen war nicht im Schaufenster des Ladens ausgestellt. Es war für die private Nutzung von Lee bestimmt und sollte nach Bezahlung in seinen Besitz übergehen." Außerdem solle argumentiert werden, dass eine haftungsbeschränkte Firma, die im Handelsregister eingetragen ist, keine "christliche Firma" sein könne, für die bestimmte Antidiskriminierungsgesetze nicht gelten.
"Ich würde für das Recht von Geschäftsleuten kämpfen, nach ihren religiösen Überzeugungen zu leben. Ich habe meine eigenen Überzeugungen. Aber darum geht es in diesem Fall nicht", erklärte Lee. "Hier geht es um gewinnorientierte Unternehmen, die sich aussuchen wollen, welche Kunden sie bedienen und welche nicht. Das ist ein sehr gefährlicher Präzedenzfall."
Noch ist unklar, ob der EGMR den Fall überhaupt annimmt. Das Straßburger Gericht hatte in den letzten Jahrzehnten viel dazu beigetragen, Großbritannien und Nordirland LGBTI-freundlicher zu machen. Durch Entscheidungen dieses Gerichts wurden etwa 1981 das Verbot von gleichgeschlechtlichen Sex in Nordirland aufgehoben, 1997 das Schutzalter von Homo- und Hetero-Sex im Königreich angeglichen, 1999 das Homo-Verbot im Militär beendet und 2006 das Recht von verheirateten Transpersonen auf eine Rentenversicherung erstritten. Allerdings fordern viele Politiker, dass sich London nach dem Ende Oktober geplanten Austritt aus der EU auch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention zurückzieht, die derzeit für alle europäischen Länder mit Ausnahme von Weißrussland und dem Vatikanstaat bindend ist. (dk)