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Verbot von "Homo-Heilung"
Chef der Hirschfeld-Stiftung gegen "neuen Paragrafen 175"
Die Idee, das Verbot von sogenannten Konversionstherapien als Paragraf 175 zu verankern, stößt auf Ablehnung. Auch ansonsten gibt es noch viel Gesprächsbedarf.

Verbietet Deutschland als zweites EU-Land die von Ärzteverbänden als gefährlich eingestuften "Konversionstherapien"?
- 22. August 2019, 10:45h 3 Min.
Kurz vor der Vorstellung eines Berichtes der vom Gesundheitsministerium einberufenen Kommission zum Verbot von "Konversionstherapien" nimmt die Debatte um das Thema an Fahrt auf. Jörg Litwinschuh-Barthel, der geschäftsführende Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, lehnte gegenüber queer.de einen Vorstoß des SPD-Politikers Karl-Heinz Brunner ab, das Verbot im Strafgesetzbuch in "einem neuen, fortschrittlichen §175" zu verankern.
"Der Paragraf 175 sollte aus unserer Sicht nicht mehr im Strafgesetzbuch mit einem neuen Gesetz belegt, sondern auf alle Zeit freigehalten werden, damit diese Freistelle an das unfassbare Leid erinnert, das durch diesen mittelbar und unmittelbar Schwulen und Lesben zugefügt wurde", so Litwinschuh-Barthel. Nach dem entsprechenden Paragrafen wurden homosexuelle Handlungen zwischen 1872 und 1994 bestraft.

Jörg Litwinschuh-Barthel ist seit ihrer Gründung 2011 Chef der Hirschfeld-Stiftung
Brunner, der SPD-Sprecher für Schwule und Lesben sowie Kandidat für den Bundesvorsitz der Sozialdemokraten, hatte in einem eigenen Gesetzentwurf für seine Fraktion (PDF) Haftstrafen von bis zu fünf Jahren für "Homo-Heiler" vorgeschlagen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der das Verbot im Februar angekündigt hatte, hat bislang noch keinen Entwurf vorgelegt, sondern will auf die Ergebnisse einer im Mai einberufenen Kommission warten.

Die Idee eines neuen Paragrafen 175 fand unter queer.de-Lesern nicht nur Anhänger
"Die Kommission wird begleitet von der Magnus-Hirschfeld-Stiftung. Die wird Ende August ihren abschließenden Bericht vorlegen", erklärter Oliver Ewald, Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums, nach Angaben des MDR. Das Ministerium hatte zu dem Thema auch zwei Gutachten vorgestellt. "Parallel dazu sind wir bereits im Austausch mit dem Justizministerium."
Rechtliche Bedenken im Justizministerium
Das SPD-geführte Bundesjustizministerium sieht nach einem SZ-Bericht Probleme bei der rechtlichen Umsetzbarkeit eines "Heiler"-Verbots, das nicht nur Jugendliche umfasst. Die Frage sei, ob einem mündigen Erwachsenen, der "geheilt" werden will, überhaupt verboten werden kann, eine "Therapie" in Anspruch zu nehmen.
Der Brunner-Entwurf sieht vor, dass etwa Ärzte, Psychotherapeuten oder Heilpraktiker bestraft werden können, wenn sie "Behandlungsmaßnahmen zur Änderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung" anbieten oder durchführen. Eine geringere Strafe würden die Anbieter erhalten, wenn sie "zur Durchführung der Behandlung durch den Behandelten ernstlich bestimmt" worden seien – das "Opfer" also wirklich "geheilt" werden wollte. Dies wird als rechtlich schwierig angesehen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte das Verbot Anfang des Jahres angeregt (Bild: Heinrich-Böll-Stiftung / flickr)
Ein weiterer Kritikpunkt am Brunner-Entwurf: Darin wird lediglich die Änderung der "sexuellen Orientierung" erwähnt, aber nicht das Merkmal Geschlechtsidentität. Aktivisten zeigten sich darüber in sozialen Netzwerken besorgt. Brunner wischte diese Kritik Anfang des Monats auf Twitter beiseite, indem er behauptete, "sexuelle Orientierung" umfasse auch Transsexualität. Allerdings wird der Begriff allgemein so verstanden, dass er beschreibt, zu welchem Geschlecht sich eine Person hingezogen fühlt.
Twitter / BrunnerGanzOhrSelbstverständlich schließt es ein. Genau deshalb wurde eben nicht Homosexualität genannt, sondern sexuelle Orientierung!! https://t.co/wiAJHNOym5
Karl-Heinz Brunner (@BrunnerGanzOhr) August 4, 2019
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Innerhalb der Europäischen Union hat bislang nur Malta "Konversionstherapien" für Jugendliche und Erwachsene beschlossen (queer.de berichtete). Das Gesetz umfasst sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität. Debatten um ein Verbot gibt es auch in anderen europäischen Ländern, etwa in Großbritannien (queer.de berichtete).
Psychologen- und Ärzteverbände warnen bereits seit Jahren vor "Therapien" zur "Heilung" von Homo- oder Transsexualität. 2013 verabschiedete der Weltärztebund eine Stellungnahme, nach der Konversionstherapien "die Menschenrechte verletzen und nicht zu rechtfertigen" seien. "Es gibt [für diese Methoden] keine medizinische Indikation und sie stellen eine ernste Gefahr für die Gesundheit und die Menschenrechte von denen dar, die behandelt werden", so die Argumentation der internationalen Vereinigung, der mehr als 100 nationale Ärzteverbände angehören (queer.de berichtete).
Gegen ein Verbot sprechen sich christliche Organisationen aus, die Homosexualität als Sünde ansehen (queer.de berichtete). (dk)
