Andrei P. am Donnerstag vor dem Verwaltungsgericht in Regensburg (Bild: Quarteera)
Ein schwuler Asylbewerber aus Russland, der 2015 aus Angst vor Verfolgung mit seinem Partner aus St. Petersburg nach Deutschland geflohen ist, hat im Kampf um seine bislang verweigerte Anerkennung einen Hungerstreik begonnen. Das berichtet Quarteera, der Verein russischsprachiger LGBT in Deutschland.
In St. Petersburg sei das Paar mit "Outing, Kündigung und Bedrohungen von quasi kriminellen Strukturen" konfrontiert gewesen, so ein Freund der Männer gegenüber queer.de. Das BAMF lehnte beide Anträge ab, das Paar klagte gegen die Entscheidungen. Während ein Verfahren noch läuft, entschied das Verwaltungsgericht in Regensburg im August zu Andrei P., dass es Zweifel an dessen sexueller Orientierung gebe – obwohl dieser laut Quarteera "mehrere Fotos, Videos und Zeugenaussagen über seine Lebensgegebenheiten als Nachweis gebracht" habe. Der 38-Jährige habe mehr als 18 Jahre in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung gelebt.
"Der Kläger [kann] seine Homosexualität nicht zur Überzeugung des Gerichtes darlegen", zitiert der Verein aus der Entscheidung. So sei er bei einigen Fragen zunächst ausgewichen und es sei "nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger ohne Weiteres nach dem ersten sexuellen Kontakt mit einem Mann sofort die Erkenntnis gehabt haben mag, homosexuell zu sein." Die Richterin beklagt dazu, "Schilderungen über die Gedanken für die Entscheidungsfindung oder einen inneren Konflikt zu seiner Homosexualität" seien ausgeblieben.
Protest gegen Justiz-Willkür
Andrei mit Partner im Jahr 1999. Das Paar lebt inzwischen getrennt, aber in gutem Kontakt zueinander (Bild: Privat / Quarteera)
Eine Berufung ließ das Gericht nicht zu. Andrei droht damit die Abschiebung, "obwohl er bereits seit vier Jahren in Deutschland lebt und integriert ist", so Quarteera. "Ich arbeite seit drei Jahren und versuche soweit wie möglich über die Runden zu kommen, ohne die Unterstützung von Organisationen in Anspruch zu nehmen", zitiert der Verein Andrei. "Das ist nicht fair, dass wir gegen das System kämpfen, das von uns ständig die Gebühren fordert, diese unendliche Anwaltsrechnungen. Wir können uns keine Kleidung kaufen und leben hungernd! Wir hatten auf einen positiven Entscheid gehofft und dass sich unsere Lage etwas verbessert. Jetzt kommen wir uns vor wie in einem absurden Theater."
Am Mittwoch begann Andrei einen Hungerstreik. Auch will er jeden Morgen vor der Arbeit vor dem Verwaltungsgericht demonstrieren, um auf "Willkür der Justiz in Bayern" hinzuweisen. Ein Bekannter hat eine Spendenaktion (Facebook-Seite, alternativer E-Mail-Kontakt) zur Zahlung eines Rechtsanwalts und von Gebühren gestartet, um das Urteil noch anzufechten.
Quarteera-Plakat zum CSD in Berlin 2019. Bild: Konstantin S. / Quarteera
Quarteera kritisierte in einer Pressemitteilung die "Entscheidung des Verwaltungsgerichts, das Urteil auf den Nachweis der sexuellen Orientierung zu stürzen" – diese lasse sich in einem gerichtlichen Verfahren weder sicher belegen noch widerlegen. Zweifel müssten zugunsten des Antragstellers gewertet werden. "Solche Nachweise von Flüchtlingen zu verlangen, stellt einen unangemessenen Eingriff in die Privatsphäre dar", so Quarteera. "Stattdessen sollte das Gericht das individuelle Verfolgungsrisiko für Antragsteller in Russland erforschen. Darüber hat das Gericht im vorliegenden Fall leider kein einziges Wort im Urteil verloren."
Immer wieder entscheiden in Deutschland zunächst das BAMF und dann oft einzelne Richter ohne Erfahrungen mit queeren Lebenssituationen und Herkunftsländern anmaßend und teils absurd über das Schicksal queerer Geflüchteter. Oft werden diese teils traumatisierten Personen zum intimsten Privatleben oder zu konkreten Verfolgungen befragt – wenn die Geflüchteten eingeschüchtert und aus Angst um das Leben hier und nach schlechten Erfahrungen in der Heimat ausweichend antworten, wird dies gegen sie verwendet. Auch die – aus diesen Gründen nicht unübliche – Nicht-Erwähnung von Homosexualität im vorherigen Verfahrensverlauf wird negativ ausgelegt.
In den letzten Jahren wurde immer wieder queeren Geflüchteten Asyl in Deutschland verweigert und einige von ihnen wurden abgeschoben – manchmal mit dem rechtswidrigen Hinweis, sie könnten ihre Sexualität ja heimlich oder gar nicht ausleben. Andere LGBTI-Geflüchtete mit ähnlichen Lebensgeschichten wurden problemlos anerkannt, darunter auch Russen. (nb)