Kundgebung für eine vollständige Ehe für alle am Freitag vor dem Bundeshau in Bern (Bild: Pink Cross)
Die Rechtskommission des Nationalrats der Schweiz hat sich am Freitag mit großer Mehrheit für die Einführung der Ehe für alle ausgesprochen. Allerdings entschied das Gremium der Abgeordnetenkammer des Schweizer Parlaments, gleichgeschlechtlichen Paaren nicht alle Rechte von heterosexuellen Paaren zu gewähren.
Mit 13 zu 12 Stimmen sprach sich die Kommission bei Frauenpaaren gegen eine gemeinsame Elternschaft ab Geburt und gegen den Zugang zur Samenspende aus – eine künstliche Befruchtung bleibt damit innerhalb der Schweiz nur Frauen innerhalb einer heterosexuellen Ehe möglich. LGBT-Verbände des Landes bedauern diesen Entscheidung, zu der sie noch am Morgen eine Kundgebung vor dem Parlament abgehalten hatten.
Mit 17 zu sieben Stimmen bei einer Enthaltung hatte die Kommission zugleich den definitiven Gesetzesentwurf der 2013 gestarteten parlamentarischen Initiative zur Ehe für alle beschlossen. Nach formaler Verabschiedung des überarbeiteten Textes in der nächsten Kommissionssitzung wird nun der Nationalrat über die Vorlage entscheiden, laut einer Mitteilung der Rechtskommission voraussichtlich in der Frühjahrssession 2020.
Gefährung des Kindeswohls beklagt
Obwohl sich viele Parteien (SP, Grüne, GLP, FDP) klar für eine vollständige Ehe für alle mit tatsächlicher Gleichstellung ausgesprochen haben, habe sich die konservative Mehrheit der Rechtskommission durchgesetzt, beklagte der Verband Pink Cross in einer Pressemitteilung. Die SVP habe sich in dem Verfahren grundsätzlich gegen die Ehe für alle ausgesprochen und CVP und BDP befürworteten eine schrittweise Öffnung, womit Frauenpaare viele Jahre warten müssten, bis sie die gleichen Rechte wie heterosexuelle Paare haben.
"Kinder von gleichgeschlechtlichen Paaren werden so weiterhin nicht die gleichen Rechte wie alle anderen Kinder haben", kritisierte Nadja Herz, Co-Präsidentin der Lesbenorganisation Schweiz LOS. "Es darf nicht sein, dass wir mit langwierigen und kostspieligen administrativen Absurditäten fortfahren. Dass das Kind eines Frauenpaares nicht von Geburt an zwei rechtliche Eltern haben darf, gefährdet das Wohl des Kindes massiv!" Auch in Deutschland gilt bei der Ehe für alle nach wie vor die Einschränkung, dass eine Ehefrau nicht automatisch ebenfalls Mutter wird, wenn die Partnerin ein Kind bekommt (die Passage zur "Vaterschaft" des BGB wurde nicht angepasst). Stattdessen ist sie auf den bürokratischen Adoptionsweg angewiesen (queer.de berichtete).
Im Gegensatz zu der Entscheidung hätten sich viele zivilgesellschaftliche Organisationen in den letzten Monaten sehr positiv geäussert: "Gerade die Reaktionen des schweizerischen katholischen Frauenbunds oder von Pro Familia haben uns besonders gefreut", sagt Maja Ulli, Co-Präsidentin von Wybernet. "Sie zeigen, dass ein grosser Teil der Gesellschaft nun die tatsächliche Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren will." Bei der vollständigen Ehe für alle gehe es nicht nur um Gleichberechtigung, sondern vor allem um den Schutz der Kinder.
Roman Heggli, Geschäftsleiter von Pink Cross, betonte: "Wir werden alles daran setzen, dass wir im Nationalrat eine Mehrheit für die umfassende Ehe für alle erreichen. Nicht zuletzt hoffen wir, dass die fortschrittlichen Wähler*innen im Oktober an die Urne gehen und Politiker*innen wählen, die sich für unsere Interessen einsetzen." Das Verfahren zur Ehe für alle geht nach der Parlamentswahl weiter – anders als in Deutschland "verfallen" Gesetzentwürfe nicht zum Ende der Legislaturperiode.
Langer Weg mit Hürden voraus
Bislang dürfen sich Schwule und Lesben in der Schweiz nur verpartnern – nach dem 2007 in Kraft getretenen Partnerschaftsgesetz, das nach wie vor die Volladoption durch Homo-Paare verbietet. Mit der Ehe-Öffnung würden Homo-Paare künftig das gleiche Recht auf gemeinschaftliche Adoption erhalten wie verheiratete Heteropaare. Bislang war nur die Adoption leiblicher Kinder des gleichgeschlechtlichen Partners oder der gleichgeschlechtlichen Partnerin erlaubt. Durch die Ehe für alle würde die Eingetragene Partnerschaft für die Zukunft abgeschafft; wie in Deutschland könnten bestehende Lebenspartnerschaften in eine Ehe umgewandelt werden oder existierten mit bisherigen Rechten und Pflichten weiter.
Der Rechtsausschuss des Nationalrats entschied am Freitag, bei dem Gesetzgebungsverfahren zur Ehe für alle nicht auf die Volksinitiative "Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe" zu warten, die die Ehe in der Verfassung als Verbindung aus Mann und Frau definieren will. Die CVP-Initiative war 2016 knapp gescheitert (queer.de berichtete), allerdings entschied das Bundesgericht in diesem Jahr, dass die Abstimmung wiederholt werden muss (queer.de berichtete). Der Bundesrat muss spätestens am 27. Mai 2020 die Wiederholung der Abstimmung ansetzen, wenn die Volksinitiative bis dahin nicht zurückgezogen wird.
Auch ansonsten wird befürchtet, dass Gleichstellungsgegner noch ein Referendum gegen die Ehe für alle erzwingen könnten – dafür sind lediglich 50.000 Unterschriften innerhalb von 100 Tagen zu sammeln. Laut Umfragen befürwortet eine deutliche Mehrheit der Schweizer die Gleichbehandlung von Schwulen und Lesben im Ehe-Recht. (nb)