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Russland
Moskau: Nationalisten stürmen schwules Theaterstück, Polizei nimmt Regisseurin fest
Zwölf homofeindliche Aktivisten störten eine Vorstellung von "Aus dem Schrank (kommen)" und riefen die Polizei wegen "Homo-Propaganda".

Absurde Szenen am Mittwochabend: Schauspieler, Publikum und homofeindliche Aktivisten (rechts) in der Diskussion mit der Polizei
- 30. August 2019, 19:41h 4 Min.
In Russland haben am Mittwochabend nationalistische Aktivisten erneut eine queere Kulturveranstaltung gestört. Was bei speziellen LGBTI-Festivals wie "Side by Side" in St. Petersburg oder Moskau häufig vorkommt, betraf diesmal die Aufführung eines einzelnen Theaterstücks in der Hauptstadt.
Auf der kleinen Bühne des Theater.doc mit 100 Sitzen wurde erneut das Stück "Aus dem Schrank (kommen)" gegeben, das seine Premiere bereits 2016 hatte. Laut der Webseite des Theaters ist das Stück mit 75 Minuten Länge der erste Versuch auf einer russischen Bühne, die "heikle Situation" des Coming-outs vor den eigenen Eltern zu thematisieren – aus der dargestellten Sicht von Müttern und von (erwachsenen) Kindern, die auf dokumentierten Interviews mit 30 "Betroffenen" basiert.

Promo-Bild zum Stück
Mutmaßliche Pro-Putin-Nationalisten der Gruppe SERB, die in Russland schon mehrfach Oppositionelle attackierten, Ausstellungen zerstörten oder Kulturveranstatungen störten, drangen dann während der Vorstellung in einen Vorraum und nach erhitzten Debatten mit der Regisseurin in den Saal ein und beleidigten Schauspieler und Publikum homophob, während auf der Straße vor dem Theater weitere Aktivisten mit homofeindlichen Botschaften protestierten. Mehrere der Aktivisten filmten das vermeintlich "illegale" Geschehen und streamten es gar mit Kommentierung ins Internet. Auch Publikum und Schauspieler filmten das unfreiwillige Theater, während die Regie zwischenzeitlich Queens "I want to break free" einspielte.
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Sowohl die Nationalisten als auch Zuschauer und Theater-Mitarbeiter riefen die Polizei. Nach Medienberichten und Angaben des Theaters bei Facebook wurde keiner der Störer festgenommen. Während SERB-Mitglieder weiterhin das Publikum belästigten, hätten Beamte vielmehr versucht herauszufinden, ob wie von den Nationalisten beklagt ein Verstoß gegen das Gesetz gegen "Homo-Propaganda" vorliege.
Das verbietet die "Bewerbung" von "nicht-traditionellen sexuellen Beziehung" gegenüber Minderjährigen. Es gehört zur absurden Taktik russischer Homo-Hasser, minderjährige Bekannte in queere Veranstaltungen zu schleusen, um einen "Verstoß" feststellen zu lassen. Obwohl das Theater eigenen Angaben zufolge das Alter der Gäste prüft, wurde im Publikum ein Minderjähriger gefunden, der sich zuvor als 19-Jähriger ausgegeben – und ausgewiesen – habe.

Einige der Störer vor dem Theater
"Wir glauben, dass es sich um eine geplante Provokation handelt, mit der Beteiligung eines Minderjährigen und gefälschten Dokumenten", schreibt das Theater bei Facebook. "Wir glauben, dass die Polizei das Publikum nicht geschützt und seine Sicherheit nicht gewährleistet hat. Wir fühlen uns nicht eingeschüchtert oder verletzt, sind aber angewidert, weil sich Theaterbesucher nicht sicher fühlen können. Und das neben Polizisten."
Regisseurin zur Wache gebracht
Die Vorführung ging später mit dagebliebenen Zuschauern weiter, während drei Personen zur Wache gebracht wurden: Der Minderjährige, Regisseurin Anastasia Patlai und ein Zuschauer. Dieser soll eine Störerin angegriffen haben – laut Angaben von Patlai gegenüber dem Portal Meduza sei dieser vielmehr gezielt gegen diese gestoßen worden, damit es wie ein Angriff aussehe. Er musste gar die Nacht auf der Wache verbingen, während Patlai später ohne Anschuldigung entlassen wurde.
"Die Polizei hat sich verhalten, als würde sie diese Leute [die SERB-Aktivisten] seit langem kennen", so Patlai. "Die haben nicht mal deren Ausweise geprüft. Sie haben sich verhalten, als wären sie ihm selben Team. Sie wussen im Voraus, dass Minderjährige im Raum sein würden, und dass alles, was sie tun wollten, damit zusammenhängt". Im Polizeigewahrsam sei sie weiter von den Nationalisten beleidigt worden, ohne dass die Beamten eingegriffen hätten.

Patlai in dem "Meduza"-Artikel zum Geschehen
Bereits vor einem Jahr hätten homofeindliche Aktivisten die Polizei zu einer Vorführung des Stückes gerufen – nachdem Patlai den Beamten Drohungen aus sozialen Netzwerken zeigte, blieben diese, um die Aufführung zu schützen. Dann sei am letzten Sonntag bei einer Aufführung in St. Petersburg ein Mann mit sichtbarer Pistole im Publikum aufgestanden. Die Polizei habe später die Ausweise aller Besucher überprüft.
Laut Meduza spekuliert Patlai, dass die Störer politische Ziele hätten. Hass und auf Hass basierende Angriffe nähmen in Russland in letzter Zeit zu und die anstehenden Kommunalwahlen in Moskau könnten eine weitere Rolle spielen. "Homophobie ist eine dauerhafte Ressource in der [russischen] Politik", so die Regisseurin. Es sei absurd, ihrem Stück oder jeder Nutzung des Begriffes "schwul" Propaganda vorzuwerfen: "Ich mache Shows über die Liebe. Damit Menschen beginnen können, sich zu verstehen und Gemeinsamkeiten zu finden." (nb)














