Offenbar bis zu 2.000 Menschen und damit deutlich mehr als erwartet haben am Sonntagmittag in guter wie Rechte und Respekt einfordernder Stimmung an der ersten CSD-Demonstration in Sarajevo teilgenommen. Bis zu tausend Polizisten schützten die Demonstration in der teilweise abgesperrten Innenstadt; es kam bisherigen Informationen zufolge zu keinen Zwischenfällen.
Der erste Pride in Bosnien-Herzegowina stand, frei übersetzt, unter dem Motto "Wir wollen raus(kommen)". Das kann auch ein Coming-out des Landes meinen: An der Demonstration beteiligten sich viele Bürger, die für ein liberales, Europa und der Welt zugewandtes Land stehen. "Lasst uns eine Gesellschaft ohne Gewalt erschaffen, eine Gesellschaft der Solidarität, Unterstützung und Gemeinsamkeit", sagte eine der Organsitorinnen bei der Abschlusskundgebung. "Pride für alle, Tod dem Faschismus", skandierte ein weiterer Aktivist.
Sarajevo war bis zum Sonntag die letzte Hauptstadt im ehemaligen Jugoslawien, in der noch kein Pride abgehalten worden war. Die Premiere in dem EU-Beitrittskandidat stand unter solidarischer Beobachtung der internationalen Politik (queer.de berichtete). Würde diese den Pride angemessen politisch aufgreifen, die Demostration gewährleisten und die Teilnehmer schützen? Von Parteien kam Unterstützung bis Ablehnung, auch Schweigen. Die Regionalregierung hatte die Pride-Organisatoren aufgefordert, Kosten für Schutzbarrieren selbst zu tragen. Dabei hatte es Gewaltandrohungen im Vorfeld gegeben. 2008 und 2014 hatten Gegner queere Festivals gestürmt und auf Teilnehmer eingeprügelt.
Das multireligiöse Land (51 Prozent Muslime, 31 Prozent Orthodoxe, 15 Prozent Katholiken) hat ein seit 2003 mehrfach ausgeweitetes, LGBTI umfassendes Antidiskriminierungsgesetz und bewertet seit 2016 Taten aufgrund von Homo- oder Transphobie strafverschärfend als Hassverbrechen. Gleichgeschlechtliche Paare werden bislang rechtlich nicht anerkannt; die Regierung prüft eine Vorlage zur Einführung von Lebenspartnerschaften. In einer Umfrage vor wenigen Tagen gaben nur 14 Prozent der Bevölkerung an, dass es eine Ehe für alle geben sollte. 58 Prozent sprachen sich gegen den CSD aus, 33 Prozent für ihn.
Freunde und Feinde auf der Straße
Der erste CSD war ein tagelanges Medienthema, zu dem Pride hatten sich über 200 Journalisten aus dem In- und Ausland akkreditiert. Mehrere TV-Sender schalteten immer wieder live zum CSD und übetrugen seine Abschlusskundgebung. Viele Medien hatten zugleich bereits am Morgen festgehalten, wie hunderte LGBTI-Gegner eine Demonstration für vermeintlich traditionelle Familienwerte abhielten. "Ich werde mich nicht dafür schämen, dass ich ein Mann bin und eine Frau habe", stand auf einem der Plakate. "Schwuchteln, bleibt in euren eigenen vier Wänden", auf einem anderen. Schon am Samstag hatte es eine ähnliche Kundgebung, einen "Tag der traditionellen Familie", in der Innenstadt gegeben – die Demonstration wählte die gleiche Strecke wie der CSD einen Tag später. Ein weiterer Protest für "Familienwerte" sollte am Sonntag zeitgleich zum Pride in dessen Nähe stattfinden.
An der CSD-Demonstration nahmen meherere Politiker aus dem Ausland teil, darunter die grünen Bundestags- und Europaabgeordneten Manuel Sarrazin und Terry Reintke und die SPD-Europaabgeordnete Delara Burkhardt. Mehrere Vertreter der Deutschen Botschaft, die den CSD – neben u.a. der US-Botschaft und der Heinrich-Böll-Stiftung – auch als Sponsor unterstützt, beteiligten sich ebenfalls an der Demonstration. Der schwule US-Botschafter Eric Nelson nahm am Pride teil, ebenso der britische Botschafter Matt Field.
Die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatovic, hatte die Behörden in Bosnien und Herzegowina im Vorfeld aufgefordert, für einen sicheren Ablauf der ersten Pride-Parade in der Geschichte des Landes zu sorgen. Sie war ebenfalls nach Sarajevo angereist.
Friedlicher CSD in Kattowitz
Unter ebenfalls großen Polizeischutz und Interesse aus dem In- und Ausland hatte am Samstag bereits der CSD im polnischen Kattowitz stattgefunden. Rund 6.000 Menschen demonstrierten in einem lokalen Rekord durch die Innenstadt. Am Rande kam es zu Gegenprotesten der rechtsextremen "Allpolnischen Jugend" und einigen christlich-fundamentalistischen Gruppen, die aber von der Polizei vom "Marsch der Gleichberechtigung" abgeschirmt wurden.
Neben einigen polnischen Politikern aus diversen Ebenen hatte erneut der schwule Kölner Bürgermeister Andreas Wolter (Grüne) an dem Pride teilgenommen. Auch Vertreter mehrerer Szene-Organisationen waren in die Partnerstadt gereist (queer.de berichtete).
Eindrücke wie hier vom Gegenprotest und auch vom CSD sammelte das Portal Katowice24
Nach den schweren Ausschreitungen gegen den ersten CSD in Bialystok im Juli und Angriffen auf LGBTI-Rechte durch Regierung und Kirche stehen die polnischen Prides unter großem Interesse von Medien, Unterstützern und Gegnern. Zum CSD in der nächsten Woche in Stettin ist eine Gruppen-Anreise aus Berlin geplant. (nb)
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