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Schwulenverfolgung in Bundesrepublik und DDR
Weiterhin nur wenige Anträge auf Entschädigung von §175-Opfern
Bis in die Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts hinein wurden Schwule in Deutschland strafrechtlich verfolgt. Vor zwei Jahren wurden ehemals Verurteilte rehabilitiert – die damit verbundenen Entschädigungen fließen aber nur langsam.

Zwischen der Gründung des deutschen Nationalstaats im Jahr 1871 und 1994 wurden schwule und bisexuelle Männer mit dem Paragrafen 175 verfolgt (Bild: Historisches Motiv von Ralf König auf einem aktuellen Plakat zur Ausstellung "§ 175 - Geschichte und Schicksale")
- 12. September 2019, 11:01h 3 Min.
Nur wenige Homosexuelle machen von den neuen Rechten auf Entschädigung für frühere Verfolgung Gebrauch. Seit einem halben Jahr können Betroffene nicht mehr nur für frühere Verurteilungen wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Entschädigungsleistungen beantragen, sondern auch für Ermittlungen, Untersuchungshaft und andere Diskriminierungen (queer.de berichtete).
Auf dieser neuen Grundlage seien bis zum 1. September 76 Anträge auf Entschädigung eingegangen, teilte das Bundesamt für Justiz auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Davon seien in 66 Fällen Entschädigungen in Höhe von insgesamt 84.000 Euro gezahlt worden – 6.000 Euro wegen eingeleiteter Strafverfahren, 7.500 Euro wegen vollzogener Freiheitsentziehung und 70.500 Euro wegen außergewöhnlicher Beeinträchtigungen. Dazu werden berufliche, wirtschaftliche, gesundheitliche oder sonstige vergleichbare Nachteile gezählt, die den Betroffenen wegen Diskriminierung entstanden sind.
Alle Fälle zusammengefasst, wurden seit 2017 lediglich 157 Entschädigungsanträge gestellt und 549.000 Euro ausgezahlt, teilte das Bundesamt für Justiz mit.
Gesetz kam mindestens zehn Jahre zu spät
Die neue Härtefallregelung habe zwar noch einmal Bewegung hineingebracht. Aber für viele sei das Gesetz zur Rehabilitierung und Entschädigung, das 2017 auf den Weg gebracht wurde, mindestens zehn Jahre zu spät gekommen, sagte Sigmar Fischer, Vorstandsmitglied der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS), gegenüber der dpa. "Die meisten Betroffenen sind hochbetagt."
Viele seien zwischen 70 und 90 Jahren alt und nutzten kein Internet, sondern Briefpost, Printmedien, Hörfunk und Fernsehen. BISS versuche daher, dort Anlässe für eine Berichterstattung und Information zu schaffen. Der Verein berät Betroffene mit einer eigenen Hotline.
Twitter / BMJV_BundSind Sie von Verurteilung oder Verfolgung aufgrund von Paragraf 175 betroffen? Beantragen Sie hier eine Entschädigung: https://t.co/fGMq4HTS9U
BM der Justiz und für Verbraucherschutz (@BMJV_Bund) July 22, 2019
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Homosexuelle Justizopfer können seit 2017 Entschädigung beantragen. Sie wurden offiziell rehabilitiert: Frühere Urteile wurden aufgehoben – außer wenn es um sexuelle Handlungen mit Unter-16-Jährigen ging. Der Staat entschädigt Betroffene seitdem auf Antrag mit pauschal 3.000 Euro, wenn es zur Verurteilung kam und mit 1.500 Euro pro angefangenem Jahr Gefängnis. Seit März dieses Jahres gilt das auch für Untersuchungshaft. Davon unabhängig gibt es zudem 500 Euro Entschädigung für jedes eingeleitete Ermittlungsverfahren und 1.500 Euro für Betroffene, die unter außergewöhnlich negativen Beeinträchtigungen zu leiden hatten.
Der frühere Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs hatte sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe gestellt. Endgültig abgeschafft wurde er erst 1994. In der DDR gab es mit dem Paragrafen 151 eine ähnliche Vorschrift, die kurz vor dem Zusammenbruch des Landes im Juli 1989 abgeschafft wurde. Anders als in der Bundesrepublik wurden in der DDR zwischen 1968 und 1989 auch Lesben mit diesem Gesetz kriminalisiert.
Laut Bundesjustizministerium wurden nach 1945 fast 70.000 Menschen in Ost und West wegen dieser Gesetzesregelungen verurteilt. Viele andere Homosexuelle hätten Ermittlungsmaßnahmen zu erdulden gehabt, seien in Untersuchungshaft gewesen oder hätten erhebliche berufliche, wirtschaftliche oder gesundheitliche Nachteile erlitten. (dpa/cw)

Ich könnte kotzen. 1.500 pro Jahr .Das ist lächerlich. Pro Tag , das wäre angemessen. Hier wurde junges Leben von einem Verbrecherregime zerstört.