Am letzten Montag stand die vermeintliche Ehrenamtlerin mit Kamerateam vor den noch geschlossenen Büros der "Kampania Przeciw Homofobii" (Bild: KPH)
Das Portal OKO.press erhebt schwere Vorwürfe gegen den polnischen Staatssender TVP: Laut einem Bericht des Investigativ- und Faktcheck-Portals vom Samstag seien es Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Anstalt gewesen, die vor wenigen Tagen versucht hätten, mit verdeckter Recherche vermeintlich belastendes Material zur "Kampagne gegen Homophobie" (KPH) zu finden.
Berichten der Organisation zufolge war vor wenigen Wochen erstmals eine neue Ehrenamtlerin zu einem Orga-Treffen erschienen und habe sich auffällig verhalten – so habe sie gewirkt, als hätte sie heimlich mit ihrem Handy Ton-Aufnahmen gemacht. Bei einem weiteren Meeting sei sie dann aufgeflogen, als sie mit einer in der Brille versteckten Kamera das Treffen filmte. Damit konfrontiert, habe sie die Aufnahmen zugegeben – und mit Gedächtnisproblemen begründet. Sie habe abgestritten, für jemand zu arbeiten, und habe dann das Treffen verlassen.
Wenige Tage später, am letzten Montag, erschien die vermeintliche Ehrenamtlerin dann zusammen mit einem Kamera- und Ton-Team aus zwei Personen vor den Büros der Kampagne gegen Homophobie, als diese noch geschlossen waren. Eine Überwachungskamera nahm den Moment auf.
Einschüchterung und Provokation
Die "Kampania Przeciw Homofobii" hatte den "Spionage"-Fall zu diesem Zeitpunkt bereits öffentlich gemacht. Die vermeintliche Ehrenamtlerin habe bei den Treffen versucht, Mitarbeitern und Ehrenamtlern kontroverse Äußerungen etwa gegenüber Katholiken zu entlocken. Auch habe sie nach unterstützenden Institutionen und Geldgebern gefragt, nach KPH-Besuchen in Schulen und vermeintlichen Gruppenreisen zu CSDs im Land. Zudem habe sie versucht, Zugang zu Datenbanken der KPH zu erhalten.
Bei dem Kamerateam habe es sich um langjährige TVP-Mitarbeiter gehandelt, die vor allem für die Hauptnachrichtensendung arbeiteten, so OKO.press nun. Die vermeintliche Ehrenamtlerin, die man derzeit wie ihr Team nicht benenne, sei mit einem bekannten "Propagandisten" des Senders befreundet und habe inzwischen nach Nachfragen ihre Profile in sozialen Netzwerken gelöscht. Der Sender selbst habe Anfragen des Investigativ-Portals zu den drei Personen und zu der fragwürdigen Entscheidung für den Undercover-Einsatz nicht beantwortet.
Seitens der KPH heißt es, man sei weder im Vorfeld noch im Nachhinein von TVP-Journalisten oder mit den Fragen der "Ehrenamtlerin" kontaktiert worden. Man sei eine transparente Organisation und habe nichts zu verbergen. Zugleich seien es vor allem jugendliche Ehrenamtliche gewesen, die "Opfer der gescheiterten Provokationen" bei den Orga-Treffen geworden seien. Nicht alle der Ehrenamtlichen hätten sich vor Familie oder Freunden geoutet und die Organisation müsse sensible Angaben wie sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität schützen. "Diese verrückte Aktion der Einschüchterung hat unser internes Vertrauen verletzt", so die KPH. Die Organisation warnt, dass der Sender künftig so auch weitere Menschenrechts- oder Oppositionsgruppen behandeln könnte.
Sender auf Regierungs-Kurs
Seit der international kritisierten Medienreform 2016 unter der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und weiteren Reformen ist das früher unabhängige Telewizja Polska gezielt regierungsnah ausgestaltet. Unter Führung des rechten Ex-Politikers Jacek Kurski und nach Auswechslung vieler Mitarbeiter betreibt die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt teilweise geradezu Propaganda im Sinne der Regierung.
So beteiligt sich TVP auch am seit Monaten geführten Kultur- und Wahlkampf von PiS-Politikern und katholischer Kirche gegen eine vermeintliche "LGBT-Ideologie". Der Sender behauptete etwa, bei einem CSD kürzlich sei ein Großteil der Besucher auswärtig gewesen, oder skandalisierte groß einen Auftritt einer Drag Queen, die bei einer Mr.-Gay-Wahl in einer künstlerischen Darbietung Gewalt gegenüber einer Puppe mit dem Gesicht des Krakauer Erzbischofs augeübt haben soll – jener Marek Jedraszewski hatte zuvor unter großer Medienberichterstattung vor einer "Regenbogen-Pest" gewarnt (queer.de berichtete).
Aktueller TVP-Bericht: "Professor Nalaskowski: LGBT ist keine Ideologie, sondern eine Kriegsdoktrin". Der Sender zitiert einen Professor mit der Äußerung, dass Menschen "nicht das Christentum bekämpfen, weil sie LGBT" seien. Es sei anders herum: "Menschen werden LGBT, um das Christentum zu bekämpfen." Der Professor war von seiner Uni suspendiert worden, nachdem er einen Text über CSDs mit der Überschrift "Reisende Vergewaltiger" verfasst hatte
Der Kulturwandel bei TVP zeigt sich nicht nur im Aktuellen: Senderchef Kurski hatte sich vor zwei Jahren gegen eine Einbeziehung gleichgeschlechtlicher Paare in Flirt-Shows ausgesprochen (queer.de berichtete). 2014 hatte er noch als Politiker ESC-Siegerin Conchita Wurst als "kulturelle Aggression des Westens" bezeichnet – inzwischen steht er dem polnischen Eurovisions-Sender bevor.
Fröhlicher CSD in Stettin
Unterdessen fand am Samstag unter großem Polizeischutz der zweite CSD in Stettin statt. Unter anderem aus Berlin und Rostock waren wie von den Pride-Organisatoren erbeten auch viele Deutsche zu der Kundgebung angereist, die mit mehreren tausend Teilnehmern relativ friedlich und ungestört durch die Innenstadt ziehen konnte. Die Polizei hatte Besuchergruppen teils gezielt am Bahnhof abgeholt, um sie sicher zum Pride zu eskortieren, der von den Beamten vor möglichen Gegnern abgesperrt wurde.
Zu den Pride-Gegnern gehörte Dariusz Matecki, PiS-Stadtrat und Kandidat bei den Parlamentswahlen. Bei einer Pressekonferenz hatte er zu einer Kundgebung "Stettin verteidigt die Familie" zeitgleich zum Pride aufgerufen – und zusammen mit nationalistischen Gruppen zu einer Kundgebung, um "LGBT-Ideologie von der Straße zu entfernen". Teilnehmer sollten "Desinfektionsmittel, Besen und Sprays" mitbringen, meinte Mitorganisatorin Malgorzata Rudzka von der rechtsextremen "Allponischen Jugend" auf der gleichen Presekonferenz. Zu einem entsprechenden Protest kam es am Samstag tatsächlich, als rechte Aktivisten u.a. einen Kreide-Regenbogen von der Straße entfernten.
Insgesamt stieß der Pride aber auf erheblich weniger Gegenproteste als erwartet, Gewaltvorfälle wurden zunächst nicht bekannt. Vor dem CSD hatte es am Samstagmittag ein friedliches Picknick mit Infoständen gegeben. Am Nachmittag und Abend sollen ein Konzert, ein Vortrag und eine Abschlussparty folgen. Mitte Juli war es zu schweren Ausschreitungen gegen den ersten CSD in Bialystok gekommen. (nb)
Liebe EU,
was braucht es noch an Beweisen, damit Ihr erkennt, dass Polen, bzw. diese klerikal-faschistische Partei, nicht nur Polen, sondern auch der EU schadet?