Der schwule Regisseur François Ozon hat mit "Gelobt sei Gott" einen klugen Film über sexualisierte Gewalt gegen Kinder gedreht. Konkret nahm er sich den Missbrauchsskandal in Dutzenden Fällen durch einen katholischen Priester in der katholischen Diözese von Lyon vor. Diese Diözese klagte gegen die Veröffentlichung des tatsachengetreuen Spielfilms und scheiterte vor Gericht. François Ozon erhielt für "Gelobt sei Gott" den Großen Preis der Jury auf der Berlinale 2019 (queer.de berichtete).
Das Thema brennt auch in Deutschland. Pro Tag wird 35 Kindern, Jugendlichen und minderjährigen Schutzbefohlenen sexualisierte Gewalt angetan (Quelle: Hilfeportal Sexueller Missbrauch für das Jahr 2017). Die jährliche Zahl von über 12.000 Opfern in Deutschland beschreibt aber bloß das sogenannte Hellfeld (Zahl der Anzeigen), die Dunkelziffer liegt weit höher. Sexuelle Gewalt gegen Kinder ist also eine Epidemie, über die bis vor kurzem niemand sprechen wollte und bei der sich auch heute noch viele trotz der Faktenlage schwertun. Umso besser, dass sich Francois Ozon auf intelligente Weise des Themas angenommen hat.
Als Junge vom Priester sexuell missbraucht
Poster zum Film: "Gelobt sei Gott" startet am 26. September im Kino
Alexandre (Melvil Poupaud), ein glücklich verheirateter Vater von fünf Kindern, wurde als Junge von einem Priester sexuell missbraucht. Als er erfährt, dass dieser Priester noch immer mit Kindern arbeiten darf, will er als gläubiger Katholik seiner Kirche einen Dienst erweisen und durch das Ausgraben seiner Tortur andere Jungen vor Schaden schützen.
Er schreibt viele Briefe an den Erzbischof, die auch fürsorglich beantwortet werden. Doch muss Alexandre erkennen, dass diese Fürsorge mehr der Verschleppung der Angelegenheit dient, als dass ernsthafte Taten folgen. Als Alexandre die Hinhaltetaktik reicht und er trotz Verjährung Anzeige bei der Polizei erstattet, nimmt die Sache endlich Fahrt auf. Andere Opfer melden sich, organisieren sich, gehen an die Öffentlichkeit und sammeln Geld, um eine Klage vorzubereiten.
Der greise Täter als Opfer seines Handelns
Das alles zeigt François Ozon spannungsgeladen, aber dokumentarisch zurückgenommen. Dadurch kann er die Strukturen der Gewalt und ihre Auswirkungen deutlich herausarbeiten und dem Publikum dramatisch nahebringen. Zum einen erzählt er von erwachsenen Männern, deren Leben durch die Taten total aus der Bahn geworfen wurden oder die in ihren Familien beim Aufzeigen der Geschehnisse auf Ablehnung stoßen ("Du bist immer nur großartig darin, Scheiße aufzurühren").
Missbrauchsopfer Alexandre (Melvil Poupaud) kämpft für späte Gerechtigkeit (Bild: Pandora Film)
Zum anderen beschreibt François Ozon den mittlerweile greisen und geständigen Täter als Opfer seines Handelns, der nur weiter missbrauchen konnte, weil die Katholische Kirche den Mantel des Schweigens darüberbreitete. Es wird klar, dass erst durch die rigide Sexualmoral mit ihrer permanenten Tabuisierung Täter unbehelligt weitermachen können, weil niemand darüber sprechen darf und die missbrauchten Kinder darüber keine Worte finden können. Nehmt das, ihr christlichen Fundamentalisten, rechten Verschwörungstheoretiker und Homophoben von den sogenannten "Besorgten Eltern"!
Großartiges Schauspielensemble
Diese Zurückhaltung im Spiel lässt sich nur mit einem großartigen Schauspielensemble durchziehen. Allen voran sei Melvil Poupaud erwähnt, den wir schon seit 1996 mögen, als er im Rohmer-Film "Sommer" mit entzückendem Lockenkopf über bretonische Strände lief oder in "Laurence Anyways" (2012) von Xavier Dolan das Coming-out einer Transfrau sensibel darstellte.
Regisseur François Ozon (l.) mit François Marthouret, dem Darsteller von Kardinal Barbarin, bei den Dreharbeiten (Bild: Pandora Film)
Was den perfekten Gesamteindruck des Films ein wenig trübt, ist die Verwunderung, wie François Ozon die Rückblenden zu den Straftaten zeigt. Zwar ist verständlich, dass Ozon dem Publikum die Geschehnisse nicht bloß abstrakt erzählen will, aber den Täter als sabberndes Monster zu portraitieren, wirkt wie ein billiger Effekt im sonst so durchdachten Film. Pädosexuelle Männer erkennt man eben nicht daran, weil sie so aussehen, als würden sie gleich Kinder verspeisen wollen. Meist sind es liebende Verwandte und Freunde der Familie oder bewunderte und respektierte Priester und Sporttrainer.
Äußerst sehenswert bleibt der Film dennoch, damit wir in Zukunft über das allgegenwärtige Thema sexuelle Gewalt gegen Kinder sprechen können, sinnvolle Maßnahmen ergreifen und diese Epidemie zu einem Ende bringen. Es geht damit voran: So wurde im März 2019 der Erzbischof von Lyon, Philippe Barbarin, wegen Vertuschung von Missbrauchsvorwürfen zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Dieser Philippe Barbarin hatte 2016 bei einem Treffen von Bischöfen in Lourdes gesagt, die Mehrheit der Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs seien "Gelobt sei Gott" verjährt.
Infos zum Film
Gelobt sei Gott. Drama. Frankreich 2018. Regie: François Ozon. Darsteller: Melvil Poupaud, Denis Ménochet, Swann Arlaud. Laufzeit: 137 Minuten. Sprache: deutsche Synchronfassung. FSK 6. Verleih: Pandora Film. Kinostart: 26. September 2019
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