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Interview

Die unterhaltsame Selbstdemontage des Stadtmenschen

Der schwule Wiener Autor Christopher Wurmdobler über sein neues Buch "Reset", den Sprung vom Journalisten zum Romanautor und die Frage, wieviel von ihm selbst in der Hauptfigur Karmen steckt.


Der in Freiburg geborene Journalist, Autor und Performance-Künstler Christopher Wurmdobler, Jahrgang 1965, lebt und arbeitet seit über dreißig Jahren in Wien. "Reset" ist nach "Solo" (2018) sein zweiter Roman (Bild: Gregor Hofbauer)
  • Von Alkis Vlassakakis
    29. September 2019, 09:37h, noch kein Kommentar

Du bist jahrzehntelang beim "Falter" gewesen, hast dort im Ressort "Stadtleben" auch immer queere Stimmen zu Wort kommen lassen und dort vor fast zwanzig Jahren auch einen Reiseführer über das queere Wien geschrieben – damals ein Novum für einem Mainstream-Verlag. Jetzt ist dein zweiter Roman erschienen, nachdem dein Erstling "Solo" ein beachtliches Echo hatte. War die Hinwendung zur Prosa schwierig? Gerade wenn man gewohnt ist, nur begrenzten Platz für einen Artikel zu haben, muss doch die Vorstellung, 200 und mehr Seiten füllen zu müssen, eine Umstellung bedeuten…

Lustig, dass du das fragst. Der Sprung vom Redakteur zum Romanautor war schon ein großer. Was aber nicht am Umfang des Textes lag. Als Journalist bei einer Wochenzeitung war ich daran gewöhnt, größere Geschichten innerhalb eines begrenzten Zeitrahmens rauszuhauen. In der Redaktion hatte ich den Ruf als Schreibarbeiter. Zudem habe ich in der Vergangenheit ja auch ein paar Sachbücher verfasst. Aber es war für mich eine große Umstellung, plötzlich statt Fakten Fiktion zu schreiben.

Für den ersten Roman "Solo", der ja ganz konkret im Wien der Gegenwart spielt, bin ich dann tatsächlich an die Alte Donau geradelt, habe mir dort Schrebergärten angesehen, bin Wege abgegangen und habe gestoppt, wie lange man von der U-Bahn zu der Siedlung braucht, in der ich dann einen meiner Protagonisten habe wohnen lassen. Nur, damit das alles stimmt. Irgendwie hatte ich es noch nicht so verinnerlicht, dass ich auf einmal alles erfinden durfte. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass viele meiner Freundinnen oder Bekannte sich in "Solo" wiederfinden.

Bei "Reset" habe ich derlei Rückmeldung noch nicht bekommen. Obwohl: Ein Literaturkritiker hat vermutet, dass Karmen, die Hauptfigur in "Reset", eigentlich ich bin und ich die Wiener Medienszene porträtieren würde. Tue ich aber nicht. Tatsächlich habe ich keinen Moment an die Wiener Medienszene gedacht. Wenn schon, dann bin ich Coach Haiko, der schwule Sidekick, den ich Karmen als einzigen Freund gegeben habe. Ach nee, auch nicht.


Wurmdoblers Roman "Reset" handelt von der Powerfrau Karmen, die auf Land zurückkehrt

Karmen ist ja eine Frau, die alle zu kennen glauben. Kontrolliert, perfekte Fassade, hinter die sie nie jemanden blicken lässt. Diesen Typ Frau scheinen wir alle vom Bildschirm zu kennen, die Maischbergers, die Wills und wie sie alle heißen mögen. Die können alle verdammt viel und trotzdem ist für viele ab einem bestimmten Alter Schluss vor der Kamera, während ihre männlichen Kollegen ja endlos weiter machen können, ja noch an Marktwert zulegen können.

An Anne Will oder Sandra Maischberger habe ich übrigens beim Schreiben auch nicht gedacht. Aber ja, Sabine Christiansen zum Beispiel, die war dann plötzlich weg vom Sonntagabend. Das ist gemein und ungerecht, und ich finde es sogar schade, dass auch die Guten irgendwann offenbar kein Fernsehgesicht mehr haben. Fernsehen ist Oberfläche. "Maximal acht Prozent von dem, was du sagst, bleibt beim Publikum hängen", heißt es in "Reset". Der Rest ist Showbusiness, Stimme, Bewegung und Frisur.

Es ist aber schon auch die Rede davon, dass ab einem gewissen Fernseh-Alter sogar die Männer was machen lassen, sich botoxen lassen, Toupets tragen und so weiter. Meine Karmen lässt sich ja dann zum Beispiel coachen, trainiert neue Interviewtechniken, um noch ein paar Jährchen auf dem Schirm zu bestehen. Und sie hat diese eiserne Disziplin, um sich fit zu halten. Was ja dann ihren Exzess, ihre Selbstdemontage erst so richtig unterhaltsam macht. Ich schicke diesen Stadtmenschen schließlich in die Provinz.

Sowohl in "Solo" als auch in "Reset" lässt du deine Protagonist*innen je gerne in Situationen laufen, die zum Fremdschämen sind. Ein paar mal hatte ich das Gefühl, dass ich jetzt das Buch mal weg legen sollte, damit mir sowas nicht auch passiert. Macht dir das Spaß?

Es macht tatsächlich irre Spaß, sich solche Situationen auszudenken, meine Protagonisten und Protagonistinnen erstmal ganz tief in die Scheiße fallen zu lassen, um sie dann aber später natürlich wieder ganz cool aus der Sache rauskommen zu lassen. Beim Schreiben ist oft erst die Situation da, und erst später komme ich dann drauf, dass das schon auch was mit der Person und ihrem Innenleben – dem Konflikt – zu tun hat. Was ich beim Schreiben von Fiktion immer sehr überraschend finde: das Personal entwickelt ein Eigenleben und manchmal passiert dann in der Geschichte etwas, das ursprünglich gar nicht geplant war. Aber das werden dir wahrscheinlich eh die meisten Autorinnen und Autoren erzählen können.

Neben dem Schreiben scheint dich Kunst, vor allem Performance-Kunst, nicht nur als Zuschauer zu reizen. Du bist Teil gleich zweier Künstler*innen-Gruppen, nämlich H.A.P.P.Y und Nesterval.

Wobei H.A.P.P.Y eigentlich nicht mehr besonders aktiv ist, da melden wir uns höchstens noch zur Regenbogenparade – dem Wiener CSD-Umzug – zu Wort mit Fußgruppen und Parolen. Aber ich spiele immersives Theater mit Nesterval, seit ein paar Jahren wirklich intensiv, das stimmt.


Christopher Wurmdobler im Nesterval-Theaterstück "Das Dorf" (Bild: Alexandra Thompson)

Erstaunlicherweise ist das, was ich als Performer mache, von dem, was ich als Autor mache, gar nicht so weit entfernt. Hier wie da entwickle ich Figuren und Charaktere, schaue mir an, was sie mit weiteren Figuren und Charakteren anstellen. Und natürlich mit dem Publikum.

Bei den Proben zum Nesterval-Stück "Das Dorf" haben wir während der Charakterarbeit unter anderem auch "in character" Dinge aufgeschrieben, Sachen, die unsere Figur gerade beschäftigt, wie sie tickt. Nichts anderes habe ich bei "Reset" gemacht. Ich bin beim Schreiben in den Charakter eines ehemaligen TV-Stars, kinderlos und 50 plus geschlüpft und habe zugeschaut, was passiert. So gesehen hat der Kritiker vielleicht gar nicht so unrecht. Oh nein! Womöglich steckt in Karmen mehr von mir, als ich vermutet habe.

Infos zum Buch

Christopher Wurmdobler: Reset. Roman. 248 Seiten. Czernin Verlag. Wien 2019. Hardcover: 22 € (ISBN 978-3-7076-0669-0). E-Book: 19,99 € (ISBN: 978-3-7076-0670-6)

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